In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In dieser IslamiQ-Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Kaan Cevahir.
Kaan Cevahir (30) ist in Erkelenz geboren und wohnt in Hückelhoven, eine eher ländlich geprägte Stadt an der niederländischen Grenze. Derzeit leitet er gemeinsam mit einer Kollegin eine Integrationsagentur mit den Schwerpunkten interkulturelles, soziales und bürgerschaftliches Engagement sowie Antidiskriminierungsarbeit. In diesem Zusammenhang überträgt er die aus Wissenschaft und Forschung gewonnenen Erkenntnisse auf eine konzeptionelle Projektarbeit. Seine Leidenschaften: Klavier und Taekwondo.
IslamiQ: Musik und Kampfsport. Eine ungewöhnliche Kombination. Wie kam es dazu?
Kaan Cevahir: Ich hatte das Glück, als Kind mehrere meiner Interessen ausprobieren zu dürfen. Dabei ist meiner Mutter meine Affinität zur Musik, insbesondere meine Zuneigung zum Klavier aufgefallen. Obwohl ich aus einer nichtmusikalischen Familie stamme, wurde meine musikalische Bildung dennoch früh gefördert – ein Indiz dafür, dass der Bildungshintergrund des Elternhauses nicht zwingend richtungsweisend für den Bildungsweg des Kindes sein muss.
Dazu hatte ich das Privileg, meinen Vater zum Taekwondo-Training begleiten zu dürfen. Ich bin sozusagen in einem Verein aufgewachsen und war sehr nah dran am Kampfsport. Diese Kombination, die ungewöhnlich erscheint, war und ist für mich nichts anderes als das Vertraute. Zumal über die Konstellation Musik und Sport Körper und Geist gleichermaßen erzogen wird.
IslamiQ: In Ihrer Dissertation greifen Sie das Verhältnis von Musik und Politik auf. Worum geht es genau?
Cevahir: Derzeit promoviere ich in Musikwissenschaft zum Thema „Musik im Konstrukt einer türkischen Nationalidentität“. In der Tat geht es um das grundsätzliche Verhältnis von Musik und Politik respektive Musik im Dreiecksverhältnis Kultur, Gesellschaft und Politik. In meiner Arbeit gehe ich der Grundsatzfrage nach, inwiefern das Musikalische in der Politik sich auf das Identitätsbewusstsein von Staat und Gesellschaft niederschlägt.
Am Beispiel der Türkei wird deutlich, dass spätestens mit der Einführung der Kulturreformen durch Staatsgründer Mustafa Kemal die türkische Nationalidentität auch über eine entsprechende Nationalmusik definiert werden sollte. Dies ist gewiss kein türkisches Phänomen, allerdings gewinnt meine Fragestellung am Beispiel der Türkei noch einmal einen spannenden Aktualitätsbezug.
Neben dem Thema meiner Dissertation publiziere und referiere ich zu den deutsch-türkischen Musikbeziehungen und beschäftige mich grundsätzlich mit Musik in den Kontexten Migration, Integration, Interkulturalität und-religiosität.
IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?
Cevahir: Tatsächlich habe ich noch nie erlebt, dass meiner Arbeit und den mich beschäftigenden Themen eine gewisse Reizlosigkeit oder gesellschaftliche Irrelevanz unterstellt wurde – ganz im Gegenteil. Selbstverständlich zeigen sich die Interessen in unterschiedlichen Ausprägungen, teilweise driften die jeweiligen Interessensbezüge auseinander. Unstrittig ist, dass das Sprechen über Musik stark vernachlässigt wird.
Da ich die deutsch-türkischen Beziehungen nicht auf ihr politisches Verhältnis reduziere und sie aus einer kulturmusikalischen und -historischen Perspektive bewerte, bin ich gern gesehener Gast nicht nur in Kreisen der Türkeiforschung. Denn ich habe ein intrinsisches Interesse an der Förderung der deutsch-türkischen Beziehungen. Gerade angesichts des überstrapazierten Verhältnisses beider Länder möchte ich – als Wissenschaftler und Künstler – einen positiven Beitrag leisten.
IslamiQ: Welche Hobbys haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Cevahir: Meine Hobbys überschneiden sich teilweise mit meinen beruflichen Tätigkeiten. Ich spiele Klavier und komponiere, treibe gerne Sport, vor allem Kickboxen und Fitness, und interessiere mich für Kunst, Politik und Geschichte. Meine Freizeit gestalte ich immer mit meinen Liebsten um mich herum, in meiner freien Zeit wiederum versuche ich vor dem Fernseher oder bei guter Musik zu entspannen.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Cevahir:Ich möchte mich ungern auf ein Buch oder einen Film beschränken.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Cevahir: Gewiss bin ich ein Familienmensch. Was Familie bedeutet und aus welchen Mitgliedern sie sich zusammensetzt, muss jeder für sich selbst definieren. Meiner Familie wiederum kommt eine zentrale Bedeutung zu, denn sie ist das Zentrum meines Daseins. Nicht nur, dass wir uns als Kollektiv gegenseitig stärken, ist es meine Familie, die mein absolutes Vertrauen genießt und umgekehrt ich ihr meine Loyalität und Ehrlichkeit uneingeschränkt zusichern kann. Und welchen Wert hätte Glück, wenn man es nicht mit anderen, mit der Familie, teilen kann?
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Cevahir: Eine Frage, die mir oft gestellt wird, die ich allerdings nach wie vor nicht werde beantworten können. Denn es gibt so viele Momente, die mich immer wieder mit Mut und Ehrgeiz füllen, und mich darin bestätigen, das Richtige zu tun.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Cevahir: „Logik bringt dich von A nach Z. Vorstellungskraft bringt dich überall hin.“ (Einstein)
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Cevahir: Weder kategorisiere ich meine Ziele, noch liste ich sie nach Priorität. Denn sowohl meine beruflichen Ziele als auch jene Aufgaben, die ich als Mensch zu erfüllen habe, fließen ineinander. Das letzte Ziel meines Daseins sollte lediglich darin bestehen, mich mit der Gewissheit, der Menschheit mit Gutem gedient zu haben, verabschieden zu können und als solcher Mensch in Erinnerung zu bleiben – das ist dann doch mein größtes Ziel, dem ich mit meinem Denken und Handeln versuche näher zu kommen.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Cevahir: Ich wünsche mir Gesundheit, mir selbst, meiner Familie und meinen Mitmenschen. Denn Gesundheit ist weniger eine Selbstverständlichkeit, hingegen mehr Glück und bedauerlicherweise ein Privileg, das nur wenigen zusteht. Sie ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen. Erfolg und Zufriedenheit können nur darauf aufbauen.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Cevahir: Grundsätzlich bin ich dagegen, Religionen durch einen Länderbezug zu nationalisieren, denn dies widerspricht auch dem Umma-Gedanken. Die eigentliche Frage ist doch, was passieren muss, damit diese sich in Deutschland ausweitende Inakzeptanz und naive Voreingenommenheit gegenüber Muslime aufgelöst wird. Hier gilt es, im Dialog zu bleiben, miteinander statt übereinander zu sprechen, auf Augenhöhe und ohne Hoheitsdenken.
Wenn Muslime in Deutschland leben und ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten, dann sind sie nicht bloß „gut integrierte“ Menschen. Sondern vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft und somit Teil Deutschlands. Als solches gestalten sie eine Gesellschaft mit, die sich ohnehin in einem ständigen Wandlungsprozess befindet und wir uns den neuen Anforderungen einer sich verändernden Gesellschaft stellen müssen.
Wir alle müssen uns ständig integrieren, denn Integration ist weder eine abgeschlossene Handlung noch eine von Geburt an erbrachte Leistung. Sprechen wir also darüber, in welcher Gesellschaft wir leben und welche Gesellschaft wir den Folgegenerationen hinterlassen möchten, anstatt uns auf stumpfsinnige Diskussionen über das vermeintlich antagonistische Verhältnis beider Weltreligionen einzulassen. Lasst uns über Gemeinsamkeiten sprechen, die – zieht man alle Weltreligionen in den Vergleich – selbst in der musikalischen Rezitation erklingen.