Urteil

Muslime kritisieren Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen

Muslimischen Rechtsreferendarinnen darf das Tragen eines Kopftuchs vor Gericht verboten werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das Kopftuchverbot stößt auf Kritik.

27
02
2020
Symbole Bundesverfassungsgericht, Gesichtsschleier
Symbolbild: Bundesverfassungsgericht © by Mehr Demokratie e.V. auf Flickr (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen in Hessen stimmt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz überein. Wegen der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates kann der Gesetzgeber das Tragen von Kopftüchern untersagen, wie aus dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss des Zweiten Senats hervorgeht.

Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bezeichnete die Entscheidung als „wegweisend“. Zustimmung kam auch von der AfD. Kritik übten dagegen die Linke und die islamischen Religionsgmeinschaften.

Die religionspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Christine Buchholz, bedauerte dagegen: „Karlsruhe hat eine Chance verpasst, die Diskriminierung von kopftuchtragenden muslimischen Rechtsreferendarinnen zu beenden.“ Die religiöse Neutralität des Staats werde gewährleistet durch die Neutralität der Institution. Die religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Beschäftigten widerspreche dem nicht. „Die Kruzifixe in bayrischen Gerichten und Amtsstuben stellen die Neutralität in Frage, nicht das Kopftuch einer Rechtsreferendarin“, so Buchholz.

„Musliminnen werden weiter ausgegrenzt“

Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) kritisiert den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. „Die Entscheidung stellt für Musliminnen ein faktisches Berufsverbot dar und ist Wasser auf die Mühlen der Falschen. Der Beschluss überzeugt nicht und schließt Musliminnen weiter aus“, erklärt Aynur Handan Yazıcı, Vorsitzende der IGMG-Frauenorganisation in einer Pressemitteilung. Mit dieser Entscheidung haben die Richter Musliminnen, die ohnehin mehrfach von Diskriminierung betroffen sind, noch ein Stück weiter ausgegrenzt. „Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsrecht bei nächster Gelegenheit von dieser Position wieder abrückt und Schadensbegrenzung betreibt – wie einst beim pauschalen Kopftuchverbot für Lehrerinnen geschehen“, so Yazıcı abschließend.

Islamrat: Kopftuchverbot wird privaten Sektor beeinflussen

Auch der Zentralrat der Muslime (ZMD) sprach von einem Rückschritt in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung. Kopftuchtragende Rechtsreferendarinnen würden letztlich als Referendarinnen zweiter Klasse behandelt, erklärte die stellvertretende ZMD-Vorsitzende und Rechtsanwältin Nurhan Soykan. Der richterliche Justizdienst solle offenbar weiterhin bestimmten Bevölkerungsgruppen verschlossen bleiben.

„Wir sind zutiefst enttäuscht über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen. Durch die Entscheidung leidet das offene Neutralitätsverständnis“, erklärt der Islamrat für die BRD in einer Mitteilung.
Er befürchte, dass sich diese Entscheidung auch auf den privaten Sektor auswirken werde. „Die Diskriminierung von Musliminnen hat ein unverträgliches Maß erreicht, die Justiz darf sich nicht durch das populistische und politische Klima beeinflussen lassen“, so der Islamrat. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Eine Frau ohne Kopftuch ist niemals neutral. Dieser ganze Neutralitätswahn nimmt mittlerweile immer absurdere Züge an, dass ich derartige Urteilsbegründungen nicht mehr ernst nehmen kann. Tut mir leid.
02.03.20
13:29
Johannes Disch sagt:
Es ist wirklich bedauerlich und auch irritierend bis beängstigend, dass (viele) Muslime offenbar nicht bereit sind, ein Urteil anzuerkennen, das mal nicht zu ihren Gunsten ausfällt. Diese Reaktionen sind in der Tat selbstausgrenzend, wie "grege" zutreffend feststellt (29.02.2020, 16:42). Das Bundesverfassungsgericht hat auch schon häufig zu Gunsten von Musliminnen entschieden, zu Gunsten des Kopftuchs. Zum Beispiel, als es ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen als nicht verfassungskonform beurteilte. Und auch beim aktuellen Urteil handelt es sich nicht um ein pauschales Kopftuchverbot für Referendarinnen, sondern es betrifft nur gewisse Funktionen. Geht bei den Muslimen offenbar alles unter. Die Fähig und Bereitwilligkeit zur Differenzierung, zur genauen Betrachtung des Urteils, sind ganz offensichtlich nicht vorhanden. Die Reaktionen zeigen einen mangelnden Respekt vor unserer Rechtsordnung und unserer Rechtsprechung und eine Missachtung des obersten deutschen Gerichts. Das sind bedauerliche Reaktionen! Es sind alarmierende Reaktionen! Es gibt auch andere Stimmen. Musliminnen, die das Urteil nachvollziehen können oder gar richtig finden. Ich habe mich in den letzten Tagen mit vielen über das Urteil unterhalten und von muslimischer Seite häufiger positive Reaktionen auf das Urteil bekommen. Aber diese Stimmen findet man natürlich nicht bei den islamischen Verbänden. Und hier bei "islamiq" findet man sie (bisher) bedauerlicherweise auch nicht. Egal, was manche davon halten mögen: Das Urteil ist rechtskräftig und nicht mehr anfechtbar. (Falls jemand mit dem EUGH kommt: Der ist hier nicht zuständig). Die Referendarin hat nur 2 Möglichkeiten: Sie befolgt das Urteil oder bricht ihre Ausbildung vorzeitig ab. Unser Haus. Unsere Regeln.
02.03.20
14:26
Johannes Disch sagt:
Die Verbände stilisieren das Kopftuch zu einem Symbol der (Religions)Freiheit. Nichts könnte irreführender sein. Man sollte nicht vergessen, dass es Staaten gibt-- natürlich islamische-- wo das Nicht-Tragen des Kopftuchs unter teilweise drakonischen Strafen steht. Gerade mal vor anderthalb Jahren wurde im Iran Mida Mowhaded zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie sich weigerte, ein Kopftuch zu tragen. Die Vokabel "mittelalterlich" wird so einem absurden Urteil nicht gerecht, da der Islam im Mittelalter weiter war als heute. Auch Kopftuch-Fans sollten den zweifelhaften Charakter dieses Kleidungsstücks nicht ausblenden. Die Objektivität des Staates und die negative Religionsfreiheit haben vor Gericht Vorrang vor der Religionsfreiheit, so die Begründung des Gerichts im Fall der Referendarin. Ein absolut nachvollziehbares und plausibles Urteil.
04.03.20
12:49
grege sagt:
Dilaver, Sie als Paladin von erwolf problematieren sich selber, wie aus Ihren hahnebüchenden Stellungnahmen zu dem Kopftuchurteil hervorgeht.
05.03.20
18:50
Marianne sagt:
"Die Entscheidung stellt für Musliminnen ein faktisches Berufsverbot dar" - behauptet Millî Görüş. Das ist grob irreführend. 1. gilt das Verbot religiöser Kleidung nur für Personen, die im öffentlichen Bereich arbeiten (Schule, Gericht, Polizei) und auch nur für die begrenzte Zeit des Tages, in der sie ihrer Arbeit nachgehen. 2. unterstellt es, dass eine Muslimin ein Kopftuch nicht abnehmen KANN - als wäre es angewachsen. Dieses Nicht-Können ist aber lediglich auf die Forderungen islamisch-fundamentalistischer Communities zurückzuführen, also auf einen diskriminierenden Eingriff in die private Lebensweise von Frauen.
14.03.20
17:50
Johannes Disch sagt:
@Marianne (14.03.2020, 17:50) Den Nagel auf den Kopf getroffen!
16.03.20
18:34
Johannes Disch sagt:
@Marianne (14.03.2020, 17:50) Sie haben das Urteil in ihrem Punkt 1.) sehr differenziert und inhaltlich zutreffend dargestellt. Zu ihrem Punkt 2.): Ebenfalls richtig. Das Kopftuch ist kein essentieller Bestandteil des islamischen Glaubens. Es gehört nicht zu den "5 Säulen" des Islam und es ist auch nicht zwingend aus dem Koran ableitbar. Nirgendwo im Koran steht das Wort "Kopftuch." Und nirgendwo steht, dass man die Haare bedecken muss. Das Kopftuch ist keine religiöse Pflicht, sondern eine postkoranische Erfindung reaktionärer Männer. Da es nicht zu den "5 Säulen" des Islam gehört fällt es auch nicht zwingend unter Religionsfreiheit und es ist somit zumutbar, es in gewissen Situationen ablegen zu müssen.
16.03.20
19:58
Atheist der II sagt:
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Ich bin überzeugter Atheist und möchte diesen ganzen Glaubens-Unsinn nicht sehen. Glaube verdirbt den Charakter und gehört ins Reich der Märchen und Erzählungen. Der Glaube wurde von den Mächtigen immer wieder umgedeutet, nur um die Massen auf Linie zu bringen.
23.03.20
15:02
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