Halal-Lebensmittel sind gefragt. Was halal ist und wer nach welchen Kriterien Lebensmittel dies beurteilt, ist jedoch nicht eindeutig. Der Gelehrte Hayrettin Karaman skizziert die Schwierigkeiten.
In Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ist es leicht, einen Experten zu finden, um sich bei ihm nach dem Status von Halal-Lebensmitteln zu erkundigen. Doch besonders in Ländern, in denen Muslime als Minderheiten leben, ist diese Möglichkeit nicht immer gegeben. Auch wenn es in islamischen Ländern wesentlich einfacher ist, sich darüber zu informieren, ob etwas halal ist, kommt es zu Verwirrungen, da es unterschiedliche Meinungen unter Gelehrten und Rechtsschulen gibt.
Es ist erforderlich, dass eine anerkannte und international agierende Organisation Muslime darüber informiert, welche Lebensmittel sie ohne Bedenken verzehren bzw. welche Artikel sie in ihrem Alltag benutzen können. Jedoch gibt es einige Hindernisse, die diesem Dienst im Wege stehen. Diese müssen erkannt werden, um Lösungswege zu erarbeiten.
Auch wenn es Einzelpersonen und Organisationen gibt, die sich in diesem Bereich engagieren, ist der Kontakt und der Austausch unter diesen nicht ausreichend, damit eine bedarfsgerechte Zusammenarbeit stattfinden kann.
Unterschiedliche Bewertungen sind nicht nur auf verschiedene Rechtsschulen und Rechtsurteilen zurückzuführen. Sie basieren auch auf der Schwierigkeit der Übertragung von Kategorien wie „haram“ (verboten), „makrûh“ (verpönt) oder „halal“ (erlaubt) auf neue
Produkte, Verfahren und Techniken. Dies gilt etwa für Produkte wie Gelatine und andere Zusatzstoffe. Ebenso gilt dies für neue Techniken wie die des Elektroschocks vor dem Schlachten eines Tieres oder mehrerer Tiere auf einmal, das Schlachten mit Maschinen sowie neue Verfahren beim Rupfen der Federn von Hühnern.
Neben dem islamisch-rechtlichen Status wird vielfach auch der gesundheitliche Aspekt behandelt. Auf diese Weise werden auch solche Personen in den Prozess der Urteilsfindung involviert, die über keine islamrechtlichen Fachkenntnisse besitzen. Aufgrund des hohen Diskussionsbedarfs ist es schwierig, zu einem Ergebnis zu kommen. Beispielsweise wird unter Fachleuten diskutiert, welche kurz-, mittel- und langfristigen Einflüsse Lebensmittel auf die Gesundheit des Menschen haben werden, bei deren Anbau chemisch bearbeiteter Dünger verwendet wird oder denen Hormone zugesetzt werden. Bezüglich derlei Fragen gibt es noch keine endgültigen Erkenntnisse.
Muslimische Rechtsgelehrte betrachten die Angelegenheit aber nicht aus diesem Blickwinkel, sondern suchen nach anderen Gründen – und so muss es auch sein –, die ein Verbot nach sich ziehen könnten. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass es fraglich ist, ob der weltweite Lebensmittelbedarf auf herkömmliche Weise gedeckt werden kann, wenn neue Produktionsverfahren verhindert werden. Man wird wohl gezwungenermaßen eine geringe Beeinträchtigung in Kauf nehmen müssen, um nicht Millarden Menschen hungern zu lassen.
Der Islam möchte nichts unnötig erschweren. Aus diesem Grund gibt es das Prinzip der „Erlaubnis aufgrund einer Notwendigkeit“. Die Diskussionen um den Begriff, den Umfang und Inhalt der Notwendigkeit, die für die kurzfristige Lösung von Problemen eine wichtige Rolle spielen, müssen beendet werden. Es ist notwendig, klare Definitionen zu formulieren und Grenzen zu ziehen. Nicht nur die Gefährdung des eigenen Lebens kann etwas Verbotenes zu etwas Erlaubtem machen. Alles, was durch die fehlende Existenz einer Sache, dem Menschen Schwierigkeiten bereitet, dessen Leben erschwert oder sich negativ auf die Gesellschaft auswirkt, ist als „Notwendigkeit“ zu kategorisieren. Denn schwierige Umstände öffnen das Tor der Erleichterung. Wenn eine Not, eine Erschwernis vorhanden ist, wird versucht, diese aus dem Weg zu räumen, indem das Gebot umfassender gefasst wird.
Die Rechtsschulen definieren den Begriff „halal“ teilweise unterschiedlich. Es gibt Rechtsschulen, die unter den Meereslebewesen nur Fische als halal einstufen, während in anderen Rechtsschulen nahezu alles, was aus dem Meer kommt, halal ist. Ebenso gibt es Rechtsschulen, für die alle auf dem Festland lebenden Säugetiere erlaubt sind, außer, wie es in einem Koranvers heißt, „…verendetes oder vergossenes Blut oder Schweinefleisch – denn dies ist ein Gräuel – oder Unheiliges, über dem ein anderer als Allah angerufen wurde…“. (Sure An’âm, 6:145) Auch ist umstritten, ob vor dem Schlachten das Aussprechen der
Basmala erforderlich ist. Dementsprechend kommt es auch bei ähnlichen Fragen manchmal zu gegensätzlichen Rechtsurteilen. Vor diesem Hintergrund stehen der einheitlichen Zertifizierung von Lebensmitteln große Hindernisse im Weg.
Bei der Überwindung derartiger Hindernisse sind theoretisch folgende Wege beschreitbar:
Eventuell können auch andere Wege beschritten werden, doch in jedem Fall muss eine Diskussion stattfinden, auf die ein Beschlussfolgen sollte.
Des Weiteren können zwischen dem Zertifizierer und dem Staat folgende Schwierigkeiten entstehen: Soll die Zertifizierungsstelle staatlich oder zivil sein? Was sind die jeweiligen Vor- und Nachteile? Wie können auftretende Streitigkeitenbeigelegt werden? Die Gefahr des staatlichen Missbrauchseiner solchen Institution legt nahe, eine zivile Organisation mit derZertifizierung zu beauftragen.Doch hier ist ebenfalls die Möglichkeit des Missbrauchs sowie desKonfliktes gegeben.
Die Veränderung der Form und der Essenz einer Substanz Mediziner, Chemiker, Biologen und andere Wissenschaftler, die keine Rechtsgelehrten sind, verstehen unter der Wandlung einer Substanz durch „Vermischung und Veränderung“ nicht dasselbe wie Rechtsgelehrte. Hier unterscheidet sich ihr Verständnis vom islamischen Recht. So ist die Möglichkeit gegeben, dass sie etwas als verboten einstufen, was gemäß dem islamischen Recht erlaubt ist. Haram, halal oder makrûh sind praxisbezogene Rechtskategorien in der islamischen Rechtswissenschaft.
Was aus Sicht der Medizin, Chemie oder Physik nicht als „Veränderung oder Auflösung“ definiert wird, kann im islamischen Recht durchaus als „Veränderung“ gelten, die eine entsprechende Beurteilung als rein, unrein, erlaubt oder verboten nach sich zieht. Die verschiedenen Wissenschaftszweige sollten bei der rechtlichen Beurteilung nur hinzugezogen werden, wenn es um die Bestimmung der Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen geht. Ansonsten sollte man sich an die im islamischen Recht vorgesehenen Maßstäbe der „Veränderung“ halten.
Was die Unreinheit diverser (alkoholischer) Getränke angeht, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Nehmen wir zum Beipsiel Wein: Wein, der aus ungekochtem Traubensaft gewonnen wird, ist sowohl laut diverser bekannter Gelehrter nicht unrein; es zu trinken ist verboten. Das Gebet wird nicht ungültig, wenn es auf die Kleidung oder den Gebetsplatz gelangt. Der Mehrheit der Gelehrten zufolge ist Wein unrein und ist ein Hindernis für das Gebet.
Die Befürworter der ersteren Ansicht sagen, das Wort „Ridschs“ im betreffenden Koransvers (Sure Mâida, 5:90) sei nicht als materielle, sondern als geistige Unreinheit zu verstehen. Die Mehrheit der Gelehrten legt „Ridschs“ als materielle Unreinheit aus und gelangt zum genannten Urteil. Wein, der aus trockenen oder feuchten Datteln und aus trockenen Trauben gewonnen wird: Diese Getränke sind, ob viel oder wenig, verboten, also haram; hierüber herrscht Einvernehmen. Umstritten ist aber, ob diese auch unrein sind.
Andere berauschende Getränke: Es gibt keinen Beweis dafür, dass Getränke, die aus Substanzen außer Trauben und Datteln hergestellt werden und von denen eine kleine oder große Mengen betrunken macht, unrein sind. Zusammengefasst kann gesagt werden: Da die Herstellung von Spiritus und Eau de Cologne aus Wein zu teuer ist, werden sie ohne Wein hergestellt. Hierfür werden Riedgras, Kartoffeln, einige Baumarten, Mais und ähnliches verwendet. So ist Eau de Cologne und Spiritus erlaubt, wenn es verwendet wird, um schlechte Gerüche loszuwerden. Es ist auch kein Hindernis für das Gebet, wenn es sich auf der Kleidung bzw. auf dem Gebetsplatzbefindet.
Der Mehrheit der Gelehrten zufolge muss die Art des Schlachtens der Ahl al-Kitâb, der Schriftbesitzer, denen der Muslime entsprechen. Hierbei muss das Tier mit einem Schnitt, das mit einem scharfen Werkzeug durchgeführt werden muss, getötet werden. Laut einer Gruppe der Malikiten muss sie nicht der Art der muslimischen Schächtpraxis ähneln; wichtig ist nur, dass es ihrer Religion gemäß durchgeführt wird. Laut den Befürwortern dieser Meinung gilt: Wenn die Ahl al-Kitâb ein als erlaubt geltendes Tier schächten oder töten, schaut man erst, ob die Art des Tötens ihrer Religion entspricht. Wenn dies der Fall ist und das Fleisch von frommen Menschen ihrer Religion verzehrt wird, dürfen es auch Muslime verzehren. Wenn es entsprechend ihrer Religion nicht gegessen werden darf, ist es auch Muslime nicht erlaubt.