Bei dem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch sind 51 Menschen getötet worden. Zum Jahrestag sprechen wir im IslamiQ-Interview mit Christchurch-Imam Gamal Fouda über die Auswirkungen des Anschlags.
IslamiQ: Herr Fouda, während des Angriffs in Christchurch waren auch Sie in der Moschee. Was haben Sie gehört und gesehen?
Imam Gamal Fouda: Etwa fünf Minuten nachdem ich meine Freitagsansprache vor 200 Gläubigen begonnen hatte, hörten wir plötzlich Schüsse. Einige sprangen auf und schrien. Dann peitschten Kugeln durch die Al-Noor-Moschee. Der Täter ermordete 43 Menschen unserer Gemeinde.
Ein algerischer Bruder schrie „Hier wird geschossen“, dann sprang er auf und schlug ein Fenster ein. Alle liefen in die große Halle, einige sprangen aus dem Fenster. Deshalb kamen auf der rechten Seite des Raumes weniger Menschen ums Leben. Auf der linken Seite dagegen fielen sie aufeinander. Der Täter stand einfach nur da, vollkommen ruhig, und feuerte. Sobald er von irgendwo ein Geräusch hörte, schoss er. Dann ging ihm die Munition aus und es wurde still. Wir waren uns zunächst nicht sicher, ob er weg war. Wir fürchteten, er könne sich irgendwo im Gebäude versteckt haben.
Irgendwann wurde uns klar, dass er gegangen war. Er wusste nicht, wo wir waren. Die Menschen kamen aus ihren Verstecken, doch da kam er zurück und begann erneut, zu schießen.
Ich konnte gar nicht fassen, dass ich den Anschlag überlebt hatte. Vor lauter Rauch konnten wir kaum atmen. Zwei Tage lang konnte ich nicht schlafen. Auch danach schaffte ich es immer nur für höchstens drei Stunden.
IslamiQ: Wie haben Sie es geschafft, nach dem Angriff auf Ihre Moschee so ruhig, gelassen und auch verständnisvoll zu bleiben? Was hat Sie angetrieben?
Fouda: Der Terrorist hat die vielen unschuldigen Kinder, Frauen und Männer, die sich zum Gottesdienst in der Al-Noor-Moschee versammelt hatten, nicht nur kaltherzig innerhalb weniger Minuten getötet, er hat sein abscheuliches Verbrechen auch noch stolz in den sozialen Medien geteilt. Die Opfer dieses Anschlags sind nicht nur Märtyrer für die Muslime, sondern für die gesamte Menschheit, für Liebe und Frieden. Deshalb wollte auch ich für die Liebe einstehen.
IslamiQ: In Christchurch und weltweit gab es eine Welle der Solidarität mit Muslimen. Vor allem Premierministerin Jacinda Ardern wurde für ihre große Anteilnahme und Unterstützung für die Muslime gelobt. Was sagen Sie dazu?
Fouda: Unsere Premierministerin hat Führungsstärke gezeigt und damit den Führern der Welt eine Lektion erteilt. Sie hat sich mit unseren Familien getroffen, sie umarmt, Tränen des Mitgefühls vergossen. Mit dem Tragen des Kopftuchs haben uns neuseeländische Frauen Ehre erwiesen uns sind eins mit uns geworden. Dafür danke ich ihnen.
Ich danke allen für ihre Solidarität während dieser schweren Zeit, ebenso den Kirchen in Christchurch und ganze Neuseeland. Ihre große Unterstützung hat uns gezeigt, dass wir wichtig und nicht vergessen sind. Ein Rabbiner aus Oakland kam extra nach Christchurch, um uns Hoffnung zu geben und uns zu unterstützen. All das hat uns, der muslimischen Gemeinde von Christchurch ungeheuer viel bedeutet. Die Unterstützung hat uns vereint und stärker gemacht. Wir haben der Welt gezeigt, dass uns Muslim- und Menschenfeinde nicht spalten können.
IslamiQ: Was haben Sie gedacht und gefühlt, als sie hörten, dass ein Attentäter in Hanau neun unschuldige Menschen, die meisten von ihnen Muslime, getötet hat?
Fouda: Er war ein Terrorist, und Terroristen folgen dem Teufel. Sie folgen dem Ruf des Bösen. Diese Terroristen gehören in dieselbe Kategorie wie der IS. Sie wollen Nationen in Fraktionen und Kleingruppen spalten und Hass verbreiten.
IslamiQ: Was kann gegen solche Angriffe getan werden? Wo liegt unsere Verantwortung im Kampf gegen Islamhass und Diskriminierung?
Fouda: Wir sollten ihnen keine Gelegenheit bieten. Deshalb bin ich nach dem 15. März nach Deutschland geflogen. Ich weiß, dass der Rechtsextremismus in Deutschland erstarkt. Als Muslime und Nichtmuslime stehen wir gemeinsam für Liebe und ein gedeihliches Miteinander, wir sind Friedensstifter. Der Hass wird die Liebe niemals besiegen. Wenn wir in Liebe zusammenstehen, wird das unsere Länder stärker machen gegen den Hass. Diese Botschaft werde ich auch weiterhin verbreiten.
Diese Menschen sind dumm und herzlos. Sie sind Feinde der Menschheit und repräsentieren in keiner Weise die friedliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Den Angehörigen, die bei diesem Terroranschlag geliebte Menschen verloren haben, möchte ich mein Beileid aussprechen. Wir sollten diesen Leuten eine Botschaft der Liebe entgegensetzen. Sie haben in Neuseeland nicht gesiegt und sie werden auch in Deutschland mit ihren Spaltungsversuchen scheitern.
IslamiQ: Am 17. März findet in Minnesota die „Challenging Islamophobia“-Konferenz statt, auf der Sie sprechen werden. Was wird Ihre Botschaft sein?
Fouda: Der Anschlag in Christchurch richtete sich nicht nur gegen Muslime oder gegen Neuseeland, sondern auch gegen die moralischen Werte der westlichen Gesellschaften. Dieses grausame Attentat hat die Herzen von Milliarden von Menschen weltweit gebrochen, nicht nur die der Neuseeländer. Ich richte meine Botschaft an Politiker und Medien weltweit: Steht auf gegen Islamhass! Islamhass ist real. Islamhass tötet! Muslime erfahren das seit Jahren schon schmerzhaft.
Wir haben es hier mit einer gezielten Kampagne zu tun, die darauf gerichtet ist, Muslime zu entmenschlichen und eine irrationale Angst vor ihnen, ihrer Kleidung, ihrer Art zu beten, ihrem Essverhalten, kurz: der Art, wie wir unseren Glauben leben zu schüren. 51 Tote und 42 Verletzte in Christchurch – das ist nicht über Nacht passiert. Es war das Ergebnis der antimuslimischen Hetze einiger Politiker und Medien.
Für Politiker ist es nun an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen und Gesetze gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus zu erlassen. Christchurch und leider zu viele andere Ereignisse sind der Beweis dafür, dass der Terrorismus keine Ethnie, keine Nationalität und keine Religion hat. Der Aufstieg von Rechtsextremismus und White Supremacy ist eine Bedrohung für die gesamte Menschheit und muss sofort beendet werden. In seiner Abschiedspredigt sagte der Prophet Muhammad (s): „Die Menschen gleichen einander wie die Zähne eines Kammes.“
Das Interview führte Ilknur Küçük.