Muslimische Akademiker

„Speisegebote sind ein zentraler Aspekt im rituellen Leben“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Irem Kurt über die Reinheit von Lebensmitteln im islamischen Recht.

28
03
2020
Leben

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Irem Kurt: Ich bin im bayrischen Schweinfurt geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich in Istanbul an der Marmara Universität islamische Theologie studiert. Meinen Master habe ich in islamischem Recht an derselben Universität absolviert. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich mit Rechtsmaximen des spätrömischen Rechts und frühislamischen Rechtsprinzipien beschäftigt. Nun forsche und lehre ich an der Universität Osnabrück im Bereich der islamischen Normenlehre und islamischen Rechtstheorie. Durch meine Dissertation lerne ich nun auch einen Schwerpunkt kennen, der immer mehr an Relevanz gewinnt: islamische Ethik.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Kurt: In meinem Forschungsvorhaben handelt von der „(Un)reinheit von Speise im islamischen Recht: eine Begriffsanalyse von ḫabīṯ und ṭayyib in der islamischen Rechtsliteratur“. Hier stelle ich mir die Frage, wie die koranischen Begriffe Habîs und Tayyib in der Rechtsliteratur zu den Speisegeboten verstanden und bei Argumentationsmustern angewandt werden. Die Bedeutung des Begriffspaares im koranischen Sprachgebrauch reicht von schlecht-gut, giftig-ungiftig, schädlich-unschädlich bis hin zu widerwärtig-appetiterregend. Die Analyse der Verwendung der Begriffe soll zudem durch die Untersuchung relevanter Verse in exegetischen Werken und die Erschließung vorislamischer Speisegebote im syrisch-christlichen Milieu und dem Judentum auf der arabischen Halbinsel erweitert werden.

Ziel der Arbeit ist es also, mittels einer Begriffsanalyse von Habîs und Tayyib zu hinterfragen, ob es bei islamischen Speisegeboten einen ermittelbaren und auf andere Fälle erweiterbaren Rechtsgrund gibt, oder ob diese als ein Bereich der gottesdienstlichen Handlungen sich dem rational erschließbaren und rechtlich erweiterbaren Bereich entziehen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Frage soll einem rechtstheoretischen Ansatz im Bereich der islamischen Speisegebote dienen und dem Diskurs um eine islamrechtlich begründbare Diätethik beitragen.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt?

Kurt: Speisegebote sind ein zentraler Aspekt im rituellen Leben eines gläubigen Muslims. Besonders im Kontext einer mehrheitlich nichtmuslimischen Gesellschaft gewinnt das Thema einen besonderen identitätsstiftenden und -bewahrenden Charakter. Im globalen Diskurs steht jedoch eine zunehmende Sensibilität auf die moralische Vetretbarkeit von Nahrungskonsum im Vordergrund, der auf mehreren Ebenen erfolgt. So werden auf der gesundheitlichen Ebene der Konsum von genmutierten Saatkörnern, auf der umwelt- und bioethischen Ebene der Konsum von nicht nachhaltig erwirtschafteten Produkten und auf der tierethischen Ebene, der Konsum von Fleischprodukten in Frage gestellt.

Muslimische Intellektuelle, die sich an diesem Diskurs beteiligen, hinterfragen somit auch die diätmoralischen Aspekte der eigenen Religion. Somit hat sich in den letzten 10 Jahren eine Fokussierung auf „Halal Food“etabliert, die jenseits von religiös-rituellen Tabuvorstellungen verläuft und eine islamische Diätmoral verteidigt. Hier bin ich zum ersten Mal auf die Begrifflichkeiten aufmerksam geworden und begann weiter zu recherchieren.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Kurt: Wir sind gesamtgesellschaftlich sensibilisierter in Fragen der Umwelt- und Bioethik geworden. Das Thema ist also höchstaktuell, was bis jetzt eigentlich nur positive Resonanz mit sich gebracht hat. Es birgt jedoch auch die Gefahr, falsch verstanden zu werden: Ich bin nicht gegen eine islamische Diätmoral, sondern ganz im Gegenteil; ich denke, dass die koranische Botschaft diese fordert. Ihr Begründungsdiskurs sollte jedoch methodisch erforscht und ausgearbeitet worden sein. Ich hoffe dem zumindest in einem spezifischen Bereich beitragen zu können.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Kurt: Für uns Muslime in einer mehrheitlich nichtmuslimischen Gesellschaft gewinnt die Frage nach einer religiös konformen Ernährung einen besonderen identitätsstiftenden Charakter. So sind hierzulande lebende Muslime besonders darauf bedacht, diese einzuhalten. Die zunehmende Sensibilisierung ethisch vertretbar Nahrung zu konsumieren macht sich insbesondere bei jungen Muslimen bemerkbar. Über den praxisrelevanten Bereich hinaus möchte ich mehr wissenschaftliche Perspektiven im Bereich der islamischen Rechtstheorie bzw. islamischen Rechtsphilosophie erarbeiten, die nützlich sein können.

Leserkommentare

Kafira sagt:
Liebe Leser, Das Klären dieserart " wichtige Fragen unserer Zeit " wird sicherlich massgeblich dazu beitragen, den erheblichen wissenschaftlichen Rückstand der Muslims einzuholen. Mit Hilfe weitere Muslims, welche ähnlich wichtige " Fragen unserer Zeit" nachgehen. wäre es eventuell möglich, das technisch-wissenschaftliche Niveau eines mordernen Industriestaates, -- z.B. Israël -- bis Ende dieses Jahrhunderts zu erreichen. Dann wäre der Grundstein gelegt, im nächsten Jahrhundert den historisch ersten ' Islamischen Nobelpreis ' für eine anspruchsvollen wissenschaftliche Disziplin zu feiern. Kafira wünscht dazu Viel Erfolg!
29.03.20
1:30
Sabine Amina Richter sagt:
MashaAllah - es freut mich dass sich junge Muslime mit diesem komplexen Thema beschäftigen. Wird die Doktorarbeit publiziert oder gibt es eine Möglichkeit sie zu lesen? Würde mir gerne die Arbeit anschauen, ev. auch Feedback geben. Freundliche Grüße, ma salama.
29.03.20
11:03