CORONA-KRISE

„Menschen greifen in Krisensituation auf die Religion zurück“

Die Corona-Krise stellt auch Muslime und Moscheen vor große Herausforderungen. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit dem Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Burhan Kesici, über den Wandel des muslimischen Lebens in Zeiten der Corona-Krise.

19
04
2020
Corona-Krise
KRM Sprecher Burhan Kesici © Facebook, bearbeitet by iQ

IslamiQ: Herr Kesici, was für Schwierigkeiten haben Moscheen in der Corona-Krise?

Burhan Kesici: Mit der Corona-Krise wurden die Aktivitäten in den Moscheen schrittweise heruntergefahren. Aktuell geraten viele Moscheen in finanzielle Schwierigkeiten. Insbesondere weil die Monatsbeiträge ausstehen und keine Spenden vor Ort gesammelt werden können. Die Gemeindebesucher hatten finanziell intensiv zum Erhalt der Gemeinden beigetragen. Das fällt jetzt erstmal aus.

IslamiQ: Was tun Moscheegemeinden konkret gegen die Corona-Pandemie?

Kesici: Die Gemeinden haben relativ früh auf die Corona-Pandemie reagiert, indem sie alle Gemeinschaftsgebete ausgesetzt haben. Damit haben sie dazu beigetragen, dass sich der Virus nicht weiter ausbreitet. Zudem wurden Nachbarschaftshilfen und andere Initiativen gegründet, um ältere und kranke Menschen, die als Risikogruppen gelten, zu unterstützen. Etwa bei den Einkäufen, Besorgungen und ähnlichem. Das heißt, es ist auch eine neue Dynamik entstanden, die wir vielleicht nach der Corona-Krise in einer anderen Art und Weise fortführen können.

IslamiQ: Viele Angebote und Dienste in den Moscheen sind coronabedingt nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Welche Alternativen gibt es?

Kesici: Mit der Schließung der Moscheegemeinden wurden auch alle anderen Dienstleistungen und Aktivitäten eingestellt. Diese wurden dann auf die sozialen Medien übertragen, wie zum Beispiel die Predigten der Imame. Der Religionsunterricht am Wochenende wird durch Videokonferenzen und ähnlichen interaktiven Methoden alternativ weitergeführt. Es ist momentan zwar nicht so effektiv wie in der Moschee, aber zumindest ist zu erkennen, dass eine gewisse Flexibilität entstanden ist, bei der versucht wird, das Beste aus der Situation zu machen. Es gibt auch sehr viele weitere Formate, die über z. B. auf YouTube vorhanden sind. Fraglich ist, ob diese Angebote langfristig Anklang finden und ein Ersatz für das Gemeindeleben in den Moscheen sein können.

Wir gehen davon aus, dass die Gemeindemitglieder die alternativen und digitalen Dienstleistungen der Moscheen in Anspruch nehmen werden. Vor allem Muslime, die keine enge Bindung zu Moscheegemeinden haben, könnten somit zur Moschee finden.

IslamiQ: Wie verändert Corona das religiöse Leben der Muslime?

Kesici: Viele Muslime berichten darüber, dass sie das Gemeindeleben vermissen. Auch Menschen, die nicht unbedingt jeden Tag oder jede Woche in die Moschee gegangen sind, merken, dass die Gemeinde ihnen eine gewisse Sicherheit gegeben hat. Vielen fehlt ihre Gemeinde. Sie führen ihre Spiritualität zu Hause fort, indem sie mit den Familienmitgliedern den Koran oder andere religiöse Bücher lesen, sich über den Sinn des Lebens unterhalten und sich religiöse Andachten auf den Social-Media-Plattformen anschauen und teilen. Das zeigt, dass die Menschen gerade in der Krisensituation auf die Religion zurückgreifen. Wir hoffen, dass nach der Corona-Krise zumindest diese Spiritualität auch in die Gemeinden hineingetragen und weiterhin ausgelebt wird.

IslamiQ: Der Ramadan steht vor der Tür. Wie bereiten sich die Gemeinden darauf vor?

Kesici: So wie es aussieht, müssen wir auch im Ramadan mit Einschränkungen rechnen. Wie eine schrittweise Normalisierung der Gottesdienste geschehen kann, beraten wir gerade mit der Bundesregierung und den Ländern. Aber wir gehen davon aus, dass der Ramadan nicht in der Form, wie wir das aus den letzten Jahren gewohnt sind, stattfinden wird. Und deswegen bereiten sich die islamischen Religionsgemeinschaften und Moscheen darauf vor, viele Formate online anzubieten. Dort könnten bestimmte religiöse Angebote wie das Koranlesen im Ramadan, Predigten und Iftar-Veranstaltungen – das heißt Predigten zum Iftar – genutzt werden.

Der Ausfall der gemeinschaftlichen Iftar-Abende und Tarâwîh-Gebete wird sich auf das geistige Leben der Muslime auswirken. Denn der Ramadan stellt für Muslime den Höhepunkt des Jahres dar.

IslamiQ: Viele Kommunen erlauben den Moscheen, öffentlich zum Gebet zu rufen. Ist das ein Krisenphänomen?

Kesici: Auch wenn es sich dabei um ein Krisenphänomen handelt, halte ich es für einen sehr positiven Schritt. Wir sehen aber auch, dass sich viele Kommunen aufgrund der möglichen negativen Reaktionen querstellen und den öffentlichen Gebetsruf nicht erlauben. Für die Gläubigen bietet diese Geste aber Trost und Halt. Möge Allah uns in dieser Situation helfen!

Das Interview führte Recep Yılkın.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Ramadan ohne Moschee, ohne Tarawih-Gebet, ohne Iftar-Einladungen, ohne Iftar-Programme. Das wir das mal erleben werden. Das ist für Christen wie Weihnachten ohne Kirche, ohne Nikolaus, ohne Weihnachtsmann, ohne Weihnachtsmärkte, ohne Adventszeit. Aber da müssen wir jetzt durch. Ob wir es wollen oder nicht. Gesundheit geht nunmal vor. Was den öffentlichen Muezzinruf angeht, sind die Bedenken übertrieben - jedoch berechtigt, falls gefühlte 100 Dezibel laut aufgedreht wird. Im Prinzip gilt: So lange es nicht zu laut ist bzw. nicht lauter als lärmschutzrechtlich zulässig, ist es in Ordnung.
19.04.20
16:33
Harousch sagt:
Krisenzeiten sind Zeiten in denen Religionsgemeinden mehr Zulauf bekommen. Dass diese Theorie nicht immer zutrifft, zeigen aktuelle Ereignisse. Letztens wurde im Fernsehen über eine Kirche in Thüringen berichtet, wo die ersten Lockerungen zum gemeinsamen Gottesdienst gläubigen Christen den Zutritt in die Kirche ermöglichte. Soweit so gut. Ganz natürlich unter Berücksichtigung des gängigen Infektionsschutzes, sowie unter Einhaltung des Sicherheitsabestandes als auch für maximal 30 Personen. Verblüffend aber auch ein Armutszeugnis ist die Tatsache, dass sich die Zahl der teilnehmenden Kirchengängerinnen nach der Öffnung sich auf grobgeschätzt 15 belief. Es gibt deutschlandweit in jedem kleinen Kaff eine Kirche, die vielerorts einen rein symbolischen Charakter haben, da allen Anschein nach kaum noch jemand die Kirche besuchen geht und wenn dann höchstens zu Weihnachten oder Ostern. Übrigens beide Feiertage haben keinen christlichen Hintergrund. An Weihnachten wird Christi Geburt gefeiert, obwohl Christus im Spätsommer geboren wurde. Wenn man durch die ganze Geschichte, ein paar Tausend Jahre zurück blickt, markiert der Zeitabschnitt um den 25.12. eines Jahres den Geburtstag Mithras. (Mithras Kult aus dem fernen Perserreich...) Genauso wurde an Ostern das Frühlingserwachen gefeiert durch naturnahe Glaubensrichtungen oder etwa Kelten sowie Germanen um den 20. und 21. März eines jeden Jahres bis die christlichen Missionare kamen und dem Ganzen das christliche Kostüm überstülpten.... Heute noch feiern Afghanen und Iraner am 21. März das Naurooz-Fest. Hierzu gibt es viele Interessante und erhellende Geschichten.... Auf der anderen Seite platzen die Moscheen aus allen Nähten und der Ruf nach mehr räumlicher Kapazitäten steigt stetig. All dies trotz und entgegen negativer Debatten der letzten Jahrzehnte und medialer als auch politischer Denunziation der Muslime in einer pervertierten Form, welche nur durch das Übel des Holocausts übertroffen werden kann.
28.04.20
19:49
Johannes Disch sagt:
@Harousch (28.04.2020, 19:49) Ja, im Jammern seid ihr Spitzenklasse! Die Opferinszenierung habt ihr wirklich drauf! Von wegen, die Denunziation der Muslime wäre dem Holocaust vergleichbar.... Das ist eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust! Ihr habt in Deutschland mehr Freiheiten als in euren Herkunftsländern. Deshalb kommt ihr ja hierher.
01.05.20
14:23
Johannes Disch sagt:
@Harousch (28.04.2020, 19:49) --- "obwohl Christus im Spätsommer geboren wurde." (Harousch) Das Geburtsdatum von Jesus ist unbekannt.
03.05.20
13:40