Die Corona-Krise stellt auch Muslime und Moscheen vor große Herausforderungen. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit dem Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Burhan Kesici, über den Wandel des muslimischen Lebens in Zeiten der Corona-Krise.
IslamiQ: Herr Kesici, was für Schwierigkeiten haben Moscheen in der Corona-Krise?
Burhan Kesici: Mit der Corona-Krise wurden die Aktivitäten in den Moscheen schrittweise heruntergefahren. Aktuell geraten viele Moscheen in finanzielle Schwierigkeiten. Insbesondere weil die Monatsbeiträge ausstehen und keine Spenden vor Ort gesammelt werden können. Die Gemeindebesucher hatten finanziell intensiv zum Erhalt der Gemeinden beigetragen. Das fällt jetzt erstmal aus.
IslamiQ: Was tun Moscheegemeinden konkret gegen die Corona-Pandemie?
Kesici: Die Gemeinden haben relativ früh auf die Corona-Pandemie reagiert, indem sie alle Gemeinschaftsgebete ausgesetzt haben. Damit haben sie dazu beigetragen, dass sich der Virus nicht weiter ausbreitet. Zudem wurden Nachbarschaftshilfen und andere Initiativen gegründet, um ältere und kranke Menschen, die als Risikogruppen gelten, zu unterstützen. Etwa bei den Einkäufen, Besorgungen und ähnlichem. Das heißt, es ist auch eine neue Dynamik entstanden, die wir vielleicht nach der Corona-Krise in einer anderen Art und Weise fortführen können.
IslamiQ: Viele Angebote und Dienste in den Moscheen sind coronabedingt nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Welche Alternativen gibt es?
Kesici: Mit der Schließung der Moscheegemeinden wurden auch alle anderen Dienstleistungen und Aktivitäten eingestellt. Diese wurden dann auf die sozialen Medien übertragen, wie zum Beispiel die Predigten der Imame. Der Religionsunterricht am Wochenende wird durch Videokonferenzen und ähnlichen interaktiven Methoden alternativ weitergeführt. Es ist momentan zwar nicht so effektiv wie in der Moschee, aber zumindest ist zu erkennen, dass eine gewisse Flexibilität entstanden ist, bei der versucht wird, das Beste aus der Situation zu machen. Es gibt auch sehr viele weitere Formate, die über z. B. auf YouTube vorhanden sind. Fraglich ist, ob diese Angebote langfristig Anklang finden und ein Ersatz für das Gemeindeleben in den Moscheen sein können.
Wir gehen davon aus, dass die Gemeindemitglieder die alternativen und digitalen Dienstleistungen der Moscheen in Anspruch nehmen werden. Vor allem Muslime, die keine enge Bindung zu Moscheegemeinden haben, könnten somit zur Moschee finden.
IslamiQ: Wie verändert Corona das religiöse Leben der Muslime?
Kesici: Viele Muslime berichten darüber, dass sie das Gemeindeleben vermissen. Auch Menschen, die nicht unbedingt jeden Tag oder jede Woche in die Moschee gegangen sind, merken, dass die Gemeinde ihnen eine gewisse Sicherheit gegeben hat. Vielen fehlt ihre Gemeinde. Sie führen ihre Spiritualität zu Hause fort, indem sie mit den Familienmitgliedern den Koran oder andere religiöse Bücher lesen, sich über den Sinn des Lebens unterhalten und sich religiöse Andachten auf den Social-Media-Plattformen anschauen und teilen. Das zeigt, dass die Menschen gerade in der Krisensituation auf die Religion zurückgreifen. Wir hoffen, dass nach der Corona-Krise zumindest diese Spiritualität auch in die Gemeinden hineingetragen und weiterhin ausgelebt wird.
IslamiQ: Der Ramadan steht vor der Tür. Wie bereiten sich die Gemeinden darauf vor?
Kesici: So wie es aussieht, müssen wir auch im Ramadan mit Einschränkungen rechnen. Wie eine schrittweise Normalisierung der Gottesdienste geschehen kann, beraten wir gerade mit der Bundesregierung und den Ländern. Aber wir gehen davon aus, dass der Ramadan nicht in der Form, wie wir das aus den letzten Jahren gewohnt sind, stattfinden wird. Und deswegen bereiten sich die islamischen Religionsgemeinschaften und Moscheen darauf vor, viele Formate online anzubieten. Dort könnten bestimmte religiöse Angebote wie das Koranlesen im Ramadan, Predigten und Iftar-Veranstaltungen – das heißt Predigten zum Iftar – genutzt werden.
Der Ausfall der gemeinschaftlichen Iftar-Abende und Tarâwîh-Gebete wird sich auf das geistige Leben der Muslime auswirken. Denn der Ramadan stellt für Muslime den Höhepunkt des Jahres dar.
IslamiQ: Viele Kommunen erlauben den Moscheen, öffentlich zum Gebet zu rufen. Ist das ein Krisenphänomen?
Kesici: Auch wenn es sich dabei um ein Krisenphänomen handelt, halte ich es für einen sehr positiven Schritt. Wir sehen aber auch, dass sich viele Kommunen aufgrund der möglichen negativen Reaktionen querstellen und den öffentlichen Gebetsruf nicht erlauben. Für die Gläubigen bietet diese Geste aber Trost und Halt. Möge Allah uns in dieser Situation helfen!
Das Interview führte Recep Yılkın.