Islamischer Religionsunterricht

„Rechte der Muslime sind der Politik zum Opfer gefallen“

Das Land Hessen hat seine Zusammenarbeit mit der DITIB im Rahmen des islamischen Religionsunterrichts beendet. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit Salih Özkan, Vorsitzender der DITIB-Hessen, über die Hintergründe.

09
05
2020
Vorsitzender der DITIB-Hessen Salih Özkan
Vorsitzender der DITIB-Hessen Salih Özkan

IslamiQ: Seit 2013 wird in Hessen islamischer Religionsunterricht (IRU) in Kooperation mit der DITIB angeboten. Nun hat die Landesregierung die Kooperation eingestellt. Wie ist es dazu gekommen?

Salih Özkan: Vergangene Woche hat uns der stellvertretende Staatssekretär des Kultusministeriums angerufen und die Entscheidung „mitgeteilt“. Wenige Stunden danach hielt der Minister eine Pressemitteilung ab und erklärte, dass der islamische Religionsunterricht in Hessen nicht weiter in Kooperation mit der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB-Hessen fortgeführt wird.

Doch die aktuelle Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf die Art und Weise, wie uns die Entscheidung mitgeteilt wurde. Obwohl wir schon seit 2013 mit dem Land im Rahmen des islamischen Religionsunterrichtes kooperieren, blieben uns seit über einem Jahr alle Kommunikationskanäle verschlossen. Wir haben ein Jahr lang keine Antworten auf unsere Anfragen erhalten. Auch die nun veröffentlichten Gutachten, die dem Ministerium seit Oktober 2019 vorliegen, wurden uns erst am Tag der Entscheidungsverkündung zugänglich gemacht. Leider gehe ich in diesem Fall davon aus, dass die Entscheidung bereits vorher getroffen wurde. Es ist keine konstruktive und gutgemeinte Entscheidung. Wir sehen, dass unsere positiven Schritte bezüglich einer Institutionalisierung der muslimischen Gemeinden in Deutschland untergraben werden.

IslamiQ: Das Land Hessen nimmt in Deutschland im Rahmen des IRU eine führende Rolle ein. Was macht ihn aus?

Özkan: Im Bundesland Hessen wurde im Jahr 2013-2014 unter der Federführung des Integrationsministeriums die Erteilung des islamischen Religionsunterrichtes an hessischen Schulen gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes gestartet. Der Lehrplan für den Unterricht wurde in Zusammenarbeit mit dem Ministerium und der Universitäten erstellt, die Lehrerlaubnisse (Idschâza) werden durch eine unabhängige IRU-Kommission der DITIB-Hessen erteilt. Wir haben dieselben Rechte wie die katholische oder evangelische Gemeinschaft erhalten, die ebenfalls den Inhalt ihres Religionsunterrichtes bestimmen.

Damit wurde Hessen zum ersten Bundesland, dass das Grundgesetz umsetzte und die Verfassungsrechte der islamischen Religionsgemeinschaft erfüllte. Dies war ein Erfolgsmodell, das von Muslimen geschätzt wurde. Leider wurde uns dieses Recht entzogen. Wir sind eindeutig enttäuscht.

IslamiQ: Wie hat die Umsetzung des islamischen Religionsunterrichtes seit 2013 bis heute ausgesehen?

Özkan: Muslimische Schüler, die in den vergangenen sieben Jahren am islamischen Religionsunterricht teilnahmen, waren äußerst erfreut und zufrieden. Unter unseren Schülern haben wir Kinder unterschiedlicher ethnischer Herkunft gehabt. Auch das Lehrpersonal, dem wir die Lehrerlaubnis erteilten, zeigte sich ebenfalls sehr zufrieden. In Hessen haben wir aktuell an 56 Grundschulen sowie an 12 weiteführenden Schulen für die Klassenstufen 1 bis 6 islamischen Religionsunterricht angeboten. Also an insgesamt 68 Schulen. Allein in diesem Jahr haben ca. 3500 Schüler am Islamunterricht teilgenommen. Abgesehen davon haben wir dafür gesorgt, dass diese Schüler und ihre Familien ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen. In der Tat können wir sagen, dass bis gestern alle, auch das Kultusministerium, von einem beanstandungs- und störungsfreies Erfolgsmodell gesprochen haben.

An dieser Stelle möchten wir auch daran erinnern, dass es sich bei den Religionslehrkräften in den Schulen um hier geborene, aufgewachsene und sozialisierte Bürger dieses Landes handelt. Somit sind die Lehrkräfte dieses Unterrichtsfaches Personen, die an deutschen Universitäten ihre Ausbildung erhalten, mittels des Staatsexamens geprüft wurden und von uns als Religionsgemeinschaft ihre Lehrerlaubnis erhalten und hierdurch unser Vertrauen ausgesprochen bekommen haben. Es sind hochqualifizierte Beamte des Landes Hessen, die einen didaktisch und religionspädagogisch wertvollen Unterricht verantworten.

Als der islamische Religionsunterricht im Jahr 2013 in Hessen zum ersten Mal erteilt wurde, sollte der Prozess Schritt für Schritt fortgeführt werden. Das heißt zunächst sollte der Unterricht bis zur sechsten Klassenstufe angeboten und dann für die siebten und achten Klassen ausgebaut werden. Doch dazu kam es nicht. Leider wird es in Hessen im neuen Schuljahr keinen verfassungsmäßigen islamischen Religionsunterricht geben.

IslamiQ: Das Land Hessen will den islamischen Religionsunterricht durch einen alternativen Islamunterricht ersetzen. Würden muslimische Familien ihre Kinder zu diesem Unterricht schicken?

Özkan: Seit Anfang letzten Jahres erteilt der Staat in Hessen „Islamunterricht“ für die siebte Klasse als ersten Versuchsanlauf, ohne dabei die muslimischen Gemeinden miteinzubeziehen. Hier ist die Rede von einem Unterricht, dessen Inhalt von keiner muslimischen Gemeinschaft mitgetragen wird. Also haben wir hier keinen Unterricht, der auf die Annährung zum islamischen Glauben aus religionspädagogisch-reflexiver Sicht abzielt. Diese Alternative soll nun im hessischen Land weiter ausgebaut werden und den ursprünglichen islamischen Religionsunterricht ersetzen.

Wir sind gegen diesen Schritt und werden in diesem Zusammenhang auch die Eltern unserer Schüler über den Verlauf informieren. Wir haben in dieser Phase gesehen, dass die Erklärungen und Aussagen einiger Schulen für unsere Eltern irreführend waren. Die Umsetzung und das Konzept des „Islamunterrichts“ ist völlig intransparent gehalten. Es ist sogar möglich, dass künftig Lehrkräfte nichtmuslimischen Glaubens „Islamunterricht“ erteilen. Aus diesem Grund sind wir verpflichtet, den Eltern die aktuelle Situation mitzuteilen. Wir werden ihnen anraten, sich umfassend über den „Islamunterricht“ zu informieren und sie über die Verluste der religionspädagogischen Vorzüge eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts aufklären.

Im kommenden Schuljahr wird also ein Unterricht angeboten werden, dessen Inhalte nicht durch die DITIB-Hessen oder einer sonstigen sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft mitgetragen werden, und die Lehrerlaubnis für Lehrer wird auch nicht von uns erteilt sein. In diesem Zusammenhang werden wir die Eltern über alle Wege informieren. Die Wahl liegt letztendlich bei ihnen.

IslamiQ: 2017 wurden drei separate Gutachten über den DITIB-Landesverband erstellt. Was beinhalten diese Gutachten?

Özkan: Nach dem Putschversuch in der Türkei entschied das Land Hessen, den DITIB-Landesverband zu begutachten. Insgesamt wurden drei Begutachtungen durchgeführt. Josef Isensee erstellte ein rechtliches Gutachten und Mathias Rohe ein islamwissenschaftliches, während Günter Seufert eine Begutachtung über die staatliche Religionsbehörde der Türkei (Diyanet) erstellte. Das Gutachten von Herrn Isensee war hauptsächlich geprägt von der negativen medialen Wahrnehmung der DITIB. Um die durch Herrn Rohe unter Berücksichtigung der heutigen Realitäten aufgezeigten Empfehlungen umzusetzen, haben wir eine Satzungsänderung und weitere Strukturreformen vorgenommen.

IslamiQ: Welche Änderungen sind das konkret?

Özkan: Wir haben die Position unserer Eltern-, Frauen- und Jugendorganisationen sowie die demokratische Struktur unseres Landesverbandes gestärkt. Wir haben Satzungsänderungen vorgenommen, um die Zweifel und falschen Annahmen im Hinblick auf die DITIB-Hessen vollständig auszuräumen. Abgesehen davon haben wir unser Gemeinderegister aktualisiert und dem Ministerium eingereicht. Des Weiteren wurde eine hauptamtliche Landesgeschäftsstelle sowie ein Referat für Religionspädagogik und theologische Studien (Schulreferat) gegründet. Zudem haben wir von Beginn an eine unabhängige IRU-Kommission, die jegliche Sachfragen des Religionsunterrichts verantwortet. Die Kommission besteht aus fünf muslimischen Theologen – die in keinem Dienstverhältnis zur DITIB stehen und keine Beamte sein dürfen. Sie erteilen die Lehrerlaubnis für Lehrer und genehmigen den Lehrplan sowie die Lehrmaterialien. Kurzum: Wir haben alles getan, damit der Unterricht verfassungsrechtlichen Grundlagen entsprechend fortgesetzt wird.

Wir tragen gegenüber muslimischen Eltern in Hessen eine Verantwortung. Um unserer Verantwortung gerecht zu werden und unseren Kindern islamischen Religionsunterricht anzubieten waren wir bereit, uns allen möglichen Diskussionen zu stellen sowie auch Änderungen vorzunehmen, die unsere Strukturen stärken würden. Wenn Sie mich fragen, war die Entscheidung für das Ministerium bereits klar. Diese Entscheidung wurde auf Grundlage absurder Annahmen getroffen, etwa „Es besteht die abstrakt-theoretische Möglichkeit der potenziellen Einflussnahme durch die Türkei auf den hessischen DITIB-Landesverband.“

IslamiQ: Anhaltspunkte für die DITIB-Türkei-Beziehung gibt die Geschichte, Gründung und Struktur der DITIB gibt es aber schon, oder?

Özkan: Die DITIB ist eine politisch ungebundene religiöse Gemeinschaft. Niemand darf erwarten, dass wir unseren Kern aufgeben und unseren Ursprung leugnen. Die DITIB wurde uns von Menschen, die zum Wiederaufbau dieses Landes beigetragen haben, anvertraut. Sie ist nicht in einem halben Jahrhundert zurückgeblieben, sondern ist ein Teil Deutschlands geworden. Zudem ist sie eine transparente religiöse Gemeinschaft, die für die Gesellschaft da ist.

IslamiQ: Wenn das so ist, was ist dann das Problem?

Özkan: Die politischen Autoritäten befinden sich im Irrtum. Sie sagen eigentlich: „Ganz egal wie sehr ihr euch einsetzt und wie oft ihr Änderungen vornehmt, letztendlich hängt alles vom Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ab.“ Diese Annahme geht insbesondere aus dem durch Herrn Isensee erstellten Gutachten hervor. Dies ist ein falscher und absurder Ansatz, der die hiesige muslimische Gemeinschaft als das Korps von Herrn Erdoğanbetrachtet. Jedoch wird die Tatsache ignoriert, die Herr Rohe in seinem Gutachten feststellt, nämlich, dass sich die DITIB politisch nicht engagiert und keinen Bezug zur Politik hat.

Ich interpretiere das Ganze folgendermaßen: Meiner Meinung nach gab es bereits eine politische Entscheidung, die klar war. Leider sind die verfassungsmäßigen Rechte der hessischen Muslime der Politik zum Opfer gefallen. Der islamische Religionsunterricht ist zu einer Art Reflexionsfläche der politischen Konflikte geworden.

IslamiQ: Wie möchte der DITIB Landesverband weiter vorgehen?

Özkan: Wir sind der Meinung, dass das hessische Kultusministerium eine falsche Entscheidung getroffen hat. Wir werden gegen diese Entscheidung rechtlich vorgehen und beraten uns aktuell mit Experten des Staatskirchen- und Verfassungsrechts. Wir möchten den islamischen Religionsunterricht für die Klassen 1-6 fortsetzen.

Es geht hier eigentlich nicht um die Institution „DITIB“. Es ist eine Sache, die zunächst die Muslime in diesem Land und ihre verfassungsrechtlichen Angelegenheiten angeht. Ich bin Bürger dieses Landes, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Es ist auch meine Pflicht, das Grundgesetz dieses Landes zu schützen. Aus dieser Verantwortung heraus werde ich gegen diese Entscheidung vorgehen. Ich hoffe, dass nicht nur muslimische Eltern, sondern auch all diejenigen, die für Demokratie und Gleichheit sind, ein offenes Ohr dafür zeigen, und die Umsetzung dieser falschen Entscheidung nicht akzeptieren.

Das Interview führte Elif Zehra Kandemir.

Leserkommentare

Kritika sagt:
An Grege, Disch et al " Het vervallen Huis van de Islam ", das haben Sie, Grege und auch einige andere z. B. Disch empfohlen. Vielen Dank. Das Lesen schon von Recenties, Abstrakts und Leseproben hat bei mir das letzte Promill an Respekt und und Glaubwürdigkeit an Islam und Mufties und Musselmänner und - Frauen Und den Kairorer SuperMusselmännern (Super MuftiFrauen gibt es bei den rückständigen MusselMenschen natürlich nicht) Ich habe das Original, vom Verfasser Ruud Koopmans in Niederländisch bestellt, weil es mich neugierig gemacht hat und es die gemeinsame Muttersprache von Koopmans und von mir ist. Möglicherweise werde ich künftig Kopftuch-Abzieher und Moschee-Besprayer als Befreier und Retter der Abendländische Kultur ansehen und nicht mehr als Begeher einer nichtigen Ordnungs-Widrigkeit. Ich bin gespannt. Gruss, Kritika
17.06.20
1:24
Johannes Disch sagt:
@Grundsätzliches Auch in dieser Überschrift wird wieder suggeriert, Muslimen wäre ein Recht genommen worden. Das trifft nicht zu, da die DITIB keine Religionsgemeinschaft ist. Die ganze Debatte krankt aber an einem grundsätzlichen Fehler: Muslime bekommen eine Sonderbehandlung: Islamkonferenzen, Beiräte in den Rundfunkräten, etc. Das alles ist der Lobbyarbeit der islamischen Verbände zu verdanken und einer falschen Haltung des deutschhen Staates. Der glawubt, er müsste Muslime gesondert behandeln, um sich nicht den Ruf von Rassismus und Diskriminierung einzufangen. Zudem legt er das Kirchenmodell an den Islam an. Das funktioniert aber nicht, da der Islam keine Kirche kennt. Islamische Verbände versuchen derweil, immer mehr islamische Normen in der Gesellschaft zu implementieren: Geschlechtertrennung, Kopftuch am Arbeitsplatz, Burkini, etc. Das alles hat in einer liberalen westlichen Gesellschaft nichts verloren und fällt nicht unter Religionsfreiheit. Warum gibt es eine Islamkonferenz aber keine Jesiden-Konferenz? Warum gibt es muslimische Beiräte in Rundfunkräten aber keine buddhistischen?? Deutschland sollte sich nicht länger von den islamischen Verbänden einseifen lassen und nicht länger auf die Opferrrolle-- Muslime werden angeblich Rechte verweigert--- hereinfallen. Deutschland sollte Muslime so behandeln, wie alle anderen religiösen Minderheiten auch.
18.06.20
9:36
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: „Lösung kann hier ein Ansatz nach österreicheichen Vorbild sein ("Islamgesetz") Das ist der völlig falsche Weg! Das Konkordat mit dem Vatikan sowie das davon abweichende Protestanten-, Isrealiten- und Islamgesetz, die wiederum divergierende Normen enthalten, widerspricht der Gleichheit vor dem Gesetz fundamental. Auch für alle Religionsgemeinschaften sollte ausschließlich das Vereinsgesetz gelten, wie für die politische Parteien, den Gewerkschaftsbund, die Industriellenvereinigung, Greenpeace und Amnesty International. Warum gerade ausgewählten Religionsgemeinschaften den Sonderstatus einer Körperschaft öffentlichen Rechts einräumen? Nach den Islamverbänden kommen dann Wohl die Zeugen Jehovas und die Scientology-Kirche als nächste mit ihren Begehrlichkeiten.
26.06.20
21:13
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Es ist nun einmal so, dass bei und in Deutschland Religionsgemeinschaften auch juristisch einen besonderen Status haben. Das hat historische Gründe. Das gilt auch für Österreich. Aber das hier ist ein deutsches Forum, weshalb ich mich überwiegend auf Deutschland fokussiere. Selbstverständlich hat auch der Islam das Recht, auf eine angemessene juristische Vertretung und einen angemessenen Status. Die Frage ist nur, wie man das macht. Und da finde ich, dass Österreich mit seinem Islamgesetz einiges richtig gemacht hat, was sich Deutschland vielleicht abschauen könnte. Und das ist vor allem das Verbot der Auslandsfinanzierung.
30.06.20
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