Die Corona-Krise beschert Muslimen einen ungewöhnlichen Ramadan. Doch was auf den ersten Blick wie ein Nachteil aussieht, kann sich als Bereicherung erweisen. IslamiQ sprach mit Familie Savić über einen segenvollen Ramadan.
Arbeiten, Kinder in die Schule fahren, Einkaufen und den Haushalt schmeißen. Ein normaler Tag von Familie Savić. Bei so einem turbulenten Alltag bleibt oft keine Zeit für die Familie – auch während Ramadan. Mina und Adem Savić leben mit ihren zwei Töchtern (10 und 12 Jahre) in der Nähe von Dortmund. Mina arbeitet als Lehrerin und Adem ist Informatiker in einem Unternehmen. Beide verbringen die meiste Zeit außerhalb der Wohnung. „Oft fehlt uns sogar die Zeit, gemeinsam zu Abend zu essen“, erzählt Mina. Meistens komme sie zeitgleich mit ihren Kindern nach Hause und müsse dann schnell das Essen vorbereiten und ihre „To-Do“-Liste abarbeiten.
Adem sei oft erst am späten Abend zu Hause. „Ich muss in den meisten Fällen im Büro noch Überstunden machen und komme nicht vor 20 Uhr nach Hause“, so Adem. Da bliebe nur wenig Zeit für seine Familie.
Auch die Ramadan-Monate in den letzten Jahren konnten die Familie nie wirklich richtig genießen. „Da wir als Ehepaar beide einen Vollzeitjob haben und unsere Kinder in die Schule und zur Nachmittagsbetreuung gingen, waren wir am Abend einfach alle zu kaputt, um nach dem Iftar noch etwas zu unternehmen“, so Mina Savić. Am Wochenende habe man dann ab und zu die Großeltern und anderen Familienmitglieder besucht. „Für viel mehr hatten wir dann doch keine Zeit und Kraft“, erinnert sich Familie Savić.
Doch dieses Jahr verlief der Ramadan ganz anders für die vierköpfige Familie. Wegen der Pandemie waren sie zu Hause und verbrachten die Zeit gemeinsam. „Wir hatten lange nicht mehr so viel Zeit zusammen verbracht. Das hat uns gefehlt“, erzählte Familienvater Adem. Er arbeitete während Ramadan von Zuhause aus und genoss die Zeit mit seinen Töchtern.
Auch die Kinder waren mit der Situation recht zufrieden. Die ältere Tochter hätte das erste Mal gefastet und diese Erfahrung zu Hause mit ihren Eltern zu erleben, habe ihr das Fasten sehr erleichtert. Familienmutter Mina habe den Ramadan lange nicht mehr so intensiv und spirituell erlebt. „Die letzten Jahre habe ich während dem Ramadan ständig gearbeitet. Ich hatte weder Zeit, bewusst zu Fasten, noch meine Gebete wirklich einzuhalten, noch die Zeit mit meiner Familie zu verbringen.“ Für sie sei die Corona-Krise gleichzeitig auch eine Gelegenheit gewesen, das Fasten in vollen Zügen zu genießen und auch den Kindern diese Zeit vorzuleben. Das gemeinsame Kochen zum Iftar, das Aufstehen zum Sahûr und die gemeinsamen Gebete hätten die Familie enger zusammengeschweißt.
„In dem ganzen Arbeitsmarathon und die Abwesenheit von Zuhause entfernt man sich von gewissen wichtigen Familienstrukturen. Ich habe gemerkt, dass schon das gemeinsame Abendessen eine sehr wichtige und elementare Familienaktivität ist“, so Adem.
Zudem habe die Familie für dieses Jahr einen Ramadanplan erstellt, um die Zeit sinnvoll und spirituell nutzen zu können. „Die Gelegenheit während Ramadan hatten wir ja jetzt, und dies wollten wir uns nicht entgehen lassen“, erzählt Mina Savić. Das gemeinsame Beten, ein Tagesziel – z. B. eine Sure aus dem Koran auswendig lernen – und das Basteln eines Ramadan-Kalenders waren einige der Punkte auf dem Plan.
Besonders für den viel arbeitenden Familienvater Adem habe die Corona-Krise die Gelegenheit geboten, seine Töchter noch näher kennen zu lernen und sich Zeit für seine Ehefrau zu nehmen. „Als einziger Mann im Haus ist es natürlich nicht immer einfach – vor allem mit zwei heranwachsenden Mädchen“, sagte Adem. Aber trotzdem habe er gemerkt, dass seine Pflicht als Vater nicht nur darin bestehe, Arbeiten zu gehen und dafür zu sorgen, dass es der Familie gut gehe. „Uns wurde immer beigebracht, dass das Hauptziel des Ehemannes darin besteht, Geld nach Hause zu bringen. Doch es ist viel mehr als das!“
Adem habe nun nähere Einblicke bekommen, was es bedeutet, zu arbeiten, die Kinder zu erziehen und den Haushalt zu führen. Man habe sich als Ehepaar zwar immer unterstützt und die Aufgaben versucht, gerecht zu verteilen, doch die Erziehung der Kinder habe oftmals seine Frau übernommen. „Sie leistet so viel für diese Familie und ich habe gemerkt, dass es ohne sie gar nicht klappen würde“, so Adem. Für ihn stehe fest: Die Erziehung der Kinder und die Haushaltsführung gelingen nur durch Teamwork. „Ich hoffe, er erinnert sich auch noch nach der Pandemie an diese Worte“, scherzt die Familienmutter Mina.
„Ramadan bedeutet nicht nur nichts zu essen und zu trinken, das wichtigste ist die Familie und Gemeinschaft“, so Mina. Das Bewusstsein habe man viel zu oft vernachlässigt und auch den Segen des Ramadan nie wirklich genutzt. „Wir haben uns so sehr im Alltag verfangen, dass wir vergessen haben, für was wir eigentlich als Muslime auf die Welt gekommen sind, was die Familie im Islam bedeutet und der eigentliche Sinn des Ramadan ist“, sagte Adem nachdenklich.
Für Familie Savić war der diesjährige Ramadan eine sehr lehrreiche, spirituelle, familiäre und besinnliche Zeit. Sie haben viel mitgenommen, sind sich vieles bewusster geworden und haben gemerkt: „Der diesjährige Ramadan war für uns ein Geschenk Allahs!“