In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Ali Kocaoğlu.
Ali Kocaoğlu (26) ist in der Nähe von Duisburg aufgewachsen, wohnt in Osnabrück und hat dort Islamische Theologie und Lehramt (Biologie und Islamische Religion) studiert. Zurzeit schreibt er seine Masterarbeit und arbeitet nebenbei an einer Oberschule als pädagogischer Mitarbeiter. Dort leitet er die AG „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” und unterstützt den Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht (DaZ). Zudem ist er seit 2013 Hafiz, hat also den gesamten Koran auswendig gelernt. Seine Hafiz-Ausbildung hat er sowohl in Deutschland als auch in der Türkei absolviert. Seine Ehefrau ist ebenfalls islamische Theologin und angehende Grundschullehrerin.
IslamiQ: Sie sind Theologe und angehender Lehrer. Wie stellen Sie sich Ihr Berufsleben als Lehrer vor?
Ali Kocaoğlu: Ich denke, dass meine theologischen Kenntnisse eine Ergänzung und Vertiefung zu meinen religionspädagogischen Kompetenzen sind und mich in diesem Sinne auch in meinem Berufsleben als angehender Lehrer unterstützen werden. Zudem möchte ich parallel zu meinem Lehrerberuf in diesem Bereich promovieren und einen Beitrag für die islamische Religionspädagogik in Deutschland leisten.
IslamiQ: Sie sind Sie Leiter der AG „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und unterstützen das Fach Deutsch als Zweitsprache. Was ist ihr Motiv?
Kocaoğlu: In der AG sprechen wir über Rassismus und Vorurteile. Zu den Zielen gehören, dass den Schülern ihre Vorurteile bewusst werden und sie sich bemühen, diese abzubauen. Durch weitere Trainings lernen sie, wie sie in einer Mobbingsituationen handeln können. Außerdem sprechen wir über verschiedene Religionen, Minderheiten und Kulturen, damit die Multikulturalität in Deutschland als etwas Besonderes anerkannt und wertgeschätzt wird.
Meine Anwesenheit im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht gibt den Schülern Vertrauen, wodurch ich sie zum Lernen besser motivieren kann. Mein Motiv ist es, meine Schüler im schulischen Alltag zu unterstützen und sie im Hinblick aufgesamtgesellschaftliche Probleme, wie beispielsweise Rassismus oder Diskriminierung von Minderheiten, zu sensibilisieren.
IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?
Kocaoğlu: Überall, wo Menschen sind, trifft man leider auf Rassismus und Vorurteile . Die Schüler haben einen großen Redebedarf zum Thema und nehmen sehr engagiert an der AG teil. Da die angesprochenen Themen sehr aktuell und lebensnah sind und in der AG mithilfe verschiedener Medien und Methoden thematisiert werden, sind auch die Resonanzen seitens der Schulleitung, des Kollegiums und der Schülerschaft sehr positiv.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Kocaoğlu: In meiner Freizeit verbringe ich Zeit mit meiner Frau und Familie, spiele Schach, reise, koche, fahre Fahrrad und lese gerne.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Kocaoğlu: Nach über einem Jahrzehnt, den wir täglich gemeinsam verbracht haben, würde ich „der Koran“ sagen. „Den einen Lieblingsfilm“ habe ich nicht. Ich kann aber sagen, dass ich mich immer über den neuen Teil von Harry Potter gefreut habe.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Kocaoğlu: Das Paradies auf Erden, Ruhe, Zufriedenheit, Geborgenheit und alle anderen Gefühle, die einen Menschen glücklich machen.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Kocaoğlu: Da gibt es einige Momente: Als ein Schüler zu mir sagte, dass meine Stimme sehr beruhigend sei und es ihm Freude bereite, mir zuzuhören. Als meine Mentorin im Praktikum zu mir sagte, dass die Klasse in meinem Unterricht viel ruhiger sei als bei anderen Lehrkräften. Als eine Schülerin sagte, dass ich wieder in den Biologieunterricht kommen soll, weil ich so gut erklären kann. Und der „Aha-Ruf“ meiner Schüler, wenn sie etwas verstanden haben.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Kocaoğlu: Meine Freunde beschreiben mich als jemanden, der nach seinen Freunden fragt und sie häufig anruft, auch wenn sie mich nicht anrufen oder nach mir fragen. Einer sagte: „Ali, es ist schöner, dich zu fragen, als über Google danach zu suchen“. Zudem bemerken sie öfters, dass ich auf diszipliniertes und ordentliches Arbeiten Wert lege.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Kocaoğlu: „Jeder macht das, was zu ihm passt und mit seinem Charakter übereinstimmt“ und die Prophetenüberlieferung: „Wahrlich, Allah liebt es, dass wenn einer von euch eine Handlung ausübt, er diese auf beste Art und Weise vollbringt.“
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Kocaoğlu: An die erste Konfrontation kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht geht sie in meine Grundschulzeit, vielleicht sogar in meine Kindergartenzeit zurück. Jedoch erinnere ich mich an eine Situation, in der ich gefragt wurde, wo ich herkomme. Immer wieder, wenn ich mit „Ich komme aus Moers“ antwortete, erhielt ich die Antwort „Nein, wo bist du geboren?“. Ich antwortete „in Duisburg“, jedoch war auch dies nicht ausreichend. Da mein Vater bereits in Deutschland geboren ist, ging das Gespräch so lange weiter, bis wir bei der Geburtsstadt meines Opas ankamen und endete mit der vermeintlichen Feststellung, dass ich also „doch kein richtiger Deutscher sei“.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie, um dieses Ziel zu erreichen?
Kocaoğlu: Mein grundlegendes Ziel ist es, alle meine Handlungen auf die beste Art und Weise zu vollbringen. Hierzu gehört auch meine Tätigkeit als Lehrer, der meiner Ansicht nach der wertvollste und bedeutendste Beruf ist.
Demnach setzte ich mir als Lehrer das Ziel, für alle meine Schüler – und über sie der ganzen Menschheit – nützlich zu sein. Mein Anliegen ist es nicht, dass sie sich lediglich bestimmte Fachkenntnisse und Kompetenzen aneignen. Vielmehr bin ich bemüht, ihnen „den Schlüssel des Lebens“ mitzugeben, mit dem sie Frieden, Freude und Erfolg erleben können.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Kocaoğlu: Für die Zukunft wünsche ich mir, meiner Familie, den Muslimen und allen Menschen auf der Welt das Gleiche: ein gesundes, glückliches und erfülltes Leben im Diesseits und Jenseits.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Kocaoğlu: Für mich sind Muslime, genauso wie alle anderen Bürger, ein selbstverständlicher Teil Deutschlands. Leider erleben wir trotz dieser Tatsache immer wieder Situationen, in denen die Zugehörigkeit der Muslime in Deutschland hinterfragt wird. Ich denke, dass wir Muslime aufgrund solcher Ereignisse nicht in Verlegenheit geraten sollten, sondern weiterhin als Bürger dieses Landes uns bemühen sollten, uns effektiv in die Gesellschaft einzubringen.
In Bezug auf die deutsche Gesellschaft denke ich, dass es höchste Zeit ist, sich der Medienmanipulation bewusst zu werden. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ sollten wir im Hinblick auf das jahrelange und friedliche Zusammenleben hasserfüllten Aussagen und Vorurteilen keine Chance geben. Jede Kultur und Nation hat unterschiedliche Stärken und Besonderheiten. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig kennenlernen, unsere Besonderheiten wahrnehmen und wertschätzen. Deutschland ist multikulturell, multireligiös und bunt. Und das ist auch gut so, denn das macht unsere Heimat so besonders.