Solingen, NSU und Hanau. Der wachsende Rassismus in Deutschland erhält nicht genug Beachtung. IslamiQ sprach mit dem Bundestagsabgeordneten Helge Lindh (SPD) und dem Hanauer Imam Macit Bozkurt über die Gründe.
In einer neuen #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung wurde über „Rassismus – von Solingen bis Hanau“ diskutiert. Eingeladen waren der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh (SPD) und Imam Macit Bozkurt aus Hanau. „Die wohl prägendsten rassistischen Angriffe in Deutschland waren die Brandanschläge von Mölln und Solingen. Viele unschuldige Menschen verloren qualvoll ihr Leben. Es folgte die NSU-Mordserie und zuletzt der rechtsterroristische Anschlag in Hanau. Alle diese Angriffe hatten dasselbe Motiv: Rassismus“, führte Muhammed Suiçmez, leitender IslamiQ-Redakteur, in die Veranstaltung ein.
Für Helge Lindh sei Rassismus ein Thema, das „intensiv zu debattieren“ sei und auch Aufmerksamkeit fordere. Auch der antimuslimische Rassismus sei immer sichtbarer geworden. Deshalb „hat mich das schon seit vielen Jahren bewegt“, erklärt Lindh seinen Einsatz für diese Themen. Die entstehenden Anfeindungen gegenüber seiner Person sehe er als Motivation, „an seiner Haltung nichts zu ändern.“ Ziel müsse es jedoch sein, „die Hasser“ mit den vielen Vernünftigen dieser Gesellschaft zu überstimmen.
Dem Bundestagsabgeordneten zufolge hätte die Bundesregierung die Anschläge in Mölln und Solingen, so wie die NSU-Morde, konsequenter untersuchen müssen. „Viel zu lang ist nichts geschehen“. Aber vor allem auch der Rassismus und die Islamfeindlichkeit im Alltag müssten bekämpft werden. „Das ist uns nicht gelungen“, sagte Lindh. Rassismus wurde oft zu abstrakt diskutiert. „Man hat nicht begriffen, wie ernst die Lage ist, was es mit Menschen anrichtet und dass es die Gesellschaft kaputt macht.“
Am 19. Februar 2020 kam es zu einem weiteren rassistischen Angriff, bei dem zehn Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau getötet wurden. Imam Macit Bozkurt beschreibt den 19. Februar als den „schwarzen Tag Hanaus“. In den Medien habe man bis in die Morgenstunden versucht, von einem rechtsterroristischen Akt abzulenken. „Das Motiv Rechtsterrorismus wurde ignoriert“, erklärte Imam Bozkurt.
Der Anschlag habe in unmittelbarer Nähe seiner Moschee stattgefunden. Einige Opfer seien enge Bekannte gewesen. „Wir alle hätten die Opfer sein können“, betonte Bozkurt. Nach dem Anschlag habe er die seelsorgerisch Opferangehörigen begleitet und mit ihnen getrauert. Den Opfern und ihren Angehörigen müssen man Gehör schenken. „Wir dürfen die Opfer nicht vergessen“, erklärte Bozkurt.
Helge Lindh erklärte, dass er sich bei dem Anschlag in Hanau an den Anschlag in Christchurch erinnert habe. Damit solche Anschläge nicht nochmal vorkommen, müsse man sich entschiedener gegen Rassismus stellen, und zwar „nicht nur diejenigen, die darunter leiden, sondern vor allem die, die nicht direkt davon betroffen sind.“ Dennoch dürfe man auch als Opfer keine passive Stellung einnehmen. Wie schwer es auch sei, man müsse seine Stimme erheben.
Zudem müsse man Foren für Menschen, die dem Hass ausgesetzt sind, schaffen. Doch dies sei die Aufgabe von Menschen, die nicht Opfer von Rassismus sind. „Muslime die Opfer von Rassismus werden haben demnach nicht primär die Aufgabe, sich auch noch um die Bekämpfung von Rassismus zu kümmern“, erklärte Lindh abschließend.