Über Rassismus in den USA wird gerade viel geredet. Doch es gibt ihn auch in Deutschland. Er sei sogar ein strukturelles Problem, bekommt der Bundespräsident bei einer Diskussionsrunde zu hören. Steinmeier richtet einen Appell an die Gesellschaft.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die deutsche Gesellschaft aufgefordert, aktiv gegen Rassismus einzutreten und auch das eigene Verhalten kritisch zu überprüfen. „Es reicht nicht aus, „kein Rassist“ zu sein. Wir müssen Antirassisten sein!“, sagte er am Dienstag bei einer Diskussionsrunde im Schloss Bellevue. „Rassismus erfordert Gegenposition, Gegenrede, Handeln, Kritik und – vielleicht am schwierigsten – Selbstkritik, Selbstüberprüfung. Antirassismus muss gelernt, geübt, vor allem aber gelebt werden.“
Hintergrund der Veranstaltung war der Fall des schwarzen US-Bürgers George Floyd, der bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis (Minnesota) getötet worden war.
Steinmeier betonte, auch in Deutschland kenne man Fälle von Gewalt gegen Schwarze in Gefängnissen und von ungeklärten Todesfällen in der Haft. Er sei aber überzeugt: „Die Polizei und Sicherheitskräfte in unserem Land sind vertrauenswürdige Vertreter des Staates. Ausnahmen von dieser Regel sind Ausnahmen geblieben. Polizei und Sicherheitskräfte verdienen unseren Respekt, sie verdienen unsere Unterstützung.“
Steinmeier griff auch die aktuelle Debatte über den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz auf. Er erinnerte daran, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes die unantastbare Würde jedes Menschen ganz bewusst gegen die menschenverachtende und rassistische Ideologie des Nationalsozialismus gesetzt hätten. Die Diskussion, ob die entsprechenden Artikel heute noch zeitgemäß formuliert seien, sei zunächst einmal legitim. „Ich wünsche mir allerdings, dass diese Debatte uns vor allem dafür die Augen öffnet, dass das Ziel, das Versprechen von gleicher Würde, von Respekt, Recht und Freiheit, noch lange nicht für alle Menschen in Deutschland Realität ist.“
Diese Erfahrung haben auch Steinmeiers Gäste gemacht – und machen sie bis heute: „Mein worst case (schlimmster Fall) war in Cottbus, wo ich mit Bananen beschmissen wurde“, berichtete etwa der aus Ghana stammende, ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler Gerald Asamoah. Der in Tübingen aufgewachsene Daniel Gyamerah vom Berliner Thinktank „Citizens of Europe“ erzählte von ständigen Polizeikontrollen nur wegen des Aussehens. „Unsere Erfahrung ist leider, dass wir immer und immer und immer wieder kontrolliert werden von der Polizei, völlig unabhängig davon, was wir machen.“
Die Lehrerin und Bildungsaktivistin Gloria Boateng schilderte ihre Erfahrungen mit einer Bewerbung für einen Abteilungsleiterposten an ihrer Schule. Nach dem Gespräch habe sie der Schulleiter für ihr tolles Konzept gelobt, zugleich aber gesagt, sie könne die Stelle nicht haben. Begründung: „Sie werden verstehen: Ich muss jemanden auswählen, von dem ich weiß, dass er vom gesamten Kollegium getragen wird.“
Sie seien Teil dieser Gesellschaft und wollten endlich auch als solches anerkannt werden, erklärten Steinmeiers Diskussionspartner. „Wir sind ein unglaublich tolles Land. Ich lebe so gerne hier. Aber ich habe den Kampf einfach langsam satt. Ich habe es langsam satt, fünfmal so viel leisten zu müssen wie andere, um einen Brotkrümel vor die Füße geworfen zu bekommen“, lautete Boatengs leidenschaftliches Schlusswort. Es war außer an Steinmeier an die gesamte Gesellschaft gerichtet. (dpa/iQ)