SACHSEN

Nach Mord an Marwa El-Sherbini: Problem bekannt, Maßnahmen fehlen

Am 1. Juli jährt sich der rassistische Mord an Marwa El-Sherbini zum elften Mal. Welche Maßnahmen haben die Fraktion in Sachsen mit Bezug auf ihre Ermordung ergriffen? Ein Überblick.

28
06
2020
Marwa El-Sherbini
Marwa El-Sherbini

Marwa El-Sherbini wurde vor elf Jahren bei einer Gerichtsverhandlung in Dresden ermordet. Das Motiv des Mörders: Islamhass. El-Sherbini hatte damals einen jungen Mann angezeigt, der sie rassistisch beleidigt hatte. Am 1. Juli 2009 kam es zur Verhandlung. Noch während des Prozesses stach der Täter im Gerichtssaal 16 Mal auf die studierte Pharmazeutin ein. Ihr Ehemann, der ihr zur Hilfe eilen wollte, wurde von einem Polizisten angeschossen, da man ihn fälschlicherweise als Aggressor vermutete. Das alles geschah vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes.

Die Tat löste Entsetzen in Deutschland und Proteste in der islamischen Welt aus. Seitdem Mord an Marwa El-Sherbini versammeln sich am 1. Juli eines jeden Jahres Vertreter der Politik, Justiz und Verwaltung und Politik sowie Muslime und andere Religionsgemeinschaften vor dem Landgericht, um Marwas zu gedenken.

Auch elf Jahre nach dieser Tat ist antimuslimischer Rassismus weiterhin Thema in Deutschland. Doch wie wird vor allem in Sachsen mit diesem Thema umgegangen. IslamiQ hat den Landtagsfraktionen Folgendes gefragt:

  1. Am 1. Juli 2009 wurde Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht ermordet. In diesem Jahr jährt sich dieses Ereignis zum 11. Mal. Ist von Ihrer Fraktion anlässlich dieses Tages etwas geplant?
  2. Hat Ihre Fraktion in den vergangenen Jahren den Mord an Marwa El-Sherbini thematisiert? Wenn ja, in welcher Form?
  3. Welche Maßnahmen wurden seit dem Mord an Marwa El-Sherbini mit Bezug auf Ihre Ermordung ergriffen?
  4. Mehrere Studien attestieren eine zunehmende Islamfeindlichkeit, auch in Sachsen. Welche Bemühungen gibt es in Ihrer Fraktion in Bezug auf dieses Problem?
  5. Statistisch gesehen wurde 2019 jeden zweiten Tag eine Moschee angegriffen. Auch in Sachsen gab es gewalttätige Übergriffe auf Moscheen? Was unternimmt Ihre Fraktion bzw. hat unternommen, um muslimische Einrichtungen besser zu schützen?

SPD: Andenken an Marwa wachhalten

„Die Ermordung von Marwa El-Sherbini vor nunmehr 11 Jahren hat auch in unserer Fraktion großes Entsetzen ausgelöst. Jede einzelne rassistisch motivierte Straftat in Sachsen, die sich vor und nach dem Mord ereignet haben, sind für uns als SPD Anlass zu großer Sorge“, erklärt Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Dabei liege es nahe, dass die SPD in Dresden mit viel Engagement das Andenken an Marwa El-Sherbini wachhält. „Auf Initiative der Stadtratsfraktionen von SPD, Linken und Grünen wird beispielsweise gerade debattiert, ob der Park am Landgericht künftig nach Marwa El-Sherbini benannt und dort mit einer Gedenktafel an die Tat erinnert wird, betont Pallas weiter.

Mit einem umfassenden Handlungsprogramm möchte die SPD unter ihrer Regierungsverantwortung gegen rechte Ideologien der Ungleichheit und Menschenfeindlichkeit, wie Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus, entgegenwirken. Ein weiteres Ziel der SPD-Fraktion sei es, die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu verbessern, um Menschen und sensible Einrichtungen vor Übergriffen zu schützen. „Wir wollen erreichen, dass rechtsextreme Bestrebungen frühzeitigen erkannt und Hass- und Gewaltkriminalität konsequent bekämpft werden“, so Pallas.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rassismus entschieden entgegentreten

„Wir müssen Rassismus entschieden entgegentreten“, erklärt Valentin Lippmann, innenpolitische Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der Mord an Marwa El-Sherbini sei ein schreckliches Ereignis. Nach dem Mord wurden die Gerichte mit Sicherheitsschleusen ausgestattet und die Kontrollen an den Eingängen verstärkt. Damit Marwa nicht in Vergessenheit gerät, erinnere die Stadt Dresden in einer Gedenkwoche mit verschiedenen Veranstaltungen an sie“, so Lippmann. Zudem werden durch das Marwa-El-Sherbini-Stipendium vom Freistaat Sachsen und der Stadt Dresden Studierende gefördert, die sich für Weltoffenheit und Toleranz engagieren.

Um muslimische Einrichtungen besser zu schützen fordere die BÜNDNIS eine schnelle Strafverfolgung und die Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen vor Moscheen. „Wir wollen, dass der Verfolgungsdruck auf die rechte Szene weiter erhöht wird.“

DIE LINKE: Wir möchten auf Islamfeindlichkeit hinweisen

„Der Mord an Marwa El-Sherbini war für die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag ein zentraler Anlass und ist uns eine bleibende Verpflichtung, uns auf Dauer mit rechter, rassistischer und antimuslimischer Gewalt zu befassen“, erklärte Kerstin Köditz, Abgeordnete für Innenpolitik gegenüber IslamiQ. So konnten drei Betroffene von Tötungsdelikten in Sachsen nachträglich als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt werden.

„Als Oppositionsfraktion können wir selbst keine Maßnahmen veranlassen, sondern nur immer wieder auf das Problem hinweisen und daraus Forderungen ableiten“, betont Köditz weiter. DIE LINKE erkundige sich regelmäßig nach rechtsmotivierten Straftaten, die der Polizei bekannt werden, und erhielten dadurch sehr zeitnah auch einen Überblick zu Fällen, die als „islamfeindlich“ eingeordnet werden. „Eine besonders drastische Tat war im September 2016 der Bombenanschlag auf die Fatih-Moschee in Dresden, die zu dem Zeitpunkt nicht durch die Polizei geschützt war.“

CDU: Gegen Rechtsextremismus, für ein Miteinander

Die CDU-Fraktion in Sachsen setze sich „vehement gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ein“, erklärt der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Martin Modschiedler auf Anfrage von IslamiQ. In entsprechenden Debatten im Landtag und im Rahmen der parlamentarischen Arbeit wende sich die CDU-Fraktion gegen Rechts- und Linksextremismus und werbe für ein gesellschaftliches Miteinander aller gesellschaftlichen Gruppen. „Der Schutz von Kirchen und Religionsgemeinschaften vor Übergriffen stellt eine ständige Aufgabe für die sächsische Polizei dar“, so Martin Modschiedler weiter.

Die CDU-Fraktion setze sich dafür ein, dass die sächsische Polizei über ausreichend Personal und technische Ausstattungen verfügt, um diese Aufgabe umfassend sicherzustellen. „Auch im Bereich der Strafverfolgung setzen wir auf eine konsequente und schnelle Ahndung von Delikten mit antisemitischen, fremdenfeindlichen oder antidemokratischen Hintergründen“, erklärt die CDU-Fraktion abschließend.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Es ist beachtlich, dass es sich bei religionsfeindlichen Menschen im Allgemeinen und eingefleischten Islamhassern/Antimuslimen im Besonderen nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen oft um unsichere Menschen oder gar Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung handelt. So wie beim Mörder von Marwa el-Scherbini. Da ist professionelle Hilfe gefragt zur Stärkung der Selbstsicherheit sowie des Selbstwertgefühls. Denn bei den Betroffenen ist oft in ihrer Kindheit etwas gründlich schief gelaufen, was die Betroffenen oft selbst nicht wissen. Damit wird das Problem an der Ursache angegangen. Alles andere ist lediglich Symptombekämpfung - ohne dass ich das kleinreden will - was das Problem nicht löst. Denn meistens erscheint Islamfeindlichkeit - neben tätlichen Übergriffen - in Form von psychischer Gewalt gegen Muslime, was keinesfalls toleriert werden darf. Das fängt an mit "Wir leben in Deutschland" bis hin zu abwertenden Bemerkungen und offenen Beschimpfungen sowie Beleidigungen gegen Muslime wie "Fundamentalist", "Islamist", "Terrorist" etc. Marwa el-Scherbini hat damals richtig gehandelt. Sie hat sich die Beschimpfungen als "Islamistin" und "Terroristin" nicht gefallen lassen und hat die Polizei gerufen und dem Täter die Grenzen aufgezeigt, was der Täter aber nicht einsehen wollte. Möge sie in Frieden ruhen.
29.06.20
15:37