Der Islamwissenschaftler Hazim Fouad belegt, dass es im innerislamischen Diskurs einen breiten Widerstand gegenüber „Salafismus“ gibt.
Hazim Fouad arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen in der Abteilung für Verfassungsschutz. Er hat Anglistik/Amerikanistik sowie Orientalistik/Islamwissenschaften studiert und wurde 2019 zum Thema „Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus“ promoviert.
IslamiQ: Was ist Anlass und Quintessenz Ihrer Arbeit?
Dr. Hazim Fouad: In den vielen Vorträgen, die ich bisher über die Themen Islam, Islamfeindschaft und Islamismus gehalten habe, kam seitens des Publikums immer wieder die Frage auf, was Muslime denn gegen Extremisten in ihren eigenen Reihen unternehmen würden. Im öffentlichen Diskurs werden muslimische Extremisten oft mit Salafisten gleichgesetzt. Das ist zwar verkürzt, dennoch hat mich die innermuslimische Sichtweise auf den Salafismus interessiert. Mir war zwar bewusst, dass es diverse Widerlegungsversuche gibt, sodass ich als Antwort darauf verweisen konnte. Was jedoch die genauen Inhalte dieser Repliken sind, wollte ich herausfinden. Die Kernfragestellung war dementsprechend: Was sind die konkreten Argumente gegen salafistische Islamverständnisseseitens verschiedener sunnitischer Strömungen und wie wird religiöse Autorität erzeugt? Darüber hinaus: Was sagt uns dieser innerislamische Diskurs mit Blick auf Kulturkampftheorien und religionswissenschaftliche Annahmen über Religion in der (Post-)Moderne?
IslamiQ: Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?
Fouad: Es gibt ein breites Korpus an salafismuskritischer Literatur aus sunnitischer Perspektive. Dabei sind sich die verschiedenen Strömungen jedoch auch untereinander völlig uneins darüber, welches Islambild dem Salafismus entgegengesetzt werden soll. Teilweise agieren sie dabei selbst exklusivistisch, das heißt nicht nur der Salafismus wird als falsch abgelehnt, sondern auch alle anderen Interpretationen, die von der eigenen abweichen. Dies gilt sowohl für traditionalistische, wie auch für modernistische Stimmen. Dies belegt, dass wir es vielmehr mit einem Kampf innerhalb von Kulturen als zwischen ihnen zu tun haben. Diese Pluralität wider Willen ist wiederum Ausdruck der Fragmentierung von religiöser Autorität in der Moderne. Natürlich gab es immer schon Meinungsvielfalt im Islam. Aber die Heterogenität des muslimischen Spektrums im 20. und 21. Jahrhunderts ist nicht mit der Vormoderne vergleichbar.
IslamiQ: Was unterscheidet „den Salafismus“ von „Extremismus“?
Fouad: Es kommt hier ganz darauf an, aus welcher Perspektive diese Frage beantwortet wird. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist Salafismus zunächst eine fundamentalistische Interpretation des Islams. Der Extremismusbegriff spielt hier keine hervorgehobene Rolle, da man als Religionswissenschaftler nicht normativ an seinen Untersuchungsgegenstand herantritt. Vor allem in der Forschung über salafistische Strömungen außerhalb Deutschlands muss ja beachtet werden, dass jeder Staat seine eigenen Kriterien dafür aufstellt, ab wann ein bestimmtes Religionsverständnis als extremistisch deklariert wird. Aufgrund ihrer politischen Forderungen verfolgt diese Strömung gemessen am deutschen Rechtsrahmen verfassungswidrige Ziele und ist daher aus sicherheitsbehördlicher Perspektive als extremistisch zu kategorisieren. Dies impliziert nicht zwangsläufig die Befürwortung oder gar die Anwendung von Gewalt. Auch in anderen Phänomenbereichen wie dem Links- oder Rechtsextremismus gibt es Gruppen, die nicht gewaltorientiert, aber trotzdem extremistisch sind. Aus bekenntnisorientierter Perspektive wiederum werden Salafisten von anderen Muslimen häufig als „extrem“ im Sinne von „übertrieben streng“ wahrgenommen.
IslamiQ: Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen verschiedenen „Salafismus“-Strömungen. Wie sinnvoll ist ihre Kategorisierung?
Fouad: Die verschiedenen Kategorien wurden zunächst in der Wissenschaft entwickelt und sind dann an den sicherheitsbehördlichen Kontext angepasst worden. Hier steht die Frage der Militanz im Vordergrund. Diese Unterscheidung ist aufgrund des deutschen Trennungsgebotes notwendig. Nicht-gewaltbereite extremistische Gruppen sind zwar nicht verboten, werden aber beobachtet, da sie wie oben beschrieben demokratiefeindliche Ziele verfolgen. Sobald die Schwelle zur Strafbarkeit, nicht zuletzt bei Gewalttaten, überschritten wird, ist die Polizei gefragt. Die analytischen Kategorien des politischen und jihadistischen Salafismus sind dabei nicht als starre Gebilde zu verstehen. In der Realität sind beide Strömungen auch in sich heterogen, außerdem gibt es zwischen beiden fließende Übergänge bzw. eine Grauzone.
IslamiQ: Der Verfassungsschutz hat eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er sich auf Ihre Promotion bezieht. Welches Interesse hat der Verfassungsschutz am innerislamischen Diskurs?
Fouad: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Promotion ein rein privates Unterfangen war, dass in keinem direkten Bezug zu meiner dienstlichen Tätigkeit stand. Gleichwohl waren die Erkenntnisse der Arbeit insoweit auch für den Verfassungsschutz relevant, als dass die Bearbeitung des Salafismus einer von mehreren Schwerpunkten darstellt. Mit der Presseerklärung sollte einerseits islamfeindlichen Parolen, in denen alle Muslime zu Extremisten abgestempelt werden, faktenbasiert widersprochen werden. Zum anderen wurde deutlich, dass der Verfassungsschutz differenziert vorgeht, innermuslimische Kritik an dem, was unter sicherheitsbehördlicher Perspektive als religiös begründeter politischer Extremismus gilt, wahrnimmt und mitnichten alle Muslime unter Generalverdacht stellt.
IslamiQ: Wie gehen islamische Religionsgemeinschaften in und außerhalb Deutschlands mit dem Phänomen „Salafismus“ um?
Fouad: Das ist äußerst unterschiedlich. Einige wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Sie sagen, solange niemand Ärger macht, ist jeder in der Moschee willkommen. Man könne den Leuten schließlich nur vor den Kopf gucken. Andere erteilen Hausverbote, da sie befürchten, dass insbesondere die Jugend von den salafistischen Ansprachen verführt werden könnte. Und dann gibt es welche, die sich aktiv einbringen, z. B. über Präventionsprojekte gegen religiös begründeten Extremismus.
IslamiQ: Moscheegemeinden werden von der Politik als wichtige Partner im Kampf gegen Extremismus gesehen. In Ihrer Arbeit stellen Sie fest, dass es einen breiten innnermuslimischen Widerstand gegen „den Salafismus“ gibt. Sind Moscheen tatsächlich die richtigen Orte, um nach Extremisten zu suchen?
Fouad: Eine absolute Minderheit der Moscheen in Deutschland wird durch die Sicherheitsbehörden beobachtet. Bei denjenigen, die unter Beobachtung stehen, gibt es belastbare Belege für extremistische Bestrebungen. Alles andere wäre rechtswidrig. Es werden also nicht pauschal Moscheen überwacht, um Extremisten zu finden. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Die Sicherheitsbehörden beobachten Extremisten und die Orte, an denen diese aktiv sind. Das können Vereins- oder Privaträumlichkeiten, Geschäfte, öffentliche Einrichtungen und im Zweifelsfall eben auch Moscheen sein.
IslamiQ: Wieso ist es Ihnen wichtig zu belegen, dass es einen breiten muslimischen Widerstand gegenüber „dem Salafismus“ gibt?
Fouad: Wie gesagt, ging es zum einen darum, dem unterschwelligem Vorwurf, es gebe kein muslimisches Engagement in diesem Bereich etwas empirisch Fundiertes entgegenzusetzen. Zum anderen haben mich die genauen islamrechtlichen, theologischen, historischen, soziologischen aber auch teilweise persönlich/polemischen Argumente gegen den Salafismus aus bekenntnisorientierter Perspektive interessiert, da ich mich zuvor äußerst intensiv mit dem salafistischen Islamverständnis auseinandergesetzt und hierzu bereits publiziert hatte.
IslamiQ: Michael Kiefer von der Universität Osnabrück vergleicht Präventionsarbeit in Bezug auf „Salafismus“ als „Herumstochern im Dunklen“. Sie basiere auf „provisorischen Anordnungen“, die nicht Teil einer abgestimmten Strategie seien. Wie beurteilen Sie diese These?
Fouad: Ich denke, Herr Dr. Kiefer spielte darauf an, dass wir in der Islamismusprävention im Vergleich zum Rechtsextremismus noch nicht auf langjährige Erfahrungswerte zurückblicken konnten. Wir wussten also noch nicht, welche Ansätze sich bewährt haben und welche nicht. Das Interview mit ihm ist ja schon älter. Mittlerweile haben sich landesweit Präventionsstrukturen etabliert und die Bundesregierung hat eine Strategie zur Extremismusprävention und Demokratieförderung herausgegeben.
Ende 2019 endete zudem die fünf-jährige erste Phase des Programms „Demokratie Leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dessen Projekte wurden teilweise begleitend evaluiert und nicht alle werden in der neuen Förderperiode fortgeführt. Es besteht sicherlich noch Optimierungsbedarf aber im Vergleich zum Stand im Jahr 2014 ist Deutschland in der Salafismusprävention deutlich besser aufgestellt.
Das Interview führte Recep Yılkın.