Extremismus

Muslimische Kritik am Salafismus

Der Islamwissenschaftler Hazim Fouad belegt, dass es im innerislamischen Diskurs einen breiten Widerstand gegenüber „Salafismus“ gibt.

04
07
2020
Dr. Hazim Fouad Salafismus
Dr. Hazim Fouad

Hazim Fouad arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen in der Abteilung für Verfassungsschutz. Er hat Anglistik/Amerikanistik sowie Orientalistik/Islamwissenschaften studiert und wurde 2019 zum Thema „Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus“ promoviert.

IslamiQ: Was ist Anlass und Quintessenz Ihrer Arbeit?

Dr. Hazim Fouad: In den vielen Vorträgen, die ich bisher über die Themen Islam, Islamfeindschaft und Islamismus gehalten habe, kam seitens des Publikums immer wieder die Frage auf, was Muslime denn gegen Extremisten in ihren eigenen Reihen unternehmen würden. Im öffentlichen Diskurs werden muslimische Extremisten oft mit Salafisten gleichgesetzt. Das ist zwar verkürzt, dennoch hat mich die innermuslimische Sichtweise auf den Salafismus interessiert. Mir war zwar bewusst, dass es diverse Widerlegungsversuche gibt, sodass ich als Antwort darauf verweisen konnte. Was jedoch die genauen Inhalte dieser Repliken sind, wollte ich herausfinden. Die Kernfragestellung war dementsprechend: Was sind die konkreten Argumente gegen salafistische Islamverständnisseseitens verschiedener sunnitischer Strömungen und wie wird religiöse Autorität erzeugt? Darüber hinaus: Was sagt uns dieser innerislamische Diskurs mit Blick auf Kulturkampftheorien und religionswissenschaftliche Annahmen über Religion in der (Post-)Moderne?

IslamiQ: Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?

Fouad: Es gibt ein breites Korpus an salafismuskritischer Literatur aus sunnitischer Perspektive. Dabei sind sich die verschiedenen Strömungen jedoch auch untereinander völlig uneins darüber, welches Islambild dem Salafismus entgegengesetzt werden soll. Teilweise agieren sie dabei selbst exklusivistisch, das heißt nicht nur der Salafismus wird als falsch abgelehnt, sondern auch alle anderen Interpretationen, die von der eigenen abweichen. Dies gilt sowohl für traditionalistische, wie auch für modernistische Stimmen. Dies belegt, dass wir es vielmehr mit einem Kampf innerhalb von Kulturen als zwischen ihnen zu tun haben. Diese Pluralität wider Willen ist wiederum Ausdruck der Fragmentierung von religiöser Autorität in der Moderne. Natürlich gab es immer schon Meinungsvielfalt im Islam. Aber die Heterogenität des muslimischen Spektrums im 20. und 21. Jahrhunderts ist nicht mit der Vormoderne vergleichbar.

IslamiQ: Was unterscheidet „den Salafismus“ von „Extremismus“?

Fouad: Es kommt hier ganz darauf an, aus welcher Perspektive diese Frage beantwortet wird. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist Salafismus zunächst eine fundamentalistische Interpretation des Islams. Der Extremismusbegriff spielt hier keine hervorgehobene Rolle, da man als Religionswissenschaftler nicht normativ an seinen Untersuchungsgegenstand herantritt. Vor allem in der Forschung über salafistische Strömungen außerhalb Deutschlands muss ja beachtet werden, dass jeder Staat seine eigenen Kriterien dafür aufstellt, ab wann ein bestimmtes Religionsverständnis als extremistisch deklariert wird. Aufgrund ihrer politischen Forderungen verfolgt diese Strömung gemessen am deutschen Rechtsrahmen verfassungswidrige Ziele und ist daher aus sicherheitsbehördlicher Perspektive als extremistisch zu kategorisieren. Dies impliziert nicht zwangsläufig die Befürwortung oder gar die Anwendung von Gewalt. Auch in anderen Phänomenbereichen wie dem Links- oder Rechtsextremismus gibt es Gruppen, die nicht gewaltorientiert, aber trotzdem extremistisch sind. Aus bekenntnisorientierter Perspektive wiederum werden Salafisten von anderen Muslimen häufig als „extrem“ im Sinne von „übertrieben streng“ wahrgenommen.

IslamiQ: Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen verschiedenen „Salafismus“-Strömungen. Wie sinnvoll ist ihre Kategorisierung?

Fouad: Die verschiedenen Kategorien wurden zunächst in der Wissenschaft entwickelt und sind dann an den sicherheitsbehördlichen Kontext angepasst worden. Hier steht die Frage der Militanz im Vordergrund. Diese Unterscheidung ist aufgrund des deutschen Trennungsgebotes notwendig. Nicht-gewaltbereite extremistische Gruppen sind zwar nicht verboten, werden aber beobachtet, da sie wie oben beschrieben demokratiefeindliche Ziele verfolgen. Sobald die Schwelle zur Strafbarkeit, nicht zuletzt bei Gewalttaten, überschritten wird, ist die Polizei gefragt. Die analytischen Kategorien des politischen und jihadistischen Salafismus sind dabei nicht als starre Gebilde zu verstehen. In der Realität sind beide Strömungen auch in sich heterogen, außerdem gibt es zwischen beiden fließende Übergänge bzw. eine Grauzone.

IslamiQ: Der Verfassungsschutz hat eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er sich auf Ihre Promotion bezieht. Welches Interesse hat der Verfassungsschutz am innerislamischen Diskurs?

Fouad: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Promotion ein rein privates Unterfangen war, dass in keinem direkten Bezug zu meiner dienstlichen Tätigkeit stand. Gleichwohl waren die Erkenntnisse der Arbeit insoweit auch für den Verfassungsschutz relevant, als dass die Bearbeitung des Salafismus einer von mehreren Schwerpunkten darstellt. Mit der Presseerklärung sollte einerseits islamfeindlichen Parolen, in denen alle Muslime zu Extremisten abgestempelt werden, faktenbasiert widersprochen werden. Zum anderen wurde deutlich, dass der Verfassungsschutz differenziert vorgeht, innermuslimische Kritik an dem, was unter sicherheitsbehördlicher Perspektive als religiös begründeter politischer Extremismus gilt, wahrnimmt und mitnichten alle Muslime unter Generalverdacht stellt.

IslamiQ: Wie gehen islamische Religionsgemeinschaften in und außerhalb Deutschlands mit dem Phänomen „Salafismus“ um?

Fouad: Das ist äußerst unterschiedlich. Einige wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Sie sagen, solange niemand Ärger macht, ist jeder in der Moschee willkommen. Man könne den Leuten schließlich nur vor den Kopf gucken. Andere erteilen Hausverbote, da sie befürchten, dass insbesondere die Jugend von den salafistischen Ansprachen verführt werden könnte. Und dann gibt es welche, die sich aktiv einbringen, z. B. über Präventionsprojekte gegen religiös begründeten Extremismus.

IslamiQ: Moscheegemeinden werden von der Politik als wichtige Partner im Kampf gegen Extremismus gesehen. In Ihrer Arbeit stellen Sie fest, dass es einen breiten innnermuslimischen Widerstand gegen „den Salafismus“ gibt. Sind Moscheen tatsächlich die richtigen Orte, um nach Extremisten zu suchen?

Fouad: Eine absolute Minderheit der Moscheen in Deutschland wird durch die Sicherheitsbehörden beobachtet. Bei denjenigen, die unter Beobachtung stehen, gibt es belastbare Belege für extremistische Bestrebungen. Alles andere wäre rechtswidrig. Es werden also nicht pauschal Moscheen überwacht, um Extremisten zu finden. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Die Sicherheitsbehörden beobachten Extremisten und die Orte, an denen diese aktiv sind. Das können Vereins- oder Privaträumlichkeiten, Geschäfte, öffentliche Einrichtungen und im Zweifelsfall eben auch Moscheen sein.

IslamiQ: Wieso ist es Ihnen wichtig zu belegen, dass es einen breiten muslimischen Widerstand gegenüber „dem Salafismus“ gibt?

Fouad: Wie gesagt, ging es zum einen darum, dem unterschwelligem Vorwurf, es gebe kein muslimisches Engagement in diesem Bereich etwas empirisch Fundiertes entgegenzusetzen. Zum anderen haben mich die genauen islamrechtlichen, theologischen, historischen, soziologischen aber auch teilweise persönlich/polemischen Argumente gegen den Salafismus aus bekenntnisorientierter Perspektive interessiert, da ich mich zuvor äußerst intensiv mit dem salafistischen Islamverständnis auseinandergesetzt und hierzu bereits publiziert hatte.

IslamiQ: Michael Kiefer von der Universität Osnabrück vergleicht Präventionsarbeit in Bezug auf „Salafismus“ als „Herumstochern im Dunklen“. Sie basiere auf „provisorischen Anordnungen“, die nicht Teil einer abgestimmten Strategie seien. Wie beurteilen Sie diese These?

Fouad: Ich denke, Herr Dr. Kiefer spielte darauf an, dass wir in der Islamismusprävention im Vergleich zum Rechtsextremismus noch nicht auf langjährige Erfahrungswerte zurückblicken konnten. Wir wussten also noch nicht, welche Ansätze sich bewährt haben und welche nicht. Das Interview mit ihm ist ja schon älter. Mittlerweile haben sich landesweit Präventionsstrukturen etabliert und die Bundesregierung hat eine Strategie zur Extremismusprävention und Demokratieförderung herausgegeben.

Ende 2019 endete zudem die fünf-jährige erste Phase des Programms „Demokratie Leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dessen Projekte wurden teilweise begleitend evaluiert und nicht alle werden in der neuen Förderperiode fortgeführt. Es besteht sicherlich noch Optimierungsbedarf aber im Vergleich zum Stand im Jahr 2014 ist Deutschland in der Salafismusprävention deutlich besser aufgestellt.

Das Interview führte Recep Yılkın.

Leserkommentare

Ethiker sagt:
Johanned Disch sie müssen genauer lesen. Sie produzieren falsche Arguemente und zitieren falsch: "Der Kolonialismus ist nicht der Grund für den zeitgenössischen islamistischen Terror, der seine ideologischen Wurzeln tatsächlich im Salafismus hat. Der Kolonialismus ist nur eine billige Ausrede." Die Rückbesinnung war ein Mittel und wird von einigen euopäischen Historikern als Salafismus bezeichnet, lesen sie mal hierzu das Buch von Dirk Sasse, "Franzosen, Briten und Deutsche im Rifkrieg 1921-1926: Spekulanten und Sympathisanten, Deserteure und Hasardeure im Dienste Abdelkrims (Pariser Historische Studien, Band 74) " Dann merken sie wie einfältif ihr Wissen zum Thema ist. "Der Godfather des islamistischen Terrors ist Sayyid Qutb und seine Schrift "Wegzeichen."" Sayyid Qutub spielt unter allen möglichen Gruppierungen keine Rolle, allein schon durch die Tatsache das sich die Ereignisse geändert haben. Deshalb ist die Aussage zu einfach und falsch. "Der politische Salafismus/Islamismus/Neo-Djihadismus wendet sich gegen die liberale Gesellschaft und die Demokratie und will die weltliche Ordnung durch eine islamische Theokratie ersetzen, will poisitives Recht durch Gottesrecht (Scharia) über weltliches Recht ersetzen." Diese Aussage ist ebenso unzureichend, der sog. Salafismus und etc. sind reaktive Strömungen die nur im EInklang mit der Moderne zu denken sind. Sie bedienen sich moderner Denkmuster und wenden sich vorerst gegen Muslime und nicht gegen die liberale Gesellschaft oder Demokratie. Auch ist der Begriff Theokratie unpassend weil viele Gruppierungen dies nicht anstreben, sie wollen keinen gottgenannten Propheten noch einen von Gott ernannten Kalifen. "Die Gründe für den Niedergang des Islam sah Qutb in der Abwendung der Muslime vom "reinen Islam." "Der Islam (in seiner politisierten totalitären Form) ist die Lösung", so das Motto Qutbs." Qutub spielt keine Rolle mehr für jegliche Gruppierungen er bleibt ein Kind seiner Zeit auch sind seine Ideen mehr westlicher Natur, er war in europäischer Literatur belesen und bewunderte diese, (Totalität der Herrschaftsform und Legitimierung, Gründung einer reaktiven Gruppe gegen den islamischen Konsens) Johanned Disch sie beweisen wiedereinmal ihre Unbelesenheit und ihr Unwissen. Das Problem ist die Ungeniertheit und der Machtanspruch mit Begriffen aus dem Islam respektlos umzugehen. Anstatt der Mehrheit im Islam zur folgen was die Begriffe wie Jihad und Salaf angeht, folgt man den extremen reaktiven Gruppen und legitimiert diese indirekt, wenn man jene Begriffe und Phänomene in den akademisch europäischen Kontext als allgemeingültig übernimmt und den Missbrauch der Begriffe nicht hervorhebt. Deshalb wird die Diskussion um Salafismus und Jihadismus oder Islamismus als Neologismen niemals von der Mehrheit der Muslime übernommen werden. Es ist schlichtweg anstössig. Ganz davon abgesehen, dass Muslime sich nicht erdreisten Begriffe und Theorien für Gruppierungen aus Europa oder ihren Verbündeten einzubilden und die Sicht der extremen Gruppierungen aus Europa propagieren versuchen. Niemand kommt auf die Idee Blackwater Einheiten oder die Drohnenangriffe und ihre Logik auf das gesamte Glaubenskorsett einer liberalen Ideologie aufzustülpen. In Europa wird das hingegen mit dem Islam und den Begriffen wie Jihadismus, Islamismus und Salafismus ungeniert gemacht. Man könnte meinen sie wollen extreme Gruppierungen erschaffen und konstruieren oder der Mehrheit der Muslimen diese aufzwingen.
10.07.20
12:26
Johannes Disch sagt:
@Salafismus: Worum es im Kern geht. Jenseits aller "Differenzierung"-- denn man kann solange "differenzieren", bis von einer Sache nichts mehr übrig ist ("Man muss differenzieren. Der Terrorismus hat nichts mit dem Islam zu tun" - Aiman Mazyek, Vorsitzender des ZMD-) -- ist unstrittig: Der Salafismus ist eine fundamentalistische Strömung im Islam und in seiner extremsten Form neigt er zum Neo-Djihadismus/Extremismus/Terrorismus. Zwar wird nicht jeder Salafist zum Terroristen. Aber jeder islamistische Terrorist ist ein Salafist. Und sie alle berufen sich auf Sayyid Qutb. Das wird schnell deutlich, wenn man sich mit den ideologischen Grundlagen des islamistischen Terrors befasst. Die beste und prägnanteste Einführung dazu gibt Bassam Tibi in: "Fundamentalismus im Islam." (2002) Auch Bin Ladn hat in seinen Video-Botschaften ständig aus den Schriften Qutbs zitiert. Und Bin Ladn war für den islamistischen Terror bestimmt keine ganze unwichtige Figur. Zu behaupten, Qutb würde für die Szene keine Rolle spielen ist ähnlich absdurd als würde man behaupten, der Marxismus-Leninismus hätte nichts mit den Schriften von Marx und Lenin zu tun. Wie wichtig der Salafismus als ideologische Grundlage des islamistischen Terrors ist, das hat hier bei "islamiq" vor 2 Tagen der hervorragende und leider kürzlich jung verstorbene E´muslimische Extremismusforscher Elhakan Shukni prima auf den Punkt gebracht: - "Es ist nicht zu leugnen, dass die Rolle der sogenannten "salafistischen Szene" in Deutschland bei aller differenzierenden Betrachtung eine entscheidende Rolle in der Radikalisierung Jugendlicher gespielt hat." ("islamiq" 12.07.2020) Es ist unwesentlich, dass die Mehrheit der Muslime dem Salafismus/Djihadismus nicht zuneigt. Entscheidend ist, dass diese Szene wächst und dass dieses fundamentalistisch-antidemokratische Islamverständnis, das den Salafismus kennzeichnet, in Europa und in Deutschland immer mehr Zulauf findet, gerade bei Jugendlichen und bei Flüchtlingen.
14.07.20
12:51
Ute Fabel sagt:
Alexander der Große ist bis zum Hindus vorgestoßen. Es war ihm allerdings überhaupt kein Anliegen, den Glauben an die die Götter des Olymps in seinem ganzen Imperium zu verbreiten. Ebenso wenig war das bei Julius Cäsar der Fall. Der Christ Karl der Große und der Moslem Süleyman waren allerdings getragen davon, allen ihren Untertanen ihre Religion aufzuzwingen. Das liegt an schon Quelltexten des Christentums (Neues Testament) als auch des Islams (Koran) die anders als die griechisch- römische Religion von einem alleinigen Wahrheitsanspruch und Geringschätzung und Aggressivität gegenüber "Ungläubigen" sind. Davor sollte man die Augen nicht verschließen.
23.07.20
11:43
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