Das Auswärtige Amt (AA) stellt Nurhan Soykan als Beraterin ein. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Nach Kritik wird der Posten auf Eis gelegt. Was hat es damit auf sich?
IslamiQ: Frau Soykan, wie fühlen Sich sich momentan?
Nurhan Soykan: Es sind anstrengende Zeiten. Das Wenigste, was man nach einer Chemotherapie gebrauchen kann, ist psychischer Stress. Aber ich vertraue auf Gott, und bin überzeugt davon, dass ich gestärkt aus der Sache rausgehen werde.
IslamiQ: Wie kam es überhaupt zu der Stelle? Welche Erwartungen hat das Auswärtige Amt an Sie?
Soykan: Ich hatte die Kollegen auf verschiedenen Veranstaltungen, wo ich auch auf dem Podium saß, kennengelernt. So kam es zum Kontakt. Meine beiden Kollegen und ich sind als externe Berater eingestellt. Unsere Aufgabe sollte sein, über unsere Lebenswirklichkeit zu beraten und friedensstiftende Elemente der Religionen herauszustellen. Für mich als muslimische Beraterin geht es darum, islamische Strukturen im Ausland verständlich zu machen. Es geht auch um Netzwerkaufbau und Kooperation auf trialogischer Basis.
IslamiQ: Für das Auswärtige Amt dürfte Ihre jahrzehntelange Erfahrung als Vertreterin der muslimischen Gemeinschaft, aber auch im Interreligiösen Dialog eine Rolle gespielt haben. Von Ihren Partnern war aber in der letzten Zeit nicht viel zu hören.
Soykan: Sicherlich sind meine Kompetenzen und Erfahrungen, die ich als stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime (ZMD) und Mitglied des Koordinationsrates der Muslime (KRM) gemacht habe, entscheidungsrelevant gewesen. Ich bin aber als Privatperson Beraterin des Auswärtigen Amtes.
Medial waren die Gegner sicherlich lauter, ich habe aber auch viel Unterstützung erfahren.
IslamiQ: Ihnen wird u. a. Antisemitismus vorgeworfen, eine Anschuldigung, mit der Sie bisher gar nicht in Verbindung gebracht wurden. Wie kam es dazu?
Soykan: Als Quelle gibt man ein Zitat aus 2014 an, was im Gesamtzusammenhang gesehen, auf keinen Fall antisemitisch verstanden werden kann. Die Tatsache, dass wir im ZMD viele Projekte im jüdisch-muslimischen Dialog haben, dass ich an einer trialogischen Reise teilgenommen habe, die Wuppertaler Synagoge nach einem Angriff besucht habe, all das wird nicht zur Kenntnis genommen.
IslamiQ: Es wird von einer „Cancel Culture“ gesprochen. Das ist ein Prozess, der einem bestimmten Muster folgt: Es werden Zitate gesucht, die genug Interpretationsraum bieten, um sie mit etwas Bedrohlichem in Verbindung zu bringen. Dann wird, z. B. in einem öffentlichen Brief, der Rückritt gefordert und in sozialen Medien mobilisiert. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt?
Soykan: Genau so. Zitate werden aus dem Zusammenhang gerissen, Beziehungsketten werden konstruiert, man wird beschuldigt für Dinge, die man nicht gesagt hat, aber hätte sagen sollen. Das reicht dann als Beweis für Antisemitismus und Extremismus aus.
Eine Gesamtbeurteilung jahrzehntelanger ehrenamtlicher Arbeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft findet nicht statt. Leider werden solche Vorverurteilungen durch Medien und Vertreter der Politik ungeprüft weitergetragen.
IslamiQ: Was bedeutet Ihre Erfahrung für die vielbeschworene Normalität und den Pluralismus in Deutschland?
Soykan: Ich sehe in der Entscheidung des Auswärtigen Amtes, mich als Beraterin anzustellen, einen sehr mutigen Schritt in die richtige Richtung. Ich hoffe, dass das Auswärtige Amt auch den Mut und die Kraft hat, diesen Schritt weiterzugehen. Ansonsten hätte Deutschland einen erheblichen Imageschaden.
IslamiQ: Hand aufs Herz: Würden Sie, trotz Ihrer Erfahrung, einer jungen Muslimin empfehlen, politisch aktiv zu werden?
Soykan: Auf jeden Fall, aller Anfang ist schwer. Wem aber etwas daran liegt, dass Deutschland sein Bekenntnis zu Chancengleichheit, Pluralität und Religionsfreiheit erhält, der muss sich engagieren.
Das Interview führte Ali Mete.