Racial Profiling

Polizeigewalt in Hamburg sorgt für Debatten

In den vergangenen Tagen gerieten bundesweit Polizisten wegen Einsätzen in die Kritik. Nun sorgt ein Fall aus Hamburg für Diskussionen. Ein Einsatz ausgerechnet vor einer Wand mit dem Schriftzug „I can’t breathe“.

19
08
2020
Polizeigewalt in Hamburg @facebook, bearbeitet by iQPolizeigewalt in Hamburg @facebook, bearbeitet by iQ
Polizeigewalt in Hamburg @facebook, bearbeitet by iQ

Ein Polizeieinsatz in der Hamburger Neustadt vor laufender Handykamera hat für Debatten gesorgt. Auf dem Twitter-Video ist zu sehen, wie sieben oder acht Beamte in Hamburg einen Jugendlichen niederringen, der vor einer Wand steht mit den Graffiti-Schriftzügen „I can’t breathe“ (ich kann nicht atmen) – in Anlehnung an Polizeigewalt in den USA.

In einer längeren Fassung des Videos ist zu erkennen, dass der Jugendliche sich zuvor gegen zwei Polizistinnen und zwei Polizisten heftig gewehrt hat, und sie immer wieder kräftig zur Seite schubst. Ein Beamter zückt einen Schlagstock. Dann rückt Verstärkung an. Der groß gewachsene junge Mann, der nach Angaben von Zeugen 15 Jahre alt sein soll, wehrt sich weiter, ein Polizist schreit ihn wiederholt an: „Auf den Boden!“ Eine Zeugin ist zu hören, wie sie die Beamten auffordert, ruhig zu bleiben. Schließlich überwältigen die Beamten den Jugendlichen und halten ihn am Boden fest. Auf dem Video ist zu hören, wie er offenbar ruft: „Ich krieg keine Luft, ich krieg keine Luft.“ Die Zeugin ruft: „Was tut ihr ihm an, er kriegt keine Luft.“

„Polizeigewalt in Hamburg gegenüber Persons of Color“

In sozialen Medien wurde heftig über den Einsatz in Hamburg diskutiert und der Polizei teils unverhältnismäßige Gewalt vorgeworfen. Dabei war vor allem eine kürzere Fassung des Videos zu sehen, die nicht zeigt, wie der junge Mann anfangs die vier Beamten schubst. Die Hamburger Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir forderte sofortige Aufklärung und fragte auf Twitter: „Was war euer Ziel ausgerechnet vor dieser Schrift an der Wand“. Die Flüchtlingshilfsorganisation Seebrücke erklärte, dieser Vorfall sei nur einer in einer ganzen Reihe ähnlicher Übergriffe, „die immer wieder von der Hamburger Polizei gegen Persons of Color verübt werden“.

Die Gewerkschaft der Polizei erklärte, „Polizeigewalt“ erkenne sie in dem Video nicht. „Bei der öffentlichen Diskussion sehen wir aber Tendenzen, die zu einer Schwächung des Rechtsstaates führen können. Beinahe hat man das Gefühl, Polizeigewalt und latenter Rassismus sollen um jeden Preis herbeigeschrieben werden.“ Das seien auch die Folgen der Äußerungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Esken hatte im Juni erklärt, in deutschen Sicherheitsbehörden herrsche „latenter Rassismus“.

Der Einsatz in Hamburg wird vom Dezernat überprüft

Innensenator Andy Grote (SPD) warnte vor reflexartigen Vorverurteilungen. Um solche Videoausschnitte bewerten zu können, sei es entscheidend, den kompletten Sachverhalt zu kennen. Die Hamburgerinnen und Hamburger erwarteten von ihrer Polizei zu Recht, dass sie Recht und Gesetz notfalls auch gegen Widerstand durchsetze. „Niemand darf sich durch schlichte Gegenwehr einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme entziehen können.“ Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Sören Schumacher, betonte, verbindliche Regeln und ihre verlässliche Durchsetzung seien die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. „Es darf nicht sein, dass man sich durch Renitenz aus der Verantwortung für sein Handeln ziehen kann.“

Die Polizei in Hamburg teilte am Dienstagmittag mit, der Vorfall habe sich am Vortag ereignet, als ein Stadtteilpolizist den Jugendlichen habe kontrollieren wollen, der ihm in den vergangenen Tagen bereits mehrfach aufgefallen gewesen sei. Dieser habe mit einem Elektro-Roller wiederholt verbotswidrig den Gehweg benutzt. Der Jugendliche kam demnach der Aufforderung sich auszuweisen nicht nach.

Letztlich sei Pfefferspray eingesetzt worden, so die Polizei. Danach sei es den Beamten gelungen, den Jugendlichen auf den Boden zu halten und zu fesseln. „Dabei wurden die Einsatztechniken so kontrolliert, dass es dem Jugendlichen jederzeit möglich war, zu atmen“, hieß es.

„Sie leistet sinnlosen Widerstand!“

Die Polizei betonte, das Video zeige deutlich, dass die Beamten gewillt gewesen seien, den Widerstand mit einfacher körperlicher Gewalt zu beenden und den Jugendlichen zu Boden zu bringen. „Solche Einsätze erzeugen häufig Bilder, die Fragen aufwerfen.“ Der Einsatz werde vom Dezernat Interne Ermittlungen überprüft.

Satiriker Jan Böhmermann twitterte zu der Erklärung der Polizei, sie verhalte sich taktisch wie ein 15-Jähriger, der sich wegen einer harmlosen Ordnungswidrigkeit plötzlich mit dem Rücken zur Wand stehend von acht Bewaffneten umzingelt sehe und angebrüllt werde: „Sie leistet sinnlosen Widerstand.“

Ein Polizeisprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Jugendliche sei wegen zweier Attacken auf Lehrkräfte polizeibekannt. Es sei für die Beamten auch nicht einfach gewesen, mit ihm umzugehen. Der 15-Jährige sei 1,85 groß und boxe in einem Verein.

„Vergleiche mit dem Fall George Floyd“

In den vergangenen Tagen hatte es mehrere Fälle gegeben, in denen Videos von Einsätzen zu Debatten über Polizeigewalt führten, etwa in Düsseldorf. Dort war ein 15-Jähriger von einem Beamten mit dem Knie am Kopf zu Boden gedrückt worden. Ein Augenzeugen-Video hatte sich im Internet verbreitet und Vergleiche mit dem Fall des Afroamerikaners George Floyd in den USA ausgelöst.

In Hessen wurde nach einem Polizeieinsatz gegen einen 29-Jährigen im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen eine Expertenkommission eingesetzt. Ein in sozialen Netzwerken kursierendes Handy-Video zeigt Tritte und Schläge gegen den Mann. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte, die Arbeit der Kommission stehe im Zusammenhang mit rechtsextremen Drohmails und der Debatte über mögliche rechte Netzwerke bei der Polizei. Übergeordnetes Ziel sei es, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wiederherzustellen, erklärte Beuth. (dpa/iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
In so einem Fall ist es wichtig, dass umstehende Passanten Zivilcourage zeigen und beherzt in die Situation tätlich eingreifen, um Polizeigewalt zu verhindern. Zurufen bringt da nichts. Gegen Polizeigewalt gilt null Toleranz und muss mit allen verfügbaren Mitteln verhindert werden. Wer Polizeigewalt ausübt, dem gehört der Job gekündigt. Es ist mit ein paar simplen Handgriffen einfach, eine verdächtige Person stehend zu fixieren. Anscheinend haben einige Beamten das in ihrer Ausbildung nicht gelernt oder beim Unterricht nicht aufgepasst. Shame on you.
19.08.20
16:18