Berlin

Kopftuchverbot gekippt: Muslimin gewinnt Rechtsstreit

Das Land Berlin kann muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch nicht unter Berufung auf sein Neutralitätsgesetz ablehnen. Das Bundesarbeitsgericht wies eine Revisionsklage ab.

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08
2020
Lehrerin mit Kopftuch © Perspektif, bearbeitet by iQ.
Musliminnen © Perspektif, bearbeitet by iQ.

Das im Berliner Neutralitätsgesetz verankerte pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen verstößt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gegen die Verfassung. Das Gericht wies am Donnerstag nach Angaben einer Sprecherin die Revision des Landes Berlin gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts zurück. Dieses hatte einer muslimischen Lehrerin im November 2018 rund 5159 Euro Entschädigung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst eingestellt worden war.

Die Frau sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden, entschied nun das Bundesarbeitsgericht. Der Paragraf 2 im Neutralitätsgesetz, der Pädagogen an allgemeinbildenden Berliner Schulen nicht nur das Tragen eines Kopftuchs, sondern auch anderer religiöser Kleidungsstücke und Symbole wie Kreuz oder Kippa untersagt, müsse verfassungskonform ausgestaltet werden.

Nach Einschätzung der Erfurter Richter sei ein generelles, präventives Verbot zum Erhalt des Schulfriedens nicht rechtens, erläuterte die Sprecherin. Vielmehr müssten konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Schulfriedens vorliegen. Die bisherige Regelung verletze die Religionsfreiheit der Lehrer. Mit seiner Entscheidung liegt das Bundesarbeitsgericht auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte schon 2015 konkrete Gefahren für den Schulfrieden als Voraussetzung für ein allgemeines Verbot religiöser Symbole an Schulen genannt.

Das Landesarbeitsgericht hatte bei seinem Urteil 2018 erklärt, das Neutralitätsgesetz sei verfassungskonform auslegbar. Im konkreten Einzelfall sei allerdings keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität durch das Kopftuch erkennbar gewesen. Der Lehrerin, die sich wegen ihrer Religion diskriminiert sah, gab das Gericht daher Recht und sprach ihr eine Entschädigung in Höhe eines 1,5-fachen Bruttomonatsverdienstes zu. Sie hoffte vor dem Bundesarbeitsgericht nun auf eine höhere Summe, was das BAG aber ablehnte.

Konkret handelt es sich um eine Informatikerin, die sich als sogenannte Quereinsteigerin für eine Stelle in einer Sekundarschule, einem Gymnasium oder einer Berufsschule beworben hatte. Für die Berufsschule, für die das Neutralitätsgesetz im Unterschied zu allgemeinbildenden Schulen nicht gilt, wurde die Klägerin mit Verweis auf andere, besser geeignete Bewerber abgelehnt. Für die anderen Schultypen erhielt sie kein Angebot.

In den vergangenen Jahren hatten mehrere Urteile von Arbeitsgerichten in Berlin Zweifel am Neutralitätsgesetz aufkommen lassen. Aktuell ist laut Bildungsverwaltung noch ein weiteres Verfahren wegen mutmaßlicher Diskriminierung einer muslimischen Lehrerin anhängig. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Tarik (24.09.2020, 10:39) -- "Das sieht für Sie nur aus wie "Jonglieren", da Sie mir nicht folgen können." (Tarik) Oh, das habe ich tatsächlich nicht bedacht. Das erklärt natürlich alles.*smile*
25.09.20
17:54
Johannes Disch sagt:
@Tarik (24.09.2020, 10:39) Auch die Neuen Rechten-- die aus mehr sind als die "Identitären"-- betreiben Identitätspolitik, eben nur anders als die Islamverbände. Diese definieren Identität religiös und die Neuen Rechten definieren sie völkisch-national. War Identitätspolitik ursprünglich eine linke Domäne, so blieb sie darauf aber nicht beschränkt. Ihre Kritik an linker Identitätspolitik teile ich. Besonders schlimm ist der Tugendterror, den die Sprache erfährt. Der Sarotti-Mohr darf nicht mehr Sarotti-Mohr heißen und das Zigeunerschnitzel nicht mehr Zigeunerschnitzel. Und das Gendersternchen verhunzt die deutsche Sprache. Jeder Neuropsychologe könnte diesen Leuten erklären, dass sprachliche Bereinigung Rassismus noch nie verhindert hat. Wäre das der Fall, dann müssten die USA--- wo das N-Wort schon lange auf dem Index steht-- schon längst frei von Rassismus sein. Wir sehen aber aktuell, dass das Gegenteil der Fall ist. Meines Erachtens liegt der Hauptgrund für die gegenwärtige Lage nicht in der Kultur, sondern in der Ökonomie begründet. Vier Jahrzehnte neo-liberale Wirtschaftspolitik haben ganze Arbeit geleistet. Man kann die Ungleichheit nicht immer weiter wachsen lassen und dann erwarten, dass die Leute rufen: "Hurra Demokratie!" Sie rufen dann irgendwann "Hurra Donald"(Trump) und "Hurra Björn" (Höcke) Bill Clinton hat noch immer recht: "It´s the economy, stupid." Ach, Formulierungen a la "Sie können wohl den Unterschied zwischen diesem und jenem nicht" und "Ich helfe Ihnen gerne auf die Sprünge", und ähnliche Formulierungen, die sie gelegentlich gebrauchen, sind läppisch. Diese infantile Arroganz ist ein Bumerang und entwertet ihre ansonsten durchaus lesenswerten Beiträge. Da muss man sich nicht wundern, wenn das Pendel irgendwann umschlägt und man Leute wie Donald Trump
26.09.20
19:20
Johannes Disch sagt:
Kommen wir mal wieder zum eigentlichen Thema des Artikels zurück, zu dem unseligen Urteil des Erfurter Gerichts, das ein Kopftuchverbot in Berlin kippte. Wohlgemerkt: Es ist und bleibt eine Einzelfallentscheidung! Das Berliner Neutralitätsgesetz ist nach wie vo in Kraft! Das Gericht übersieht die Bedeutung des Kopftuchs: Unabhängig von den individuellen Beweggründen der Trägerin steht es für den Politischen Islam-- den Islamismus-- und transportiert ein reaktionäres Geschlechterbild, das sowohl Frauen als auch Männer sexualisiert und diskriminiert. Nicht umsonst hat überall, wo der Islam an die Macht kam, zuallererst das Kopftuch wieder Einzug gehalten (Iran). Und auch in der nur noch formal laizistischen Türkei ist das Kopftuch durch die schleichende Islamisierung des Islamisten Erdogan wieder auf dem Vormarsch. Hat man Erdogans Gattin Ermine schon mal ohne Kopftuch gesehen? Dazu das lange Gewand bis zu den Knöcheln. Kopftuch und Verhüllung bis zu den Knöcheln-- die klassische Uniform des Islamismus, wenn er sich in weiblicher Form präsentiert. Atatürk hat genau gewusst, dass er den Islam zurückdrängen muss, will er die Türkei in die Moderne katapultieren. Erdogan dreht die Uhren nun wieder zurück. Mit Zustimmung des türkischen Wählers-- auch der in Deutschland lebenden Türken, die jede Verfassungsänderung, die Erdogan mehr gibt-- absegnet, weshalb der türkische Wähler selbst schuld ist an den aktuellen Zuständen. Susanne Schröter hat in ihrem Forschungsprojekt "Globaler Islam" an der Uni Frankfurt gezeigt, welchen Stellenwert das Kopftuch bei der Islamisierung einer Gesellschaft hat. Und dabei bleibt es nicht. Danach kommt die Scharia. Und auch hier tasten sich die Islamverbände und eine gewisse Staatssekretärin schon einmal völlig unverhohlen vor: "Die Demokratie und die Scharia sind problemlos vereinbar" (ZMD-Chef Mazyek und Sawsan Chebli (SPD), Staatssekretärin inBerlin). Nein, sind sie nicht. -- "Demokratie und Scharia vertragen sich wie Feuer und Wasser." (Bassam Tibi). Deshalb: Es ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass auch die deutsche Justiz endlich erkennt, dass das Kopftuch mehr ist als ein Stück Stoff und dass es für etwas steht, das mit unserer FDGO nicht vereinbar ist und deshalb nicht unter Religionsfreiheit fällt. Beide Seiten -- Arbeitgeber und die betroffenen Frauen-- brauchen endlich Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.
27.09.20
15:36
Johannes Disch sagt:
@Erfahrungen aus der Praxis Ich habe unter einem anderen Artikel bereits erwähnt, dass ich seit gut anderthalb Jahrzehnten auch praktisch mit der Materie befasst bin. In der Schule meines Stadtteils liegt der Anteil an Migrantenkindern-- die meisten davon Muslime-- inzwischen bei über 90%. Und es lässt sich beobachten, daass der Druck, Kopftuch zu tragen, unter den Schülerinnen immer mehr zunimmt. Das ist keine gute Entwicklung. Und dann noch Lehrerinnen mit Kopftuch, das wäre kontraproduktiv. Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich bei diesem Thema inzwischen auch meine Meinung geändert. Nicht nur in der Justiz, sondern auch in der Schule sollte das Kopftuch bei Lehrinnen außen vor bleiben.
02.10.20
8:09
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