Mit einer Revisionsklage gegen die Entschädigung einer Kopftuch tragenden Lehramtsbewerberin ist das Land Berlin gescheitert. Das Kopftuchverbot wurde gekippt.
Das Land Berlin kann muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch nicht unter Berufung auf sein Neutralitätsgesetz ablehnen. Das Bundesarbeitsgericht wies am Donnerstag in Erfurt eine Revisionsklage des Landes gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg von 2018 ab. Es hatte einer Lehramtskandidatin eine Entschädigung in Höhe von 5.160 Euro mit der Begründung zugesprochen, dass sie wegen ihrer Religion nicht eingestellt und damit benachteiligt worden sei.
Islamische Religionsgemeinschaften und die beiden großen Kirchen haben das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz begrüßt. „Wir sind sehr froh und erleichtert über diese Entscheidung. Denn das Gesetz hat de facto nur gebildete muslimische Frauen diskriminiert, die ein Kopftuch tragen und höhere Positionen anstreben; im vorliegenden Fall die Position einer Lehrerin“, erklärt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Kopftuchverbote haben noch nie überzeugt. Das habe auch das Bundesarbeitsgericht erkannt und dem Berliner ‚Neutralitätsgesetz‘ Verfassungswidrigkeit attestiert.
Bewusst oder unbewusst waren Kopftuchverbote auch innerhalb der Muslime jenen Kreisen Wasser auf die Mühlen, die gegen die Selbstständigkeit der Frauen seien; solchen, die aus vermeintlich traditionellen Vorstellungen heraus nicht wollen, dass Frauen arbeiten, Karriere anstreben, sondern zu Hause bleiben. Auch deshalb begrüße man die Entscheidung des BAG ausdrücklich. „Sie stärkt Frauen, die ein Kopftuch tragen, nicht nur gegenüber ihren üblichen ‚Kritikern‘ und in der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber veralteten Vorstellungen innerhalb der muslimischen Communitys“, betont Altaş abschließend.
Der Islamrat der Bundesrepublik Deutschland erklärte, dass das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts bestätigt hat. „Die restriktive Praxis in Berlin widersprach nicht nur den verfassungsrechtlichen Vorgaben, sie widersprach auch der gesellschaftlichen Realität“.
Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) begrüßt die Entscheidung. „Das Urteil verdeutlicht klar, dass es niemals die Auslegung des Berliner Neutralitätsgesetzes war, sondern ein Berufsverbotsgesetz für muslimische Frauen und das hat naturgemäß keinen Bestand vor unserer Verfassung“, erklärt ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek. Mit diesen „unsinnigen Verboten“ müsse endlich in Deutschland Schluss sein.
Der katholische Erzbischof Heiner Koch, erklärte am Freitag, die Entscheidung sei ein Anlass, mit dem Staat über religiöse Symbole in der Öffentlichkeit und die staatliche Neutralität zu sprechen. Es seien entscheidende Fragen für ein friedliches Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft, betonte der Berliner Erzbischof. Konsistorialpräsident Jörg Antoine von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sagte, er hoffe auf mehr Toleranz und Gelassenheit im Umgang mit religiösen Symbolen.
„Nach über fünf Jahren ist es an der Zeit, im Berliner Neutralitätsgesetz dem Grundrecht der Religionsfreiheit mehr Beachtung zu schenken“, so Präsident Antoine unter Verweis auf das Karlsruher Urteil von 2015. Das Land Berlin habe in dem Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht nicht nachweisen können, dass der vorliegende Fall der Kopftuch tragenden Lehrerin den Schulfrieden konkret bedroht hätte. Das Prüfen einer solchen konkreten Gefährdungslage wäre aber die Arbeit der staatlichen Verwaltung gewesen. „Wer eine tolerante und plurale Gesellschaft möchte, sollte nicht auf das Verbot religiöser Symbole setzen“, forderte der Kirchenjurist.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und das Bündnis #GegenBerufsverbot begrüßen ebenfalls die Entscheidung. Einmal mehr werde klargestellt, dass „pauschale Verbote religiöser Symbole“ unzulässig seien und eine Diskriminierung vorliegen könne. Berlin wäre demnach gut beraten, entsprechende Regelungen zu überarbeiten.
“Der Klageerfolg ist ein wichtiger Schritt für die Rechte von Frauen* und Minderheiten sowie intersektionale Gerechtigkeit. Endlich wird der Diskriminierung durch das sog. Neutralitätsgesetz, die angehende Lehrerinnen erfahren, wenn sie ein Kopftuch tragen, ein Riegel vorgeschoben. Ab jetzt muss das Land Berlin Frauen* mit Kopftuch gleichberechtigten Zugang ermöglichen,” so Miriam Aced vom Bündnis #GegenBerufsverbot. Das Urteil habe symbolischen Wert und erinnere Politik und Gesellschaft daran, dass die Kriminalisierung und der Ausschluss von Musliminnen falsch sei und verhindert werden müsse. (dpa, KNA, iQ)