REZENSION

„Anders als politisch kann dieses Buch gar nicht diskutiert werden“

Mouhanad Khorchide stellt in seinem neuen Buch „Gottes falsche Anwälte“ einen nach seinem Verständnis „aufgeklärten Islam“ vor. Thomas Bauer, Professor für Islamwissenschaft und Arabistik, übt scharfe Kritik.

20
09
2020
Buch Rezension Bauer
Islamwissenschaftler Thomas Bauer © facebook/Thomas Bauer

Wer reformieren will, muss auch manches einreißen, wer aber einreißt, muss auch wieder aufbauen. Etwas dieser Art hätte man, ausgehend von seinen bisherigen Schriften, auch von Mouhanad Khorchides neuem Buch erwartet. Doch schon der ungewöhnlich aggressive Titel lässt wenig Aufbau erhoffen, und tatsächlich wütet auf diesen 236 Textseiten die Abrissbirne sehr gründlich, ohne dass aus den Ruinen Neues erstünde.

Der erste Teil ist zunächst nicht etwa eine Kritik an der einen oder anderen Fehlentwicklung in der islamischen Geschichte, sondern deren Totalvernichtung. Schon bald nach dem Tod des Propheten fiel nämlich, meint K., der Islam zur Gänze machtversessenen Schurken in die Hände, die Muhammads Botschaft der „Befreiung der Menschen zu selbstbewussten Subjekten“ in ein Instrument verwandelten, die Menschen zu gehorsamen Objekten zu machen. Vom Ende des 7. Jh.s an soll der Islam dann fast 1400 Jahre ein Unterdrückungsinstrument geblieben sein, sonst nichts. Ein erster großer Fehler sei schon die frühe Expansion gewesen, weil sie den Islam mit dem persischen und dem oströmischen Reich in verderbenbringenden Kontakt brachte. Solches zu behaupten, ignoriert nicht nur die Tatsache, dass diese beiden Reiche und ihre Religionen längst vor dem Islam auf der arabischen Halbinsel höchst präsent waren, sondern auch, dass der Islam eine kurzlebige Sekte geblieben wäre, wäre er nur defensiv geblieben und nur auf die „Befreiung des Subjekts“ bedacht gewesen (was er ebensowenig war wie alle anderen vormodernen Religionen und Philosophien auch). Hätten die Muslime nicht ihre Rolle zwischen den Großmächten ihrer Zeit gesucht und gefunden, gäbe es den Islam schlichtweg nicht mehr.

Eine zuvor veröffentlichte Rezension von Ali Mete finden Sie hier: Die Sache mit dem Islam

Willkürliche Fakten und eigenwillige Interpretation

Um die Geschichte der folgenden 1300 Jahre möglichst düster erscheinen zu lassen, werden nicht nur Fakten willkürlich herausgegriffen, sondern, weitestgehend ohne Rückgriff auf historische und islamwissenschaftliche Fachliteratur, auch höchst eigenwillig interpretiert. Dazu nur wenige Beispiele: Die Thronnamen der Abbasidenkalifen (zwischen die auch schon einmal ein Fatimide hineinrutscht), also Namen wie z. B. al-Mutawakkil ʿalā llāh „Der auf Gott vertraut“, sollen, anders als vom Vf. behauptet, keineswegs suggerieren, dass des Kalifen Wort unfehlbar und dem Wort Gottes gleichzusetzen ist, sondern Devotion bezeugen und versichern, dass der Kalif sein Amt nicht im Eigeninteresse führen, sondern Gottes Gesetz folgen will. Tatsächlich waren viele Abbasiden kultivierte, gottesfürchtige, oft sogar asketische Männer, die ihr Bestes gaben, aber nicht einmal Gesetze erlassen konnten, geschweige denn die Möglichkeit hatten, den „bedingungslosen Gehorsam“ all ihrer Untertanen zu erzwingen, selbst wenn sie gewollt hätten. Übrigens blieb das Kalifat auch unter den Abbasiden ein (wenn auch dynastisch gebundenes) Wahlamt, und kaum einem Kalifen ist es gelungen, seinen Wunschnachfolger zu installieren. Auch haben die Abbasiden nie ihre ursprüngliche Farbe Schwarz durch das Grün der Sassaniden ersetzt (so S. 55), sondern bis an ihr Ende 1517 das abbasidische Schwarz beibehalten. Das auf die Abbasiden folgende halbe Jt. findet dann bei K. erst einmal gar nicht statt, obwohl gerade für das Verhältnis zwischen Politik und Religion in den islamischen Großreichen, die sich nach 1500 etabliert hatten, eine umfangreiche Sekundärliteratur vorliegt.

„Aberwitziger Umgang mit Geschichte“

K.s Abrechnung mit der Geschichte ist total. Während selbst die radikalsten Reformatoren noch den einen oder anderen Kirchenvater gelten ließen und muslimische Reformer in der rationalistischen Theologie der Muʿtaziliten oder in philosophieaffinen Denkern Vorbilder sahen, von denen man später leider abgekommen sei, bleibt bei K. niemand bestehen. So ist ausgerechnet al- Ǧāḥiẓ, der große und bezaubernde Denker und Literat des 9. Jh.s, sonst everybody’s darling, der erste, der K.s Geschichtsbashing zum Opfer fällt. Auch der 1030 verstorbene, allgemein hochgeschätzte Ethiker Miskawayh (der so ein einflussreicher Klassiker auch nicht gewesen sein kann, wie K. behauptet: Brockelmanns Standardwerk listet gerade einmal sechs Handschriften auf) fällt aus einem einzigen Grund der Verachtung anheim: Beide waren Perser, und Persien scheint nichts anderes gewesen zu sein als das Ursprungsland von Despotismus und Sklavenmoral. Wie in salafistischen Diskursen auch, spielen die kulturellen Leistungen islamischer Gesellschaften, die – man denke nur an das Mogulreich Indiens – der persischen Tradition so viel verdanken, keine Rolle. Ob wohl auch Dichter wie Rūmī und Ḥāfeẓ nichts als manipulierte Objekte eines politischen Islams waren?

Sonst sind es eigentlich weniger die Perser, die für alles Schlechte verantwortlich gemacht werden, sondern die Türken, die aber hier bis S. 123 warten müssen, bis sie an die Reihe kommen. Die vielen „Gräueltaten“, die die Osmanen den Arabern angeblich antaten, heißt es da, hätten nämlich zur Herausbildung des arabischen Nationalismus geführt. Als Quelle wird ein gewisser Muḥammad al- Ḥanafī angeführt, den allerdings niemand unter diesem Namen kennt. Es handelt sich aber um keinen anderen als um Ibn Iyās, der die osmanische Eroberung Syriens und Ägyptens des Jahres 1517 in seinem bekannten Geschichtswerk beschreibt und um 1524 gestorben ist. Die dort geschilderten Taten sollen dann ganze 350 Jahre später zum arabischen Nationalismus geführt haben? Ein solch aberwitziger Umgang mit Geschichte ist allerdings symptomatisch für das ganze Buch.

„Nicht der Salafist ist gefährlich, sondern der muslimische Kinderarzt“

In seiner Darstellung der Geschichte verschont der Vf. niemanden. Kein einziger Herrscher, Theologe oder Literat erscheint in positivem Licht: Überall nur Schufte und Schurken, niemand, auf den man sich heute berufen könnte. Doch in der Gegenwart scheint es nicht viel besser auszusehen, sind doch die allermeisten Muslime durch 1400 Jahre Gängelung manipuliert und in einem, wie Adorno sagen würde, Verblendungszusammenhang gefangen. Deshalb ist der Islam, „wie er sich heute den meisten Muslimen wie Nichtmuslimen präsentiert […], eine manipulierte Version dieser Religion“ (7). Dieses Beharren auf einer einzigen Wahrheit – der eigenen – und die Verneinung der Geschichte sind Merkmale des Fundamentalismus, in denen sich K. mit Wahhabiten und Salafisten einig ist. Deshalb gelten ihm auch nicht diese als die gefährlichsten Muslime, sondern die Vertreter des „politischen Islams“: „Allerdings sind wir jetzt mit einer viel gefährlicheren Ideologie konfrontiert: der des politischen Islams. Sie ist deshalb gefährlicher, weil sie versucht, die Gesellschaft subtil zu unterwandern. Bekennt sich der Salafist zu seiner salafistischen Ideologie […], zeigt sich der Anhänger des politischen Islams als gut integriert, ist meist gut ausgebildet, modebewusst, trägt, wenn er ein Mann ist, nicht selten Anzug, spricht von Integration […]. Er distanziert sich von Salafismus und Extremismus, beteiligt sich sogar aktiv an Aktionen und Projekten gegen den Extremismus und zeigt nicht selten Zivilcourage.“ (99) Mit anderen Worten: Nicht der Salafist mit dem Zauselbart ist gefährlich, sondern der muslimische Kinderarzt im Anzug, der für den Integrationsrat kandidiert. Was soll mit einem solchen Pauschalverdacht bezweckt werden, der leicht in Verschwörungstheorien münden kann? Und tut er dies nicht schon hier, wenn auch bei K. unmittelbar darauf die Warnung folgt, dass der politische Islam ja die Weltherrschaft anstrebe (101)?

Solche wissenschaftlicher Argumentation letztlich nicht mehr zugänglichen Behauptungen lassen keinen Raum mehr für Differenzierungen. Doch trifft es schlechterdings nicht zu, dass es „im Islam“ per se keine „Trennung von Politik und Islam“ gegeben habe – das Verhältnis war, wie der Münster’sche Exzellenzcluster „Religion und Politik“ seit vielen Jahren aufzuzeigen versucht, ein sehr komplexes. Studien professioneller Historiker und Islamwissenschaftler, die K. fast gänzlich entbehrlich zu sein scheinen, hätten ihn eines Besseren belehren können. Ebensowenig ist es richtig, dass es einen politischen Islam als einheitliches Phänomen gibt. Im Islam kann, wie in jeder anderen Religion auch, politisches Engagement sehr unterschiedliche Formen annehmen. Der politische Katholizismus etwa hat vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zur frühen Bundesrepublik Großes für die Demokratie Deutschlands und die Herausbildung des Sozialstaats geleistet. Vom Austrofaschismus rechts bis zur Befreiungstheologie links kann „politischer Katholizismus“ allerdings vieles sein, manches gut, manches schlecht, und das wird sich mit dem Islam kaum anders verhalten. Aber für solche Ambiguitäten hat K. nichts übrig.

Alternativkonzept zum „politischen Islam“?

Wie sieht nun sein Alternativkonzept aus? Es soll dies kein „politischer“, sondern ein „ethischer und spiritueller“ Islam sein. Im Buch war von einem solchen bisher noch nicht viel die Rede. Die wichtigste spirituelle Ausprägung des Islams wurde in einem Nebensatz abgetan: „Außerhalb der islamischen Mystik gelang es den Muslimen kaum, eine Theologie zu entfalten, die die Gott- Menschen-Beziehung als Freiheits- und Liebesbeziehung verstand.“ (76) Doch warum von der Mystik absehen? Sie ist keineswegs, wie gelegentlich angenommen, eine Richtung des Islams, sondern in allen Richtungen ein untrennbarer Bestandteil, ebenso wie Dogmatik und Recht, und zwar, wo nicht salafistischer Wahn wütet, bis heute. Tatsächlich hat die Mystik den Islam stärker geprägt als etwa das nachreformatorische Christentum. Viele Christen haben ihrerseits islamische Spiritualität in Gestalt des Sufismus intensiv rezipiert, und gerade die katholische Rezeption islamischer Mystik von Louis Massignon bis Richard Gramlich liefert wichtige Bausteine interreligiöser Theologie und Spiritualität. K. kann damit aber nichts anfangen. Für ihn besteht das, was er „Spiritualität“ nennt, schlicht darin, das „autonome Selbst“ zu entfalten. Es ist zwar hochgradig unplausibel, dass Muhammad (der „die Stoßrichtung vorgegeben hat“ [228]) das lehren wollte, und 1400 Jahre lang hat das auch niemand behauptet. K. aber deutet nun die erste Sure des Korans, eigentlich eine Art islamisches Gloria, zu einem Siebenpunkte-Programm der Selbstfindung um (154–173): „Der Koran beschreibt sieben Dimensionen der Selbstfindung als Angebot an jeden, der sich befreien und sich endlich als selbstbestimmtes Subjekt wahrnehmen will.“ (154) Das geht natürlich nicht ohne heftige Falschübersetzungen (befremdlicherweise findet sich auf S. 189 die richtige Übersetzung), aber anders lässt sich die „Kernbotschaft Muhammeds“ (135) nicht als eine Art Motivationstraining verstehen. Und so prasselt auf den Leser das ganze Vokabular der Ratgeberliteratur herab, gewissermaßen nach dem Motto „Durch den Islam zum Erfolg“: Wir sollen „achtsame Menschen“ sein und überall „nach dem Positiven“ suchen (159), denn es geht um „Räume für positive Erfahrungen“ (163). „Daher gehört zum Glauben, sich mit dem Positiven in seinem eigenen Leben und im Universum zu verbinden.“ (220) Es werden „Energien entfaltet“ und „Potentiale in uns“ aktiviert (165). „Und diese Energie steht jedem zur Verfügung, unabhängig davon, ob er an Gott glaubt oder nicht.“ (166) Merke: „Wer über eine starke Willenskraft verfügt und sich auf langfristige Ziele konzentriert, hat bessere Chancen, ein erfolgreiches und zufriedenes Leben zu führen.“ (169) Deshalb müssen wir auch unseren präfrontalen Cortex „trainieren und möglichst auf Hochtouren bringen, denn er ist der Wächter über unsere Handlungen und Entscheidungen“. Da hilft v. a.: „Die Kraft des positiven Denkens“, das uns „von allen negativen Emotionen“ befreit (171).

„Aufgeklärter Islam ohne religiöse Zumutungen“

So verbindet sich ein New Age-Islam, angelehnt an die Esoterik des ausgehenden 20. Jh.s, mit dem für das frühe 21. Jh. so typischen Konzept der „Achtsamkeit“, bei dem ja nicht die Rücksichtnahme auf andere gemeint ist, sondern das „achtsame“ Hineinhorchen in sich selbst. Deshalb kann K. auch mit der Mystik, der Prophetenverehrung (die einige der schönsten arabischen Gedichte hervorgebracht hat) oder dem Gebet wenig anfangen. Bei all diesen Formen der Spiritualität geht es schließlich darum, aus sich herauszuhorchen, auf etwas Anderes hinzuhören, ja, im Falle der Mystik (der islamischen wie der christlichen) gar bis hin zur Auslöschung des Ich. K.s Managerspiritualität besteht dagegen im Hineinhorchen in das vermeintlich wahre Ich, in die Stärkung des Ich und die „Befreiung des autonomen Subjekts“. Die ethische Dimension, die immer wieder erwähnt wird, besteht schließlich auch nicht in solchen Konzepten, wie sie Miskawayh entwickelt hat, sondern schlicht darin, anderen zur Entfaltung ihres Subjekts zu verhelfen: Selbstfindungstraining als Nächstenliebe.

Und das soll alles gewesen sein? Keine Geschichte, keine Mystik, kein Recht, keine Politik, keine Philosophie, keine Theologie, ja eigentlich überhaupt keine Kultur, nur subjektstärkende Selbstverwirklichung? Braucht man dafür überhaupt Religion? K. gibt selbst die Antwort: „Daher halte ich nichts von der verbreiteten Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Theisten, Atheisten und Agnostikern. Das sind irreführende und überholte Kategorien.“ (224) Kein Wunder, dass K. zu der wohl eher seltenen Spezies von Theologen gehört, denen es peinlich ist, dass die von ihnen zu lehrende Religion so viele gläubige Anhänger hat. Das „sorgt für Irritationen und bringt den Islam als Religion in Verruf“ (10). Auffällig ist, dass er auch nie vom liberalen Islam spricht, jener Richtung, der man ihn oft selbst zugerechnet hat. Doch während sich die Vertreter jenes liberalen Islams konstruktiv und kontrovers mit den kanonischen Texten des Islams, seiner Geschichte und seinen Denkern auseinandersetzen, ist davon bei K. kaum mehr etwas übrig. Deshalb spricht er auch nur von einem „aufgeklärten“ Islam, der von religiösen Zumutungen weitgehend gereinigt ist.

Das wird ihm viel Zustimmung verschaffen, von welchen Seiten auch immer. Über den Islam als Religion, seine Geschichte und Gegenwart, seine Theologie und Spiritualität, erfährt man darin nichts. Kaum denkbar auch, dass hiervon Impulse für innerislamische Diskussionen oder interreligiöse Gespräche ausgehen könnten. Anders als politisch kann und wird dieses Buch, das sich gerade gegen den politischen Islam richtet, gar nicht diskutiert werden.

Erstveröffentlichung in der Theologischen Revue. 116. Jahrgang, September 2020. Prof. Dr. Thomas Bauer. Zwischentitel durch Redaktion hinzugefügt. Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Leserkommentare

Tarik sagt:
@ johannes Disch Lesen Sie mal Ulrich Rudolphs - international renommierter Experte für islamische Philosophie- brillante Replik (ergooglebar) auf Bassam Tibis Replik. Tibi hat abgewirtschaftet, die Forschung hat seine und ähnliche Thesen ad acta gelegt. Dass Tibis Thesen beliebt sind, ist in den akademischen Wissenschaften irrelevant.
21.09.20
12:36
Tarik sagt:
@ johannes Disch Lesen Sie mal Ulrich Rudolphs - international renommierter Experte für islamische Philosophie- brillante Replik (ergooglebar) auf Bassam Tibis Replik. Tibi hat abgewirtschaftet, die Forschung hat seine und ähnliche Thesen ad acta gelegt. Dass Tibis Thesen beliebt sind, ist in den akademischen Wissenschaften irrelevant.
21.09.20
12:37
Tarik sagt:
Natürlich sind ist Bauers „Ambiguitätskultur“. für Tibi problematisch, weil dieser - der sich sein Leben lang am (mittlerweile überholten) Narrativ von der „unterdrückerischen Orthodoxie“ abgearbeitet hat. Welcher Akademiker will seine Thesen gerne widerlegt sehen und seine Forschungen als Zeitverschwendung? Lesen Sie Ulrich Rudolphs - renommierter Experte für Islamische Philosophie - treffende Replik auf Bassam Tibis polemischen Angriff auf Bauer, Frank Griffel (deren Thesen heute internationaler Mainstream und Standard sind) und generell gegen die akademische Forschung an sich. Natürlich steht es Ihnen frei, Tibis Thesen (heute eine minderheitenposition, aus gutem Grund) zu folgen. Der Mann kann ja durchaus schreiben. Auch ich mag z.b. Edwatd Gibbons „Untergang des römischen Reiches“. Vieles ist zwar heute widerlegt, aber er war ein brillanter Stilist. „Mit dem Kur‘an in der einen und dem Schwert in der anderen Hand“. Das ist ganz große Literatur.
21.09.20
13:20
Johannes Disch sagt:
@stratmann (20.09.2020, 22:28) Danke für ihre zutreffenden Ausführungen. Zur Wahrheit gehört, dass der Islam sich mit dem Schwert ausgebreitet hat. "Djihad" war in der Realgeschichte des Islam imperialer Eroberungskrieg und keineswegs "individuelle Anstrengung", wie uns "Djihad" heute gerne übersetzt wird. Das alles ist nicht tragisch. Solche Dinge hat die Geschichte des Christentums auch zu bieten. Es ist aber unlauter, es nicht einzuräumen, sondern uns die Geschichte des Islam als idyllische "Ambiguität" zu verkaufen und ausschließlich auf arabische Dichter und Mystiker zu verweisen, wie es hier manche tun, unter anderem auch Thomas Bauer in seinem Wohlfühl-Islam-Buch "Die Kultur der Ambiguität." Politische Implikationen hatte bereits der Religionsstifter Mohammed, wodurch er sich sehr von Jesus Christus unterscheidet. Eine strikte Trennung von Religion und Politik war im Islam also von Anfang an ncht gegeben. Im Christentum jedoch schon. Denn hier liegen die Anfänge der Gewaltenteilung. Im Jesus-Wort "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." Zwar gab es im Islam eine gewisse Arbeitsteilung, wie u.a. Bauer richtig ausführt. Die Kalifen waren für die Politik zuständig und die Ulema-- die islamischen Rechtsgelehrten-- für die Auslegung des Koran. Das ist jedoch mit Säkularisierung im westlichen Sinne zu vergleichen. Die Säkularisierung ist fraglos eine Errungenschaft des Westens! Das ist eine historische Tatsache! Siehe das Standardwerk von Heinrich August Winkler "Geschichte des Westens" Bd.1. Rabulistisch zu versuchen, nachträglich eine Säkularisierung in den Islam hinein zu lesen,-- wie Thomas Bauer das tut,-- ist unlauter.
21.09.20
13:26
Johannes Disch sagt:
In meinem letzten Beitrag habe ich in einem Satz ein entscheidendes Wort vergessen, nämlich "nicht." Die Trennung zwischen der Politik -- die Sache der Kalifen war -- und die Interpretation des Koran; wofür hauptsächlich die Ulema (islamische Rechtsgelehrte)-- ist nicht vergleichbar mit Säkularisierung im westlichen Sinne. Nachträglich eine Säkularisierung in den Islam hinein zu interpretieren; wie Bauer es tut; ist unseriös. Khorchide macht in seinem Buch tatsächlich einige Fehler. Aber andere als sie ihm hier die Khorchide-Basher vorwerfen. Khorchide entwickelt eine Kuschel-Version der islamischen Frühgeschichte. So behauptet er doch allen ernstes, Mohammed wäre ein Prophet ohne politische Machtansprüche gewesen und die Eroberungskriege zur "Öffnung" ("Futuhad") für den Islam sieht er rein defensiv als Verteidigungskriege. Und auch den "Schwertvers" ignoriert er völlig.
21.09.20
13:51
Johannes Disch sagt:
@Islam-Reform Man braucht keine rabulistischen theologisch-philosophischen Verrenkungen, um deutlich zu machen, was es zu einer echten Reform bedurfte. Es gibt gewisse islamische Grundsätze, die heute nicht mehr tragbar sind und die über Bord ghören, wie beispielsweise die Aufteilung der Welt in ein "Dar-Al-Harb" ("Haus des Krieges") und ein "Dar-Al-Islam" ("Haus des Friedens"). Frieden herrscht nach dieser Doktrin erst, wenn sich die ganze Welt zum Islam bekannt hat. Das ist keine Islamophobie. Das ist islamischer Glaube. Diese Doktrin wurde bis heute nicht hinterfragt, geschweig denn revidiert. Dann könnten die Muslim-Ladies vielleicht mal damit aufhören, Kopftücher im Staatsdienst (Schule, Gericht, etc.) einzuklagen und sie bei der Arbeit einfach weglassen. Das wäre ein glaubwürdiger Anfang für einen Reform-Islam.
21.09.20
13:58
Tarik sagt:
Das ist keine "Kerndokrin", wie Sie behaupten. Die Aufteilung der Welt in ein "Haus des Glaubens" und ein "Haus des Unglaubens" erfolgte durch einen mehr oder weniger stillschweigenden Konsens von Islamgelehrten, etwa 200 Jahre nach der Hidschra. Und es ging, wie meist in Rechtsfragen, um praktische Fragen: Was, wenn man als Muslim in einem Land nicht seine Religion ausüben darf? Die Meinung der Ulema: Man sollte halt auswandern. Was Sie ja mit Ihrer Behauptung implizieren ist, dass man als Muslim einem nicht-muslimischen Land da facto nicht loyal gegenüberstehen kann. Was Sie unter Generalverdacht stellt, da der Muslim ja nur auf die Gelegenheit warte, dank Geburtenrate oder Unterwanderung "die Macht zu ergreifen". Im Fiqh galt das Beispiel der ersten muslimischen Migranten im christlichen Abbessinien als Musterbeispiel. Abbessinien war nicht muslimsich, war allerdings auch nicht "Haus des Unglaubens", sondern "Haus des Vertrags". Denn die Muslime durften dort ihre Religion ausüben und andererseits hatten sie das dortigen Recht zu respektieren. Währe nicht die kirchliche Abneigung gegen jene "ismaelitische" Lehre - man bezeichnete die Muslime als SArazenen und auch als Hagarenen (um deutlich zu machen, dass sie von Hagar stammten, der afrikanischen Sklavin, also unrein). Als die Briten Indien eroberten, entschied der Konsens der dort maßgeblichen hanafitischen Rechtsschule, dass dies trotzdem ein Teil des Dar-al-Islam darstellte. Denn die Briten garantierten ja Religionsfreiheit, dasselbe galt auch im russischen Zarenreich. Nachdem der militärische Widerstand der zumeist von Sufis geführten Muslime gebrochen war, verhielt sich die islamische Gelehrsamkeit schlicht pragmatisch. Ab da nahmen dann säkulare Widerstandsbewegungen das Heft in die Hand, denn mit Pragmatischer Vernunft konnte man bei der Masse schwerlich punkten. Heute spielt diese Aufteilung ohnehin keine Rolle mehr in der islamischen Jurisprudenz, das ist überhaupt kein "Teil des islamischen Glaubens", erst recht nicht beim muslimischen Mainstream, sondern schlciht ein Ansatz von Rechtsleuten gewesen. Und mit Fiqh-Fragen hat sich der Otto-Normal-Muslim nicht befasst - wo ohnehin in Europa im Gegensatz zu diktatorischen Regimes im Vorderen Orient die Muslime mehr Religionsfreiheit genießen. Insofern gibt es gar nichts mehr, von dem man sich verabschieden müsste.
21.09.20
18:35
Tarik sagt:
Da braucht man nichts hineinzulesen, die faktische Trennung zwischen Religion und Staat ist eine Tatsache. Natürlich ist sie nicht vergleichbar mit der Säkularisierung in Europa. Dass kann sie auch gar nicht sein, denn es gab ja keine kirchliche Institution, die man verdrängen musste. Und Europa seine eigene Geschichte hatte, seine eigenen Probleme und somit eigene Lösungsansätze. Alles ganz wunderbar, mal abgesehen vom dem...nun ja...ziemlich hohen Blutzoll. Aber es gab überhaupt keinen Anlass, dass die Islamische Welt den gleichen Prozess durchmachen sollte. Wozu? Es gibt ja keinen Papst. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Papst Pius IX. sein berühmt-berüchtigtes "Verzeichnis der Irrtümer", in dem es hieß, dass man für die Meinung exkommuniziert werden konnte, der Papst solle sich mit dem Liberalismus und dem neuen Menschenbild versöhnen. So etwas wäre in der Islamischen Welt undenkbar gewesen. Dass säkulare Hardliner und Autokraten meinten, man müsse etwas, was ja in Europa einen lange Prozess durchging - schlicht von oben zwanghaft durchsetzen, konnte nur zu weit größeren Problemen führen. Die negative und destabilisierende Rolle Europas und der USA ist es, dass man solche säkularen Diktatoren lieber in Kauf nimmt, als das, was man pauschal als "politischer Islam" verteufelt. Und so erfreuen wir uns heute alle an General Sisi. Und übersehen die Verbindung zwischen Stopp sämtlicher Entwicklungshilfe (denn Mubarak hatte das Land kaputtgewirtschaftet) während Mursis Amtszeit, um dann den Geldhahn bei Sisi wieder aufzudrehen. Mit dieser Politik sorgt man allefalls für Radikalisierungen, aber sofern man bei weiteren Unruhen einen Neuen IWF-Kredit geben kann, sind ja alle zufrieden. Die Schuldner und die jeweiligen Eliten. Und eine neue Runde von "der Islam soll", "der Islam muss" etc.pp. Von diesem "Diskurs" gilt es sich zu verabschieden.
21.09.20
18:48
Johannes Disch sagt:
@Tarik (21.09.2020, 13:20) Sie meinen wohl den Artikel in der NZZ von Ulrich Rudolph und Anke von Kügelgen von 2018. Den kannte ich bereits, habe ihn aber soeben noch einmal gelesen. Zu ihrer steilen These, Tibi hätte in der akademischen Welt abgewirtschaftet: Tibi befasst sich mit Dingen, die wesentlich wichtiger sind als das Orchideenfach von Thomas Bauer (Arabistik/Orientalistik). Tibi ist emeritierter Professor für Internationale Beziehungen. Er betrachtet den Islam aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive. Und da kommt er den Problemen viel näher als ein Thomas Bauer, der sich mit arabischer Dichtkunst und dem Sufismus beschäftigt. Es ist eben ein Kuschel-Islam, den uns Bauer & Konsorten präsentieren, irrelevant für die Probleme von heute. Tibi hingegen arbeitet die aktuellen Probleme heraus: Entstehung des Politischen Islam (Islamismus/Neo-Djihadismus) und bringt Vorschläge zur Lösung der Problematik (Stichworte: "Euro-Islam", "Leitkultur") Tibi ist Mitverfasser des wegweisenden fünfbändigen Handbuchs über den Fundamentalismus in den Weltreligionen ("Fundamentalism Project") der Universität von Chicago. Das Kapitel über den Fundamentalismus im Islam stammt von Tibi. Das ist bis heute ein Grundlagenwerk zum Thema, ohne dessen Kenntnis man nicht darüber diskutieren kann. Tibi publiziert nach wie vor. "Islamism and Islam" ist seine jüngste Veröffentlichung. Und seine wichtigsten Bücher über die Thematik Islam/Islamismus/Integration gibt es inzwischen in aktualisierter Neuauflage (u.a. "Europa ohne Identität", "Islamische Zuwanderung"). Und auch andere klassische Bücher von Tibi zum Thema werden als Neuauflage vorbereitet (u.a. "Krieg der Zivilisationen", "Die fundamentalistische Herausforderung. Der Islam und die Weltpolitik"). Da sollte Thomas Bauer vielleicht einmal reinsehen. Es geht nämlich genau darum: Um den Islam als politischen Faktor! Und nicht um arabische Dichtkunst a la Thomas Bauer. Das ist viel erhellender und viel wichtiger als eine angebliche "Ambiguität", die laut Bauer in selig-nostalgischen Zeiten im Islam mal geherrscht haben soll. Tibi kritisiert vehement die Blauäugigkeit der deutschen Politik gegenüber den islamischen Verbänden in Artikeln, die in aller Regel in der Schweiz erscheinen (Basler Zeitung oder NZZ). Tibis Artikel wie "Selig sind die Belogenen" über den "christlich-islamischen Dialog" oder "Der deutsche Staat kapituliert vor dem organisierten Islam" sind wesentlich wichtiger und erhellender als der verklärte Orchideen-Islam eines Thomas Bauer oder eines Frank Griffel.
21.09.20
19:01
Johannes Disch sagt:
@Vera von Praunheim Wie Sie richtig sagen, ist Khorchide ja nicht irgend ein dahergelaufener Publizist, der mal kurz mit einigen steilen Thesen in die Schlagzeilen will, sondern Professor für islamische Religionspädagogik an der Uni Münster. Und den Titel hat er bestimmt nicht bei Konsul Weyer gekauft. Es gibt übrigens auch positive Besprechungen von Khorchides neuem Buch, beispielsweise im NDR und im Deutschlandfunk (siehe Google). Nur um dem hier erweckten Eindruck entgegenzuwirken, das Buch würde ausschließlich auf negative Resonanz stoßen. Khorchide steht seit 2012 unter Polizeischutz. Und weshalb? Wegen einer Publikation : "Islam ist Barmherzigkeit"). Das ist der politische Islam, der gefährlich ist! Nachzulesen ist das ganze im Netz im Archiv des Deutschlandfunk: "Münsteraner Islamtheologe in der Kritik." Wie gesagt, das ist der politische Islam, der gefährlich ist. Und was Thomas Bauer hier als "Differenzierung" verkauft ("Den politischen Islam gibt es nicht") ist in Wahrheit Verwässerung. Es ist hier bei "islamiq" inzwischen leider en vogue geworden, gewissen Leuten die Qualität anzusprechen, obwohl sie ebenso gute akademische Meriten haben wie beispielsweise ein Thomas Bauer. "Tarik" wendet dieses Muster regelmäßig an. Da werden Leute wie Bassam Tibi; emeritierter Professor für Internationale Beziehungen; Khorchide oder Dr. Abdel-Hakim Ourghi; Leiter des Fachbereichs "Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, einfach als "leichtgewichtig" abqualifiziert. Wenn einem die Botschaft nicht passt, dann disqualifiziert man einfach den Überbringer der Botschaft.
22.09.20
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