REZENSION

„Anders als politisch kann dieses Buch gar nicht diskutiert werden“

Mouhanad Khorchide stellt in seinem neuen Buch „Gottes falsche Anwälte“ einen nach seinem Verständnis „aufgeklärten Islam“ vor. Thomas Bauer, Professor für Islamwissenschaft und Arabistik, übt scharfe Kritik.

20
09
2020
Buch Rezension Bauer
Islamwissenschaftler Thomas Bauer © facebook/Thomas Bauer

Wer reformieren will, muss auch manches einreißen, wer aber einreißt, muss auch wieder aufbauen. Etwas dieser Art hätte man, ausgehend von seinen bisherigen Schriften, auch von Mouhanad Khorchides neuem Buch erwartet. Doch schon der ungewöhnlich aggressive Titel lässt wenig Aufbau erhoffen, und tatsächlich wütet auf diesen 236 Textseiten die Abrissbirne sehr gründlich, ohne dass aus den Ruinen Neues erstünde.

Der erste Teil ist zunächst nicht etwa eine Kritik an der einen oder anderen Fehlentwicklung in der islamischen Geschichte, sondern deren Totalvernichtung. Schon bald nach dem Tod des Propheten fiel nämlich, meint K., der Islam zur Gänze machtversessenen Schurken in die Hände, die Muhammads Botschaft der „Befreiung der Menschen zu selbstbewussten Subjekten“ in ein Instrument verwandelten, die Menschen zu gehorsamen Objekten zu machen. Vom Ende des 7. Jh.s an soll der Islam dann fast 1400 Jahre ein Unterdrückungsinstrument geblieben sein, sonst nichts. Ein erster großer Fehler sei schon die frühe Expansion gewesen, weil sie den Islam mit dem persischen und dem oströmischen Reich in verderbenbringenden Kontakt brachte. Solches zu behaupten, ignoriert nicht nur die Tatsache, dass diese beiden Reiche und ihre Religionen längst vor dem Islam auf der arabischen Halbinsel höchst präsent waren, sondern auch, dass der Islam eine kurzlebige Sekte geblieben wäre, wäre er nur defensiv geblieben und nur auf die „Befreiung des Subjekts“ bedacht gewesen (was er ebensowenig war wie alle anderen vormodernen Religionen und Philosophien auch). Hätten die Muslime nicht ihre Rolle zwischen den Großmächten ihrer Zeit gesucht und gefunden, gäbe es den Islam schlichtweg nicht mehr.

Eine zuvor veröffentlichte Rezension von Ali Mete finden Sie hier: Die Sache mit dem Islam

Willkürliche Fakten und eigenwillige Interpretation

Um die Geschichte der folgenden 1300 Jahre möglichst düster erscheinen zu lassen, werden nicht nur Fakten willkürlich herausgegriffen, sondern, weitestgehend ohne Rückgriff auf historische und islamwissenschaftliche Fachliteratur, auch höchst eigenwillig interpretiert. Dazu nur wenige Beispiele: Die Thronnamen der Abbasidenkalifen (zwischen die auch schon einmal ein Fatimide hineinrutscht), also Namen wie z. B. al-Mutawakkil ʿalā llāh „Der auf Gott vertraut“, sollen, anders als vom Vf. behauptet, keineswegs suggerieren, dass des Kalifen Wort unfehlbar und dem Wort Gottes gleichzusetzen ist, sondern Devotion bezeugen und versichern, dass der Kalif sein Amt nicht im Eigeninteresse führen, sondern Gottes Gesetz folgen will. Tatsächlich waren viele Abbasiden kultivierte, gottesfürchtige, oft sogar asketische Männer, die ihr Bestes gaben, aber nicht einmal Gesetze erlassen konnten, geschweige denn die Möglichkeit hatten, den „bedingungslosen Gehorsam“ all ihrer Untertanen zu erzwingen, selbst wenn sie gewollt hätten. Übrigens blieb das Kalifat auch unter den Abbasiden ein (wenn auch dynastisch gebundenes) Wahlamt, und kaum einem Kalifen ist es gelungen, seinen Wunschnachfolger zu installieren. Auch haben die Abbasiden nie ihre ursprüngliche Farbe Schwarz durch das Grün der Sassaniden ersetzt (so S. 55), sondern bis an ihr Ende 1517 das abbasidische Schwarz beibehalten. Das auf die Abbasiden folgende halbe Jt. findet dann bei K. erst einmal gar nicht statt, obwohl gerade für das Verhältnis zwischen Politik und Religion in den islamischen Großreichen, die sich nach 1500 etabliert hatten, eine umfangreiche Sekundärliteratur vorliegt.

„Aberwitziger Umgang mit Geschichte“

K.s Abrechnung mit der Geschichte ist total. Während selbst die radikalsten Reformatoren noch den einen oder anderen Kirchenvater gelten ließen und muslimische Reformer in der rationalistischen Theologie der Muʿtaziliten oder in philosophieaffinen Denkern Vorbilder sahen, von denen man später leider abgekommen sei, bleibt bei K. niemand bestehen. So ist ausgerechnet al- Ǧāḥiẓ, der große und bezaubernde Denker und Literat des 9. Jh.s, sonst everybody’s darling, der erste, der K.s Geschichtsbashing zum Opfer fällt. Auch der 1030 verstorbene, allgemein hochgeschätzte Ethiker Miskawayh (der so ein einflussreicher Klassiker auch nicht gewesen sein kann, wie K. behauptet: Brockelmanns Standardwerk listet gerade einmal sechs Handschriften auf) fällt aus einem einzigen Grund der Verachtung anheim: Beide waren Perser, und Persien scheint nichts anderes gewesen zu sein als das Ursprungsland von Despotismus und Sklavenmoral. Wie in salafistischen Diskursen auch, spielen die kulturellen Leistungen islamischer Gesellschaften, die – man denke nur an das Mogulreich Indiens – der persischen Tradition so viel verdanken, keine Rolle. Ob wohl auch Dichter wie Rūmī und Ḥāfeẓ nichts als manipulierte Objekte eines politischen Islams waren?

Sonst sind es eigentlich weniger die Perser, die für alles Schlechte verantwortlich gemacht werden, sondern die Türken, die aber hier bis S. 123 warten müssen, bis sie an die Reihe kommen. Die vielen „Gräueltaten“, die die Osmanen den Arabern angeblich antaten, heißt es da, hätten nämlich zur Herausbildung des arabischen Nationalismus geführt. Als Quelle wird ein gewisser Muḥammad al- Ḥanafī angeführt, den allerdings niemand unter diesem Namen kennt. Es handelt sich aber um keinen anderen als um Ibn Iyās, der die osmanische Eroberung Syriens und Ägyptens des Jahres 1517 in seinem bekannten Geschichtswerk beschreibt und um 1524 gestorben ist. Die dort geschilderten Taten sollen dann ganze 350 Jahre später zum arabischen Nationalismus geführt haben? Ein solch aberwitziger Umgang mit Geschichte ist allerdings symptomatisch für das ganze Buch.

„Nicht der Salafist ist gefährlich, sondern der muslimische Kinderarzt“

In seiner Darstellung der Geschichte verschont der Vf. niemanden. Kein einziger Herrscher, Theologe oder Literat erscheint in positivem Licht: Überall nur Schufte und Schurken, niemand, auf den man sich heute berufen könnte. Doch in der Gegenwart scheint es nicht viel besser auszusehen, sind doch die allermeisten Muslime durch 1400 Jahre Gängelung manipuliert und in einem, wie Adorno sagen würde, Verblendungszusammenhang gefangen. Deshalb ist der Islam, „wie er sich heute den meisten Muslimen wie Nichtmuslimen präsentiert […], eine manipulierte Version dieser Religion“ (7). Dieses Beharren auf einer einzigen Wahrheit – der eigenen – und die Verneinung der Geschichte sind Merkmale des Fundamentalismus, in denen sich K. mit Wahhabiten und Salafisten einig ist. Deshalb gelten ihm auch nicht diese als die gefährlichsten Muslime, sondern die Vertreter des „politischen Islams“: „Allerdings sind wir jetzt mit einer viel gefährlicheren Ideologie konfrontiert: der des politischen Islams. Sie ist deshalb gefährlicher, weil sie versucht, die Gesellschaft subtil zu unterwandern. Bekennt sich der Salafist zu seiner salafistischen Ideologie […], zeigt sich der Anhänger des politischen Islams als gut integriert, ist meist gut ausgebildet, modebewusst, trägt, wenn er ein Mann ist, nicht selten Anzug, spricht von Integration […]. Er distanziert sich von Salafismus und Extremismus, beteiligt sich sogar aktiv an Aktionen und Projekten gegen den Extremismus und zeigt nicht selten Zivilcourage.“ (99) Mit anderen Worten: Nicht der Salafist mit dem Zauselbart ist gefährlich, sondern der muslimische Kinderarzt im Anzug, der für den Integrationsrat kandidiert. Was soll mit einem solchen Pauschalverdacht bezweckt werden, der leicht in Verschwörungstheorien münden kann? Und tut er dies nicht schon hier, wenn auch bei K. unmittelbar darauf die Warnung folgt, dass der politische Islam ja die Weltherrschaft anstrebe (101)?

Solche wissenschaftlicher Argumentation letztlich nicht mehr zugänglichen Behauptungen lassen keinen Raum mehr für Differenzierungen. Doch trifft es schlechterdings nicht zu, dass es „im Islam“ per se keine „Trennung von Politik und Islam“ gegeben habe – das Verhältnis war, wie der Münster’sche Exzellenzcluster „Religion und Politik“ seit vielen Jahren aufzuzeigen versucht, ein sehr komplexes. Studien professioneller Historiker und Islamwissenschaftler, die K. fast gänzlich entbehrlich zu sein scheinen, hätten ihn eines Besseren belehren können. Ebensowenig ist es richtig, dass es einen politischen Islam als einheitliches Phänomen gibt. Im Islam kann, wie in jeder anderen Religion auch, politisches Engagement sehr unterschiedliche Formen annehmen. Der politische Katholizismus etwa hat vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zur frühen Bundesrepublik Großes für die Demokratie Deutschlands und die Herausbildung des Sozialstaats geleistet. Vom Austrofaschismus rechts bis zur Befreiungstheologie links kann „politischer Katholizismus“ allerdings vieles sein, manches gut, manches schlecht, und das wird sich mit dem Islam kaum anders verhalten. Aber für solche Ambiguitäten hat K. nichts übrig.

Alternativkonzept zum „politischen Islam“?

Wie sieht nun sein Alternativkonzept aus? Es soll dies kein „politischer“, sondern ein „ethischer und spiritueller“ Islam sein. Im Buch war von einem solchen bisher noch nicht viel die Rede. Die wichtigste spirituelle Ausprägung des Islams wurde in einem Nebensatz abgetan: „Außerhalb der islamischen Mystik gelang es den Muslimen kaum, eine Theologie zu entfalten, die die Gott- Menschen-Beziehung als Freiheits- und Liebesbeziehung verstand.“ (76) Doch warum von der Mystik absehen? Sie ist keineswegs, wie gelegentlich angenommen, eine Richtung des Islams, sondern in allen Richtungen ein untrennbarer Bestandteil, ebenso wie Dogmatik und Recht, und zwar, wo nicht salafistischer Wahn wütet, bis heute. Tatsächlich hat die Mystik den Islam stärker geprägt als etwa das nachreformatorische Christentum. Viele Christen haben ihrerseits islamische Spiritualität in Gestalt des Sufismus intensiv rezipiert, und gerade die katholische Rezeption islamischer Mystik von Louis Massignon bis Richard Gramlich liefert wichtige Bausteine interreligiöser Theologie und Spiritualität. K. kann damit aber nichts anfangen. Für ihn besteht das, was er „Spiritualität“ nennt, schlicht darin, das „autonome Selbst“ zu entfalten. Es ist zwar hochgradig unplausibel, dass Muhammad (der „die Stoßrichtung vorgegeben hat“ [228]) das lehren wollte, und 1400 Jahre lang hat das auch niemand behauptet. K. aber deutet nun die erste Sure des Korans, eigentlich eine Art islamisches Gloria, zu einem Siebenpunkte-Programm der Selbstfindung um (154–173): „Der Koran beschreibt sieben Dimensionen der Selbstfindung als Angebot an jeden, der sich befreien und sich endlich als selbstbestimmtes Subjekt wahrnehmen will.“ (154) Das geht natürlich nicht ohne heftige Falschübersetzungen (befremdlicherweise findet sich auf S. 189 die richtige Übersetzung), aber anders lässt sich die „Kernbotschaft Muhammeds“ (135) nicht als eine Art Motivationstraining verstehen. Und so prasselt auf den Leser das ganze Vokabular der Ratgeberliteratur herab, gewissermaßen nach dem Motto „Durch den Islam zum Erfolg“: Wir sollen „achtsame Menschen“ sein und überall „nach dem Positiven“ suchen (159), denn es geht um „Räume für positive Erfahrungen“ (163). „Daher gehört zum Glauben, sich mit dem Positiven in seinem eigenen Leben und im Universum zu verbinden.“ (220) Es werden „Energien entfaltet“ und „Potentiale in uns“ aktiviert (165). „Und diese Energie steht jedem zur Verfügung, unabhängig davon, ob er an Gott glaubt oder nicht.“ (166) Merke: „Wer über eine starke Willenskraft verfügt und sich auf langfristige Ziele konzentriert, hat bessere Chancen, ein erfolgreiches und zufriedenes Leben zu führen.“ (169) Deshalb müssen wir auch unseren präfrontalen Cortex „trainieren und möglichst auf Hochtouren bringen, denn er ist der Wächter über unsere Handlungen und Entscheidungen“. Da hilft v. a.: „Die Kraft des positiven Denkens“, das uns „von allen negativen Emotionen“ befreit (171).

„Aufgeklärter Islam ohne religiöse Zumutungen“

So verbindet sich ein New Age-Islam, angelehnt an die Esoterik des ausgehenden 20. Jh.s, mit dem für das frühe 21. Jh. so typischen Konzept der „Achtsamkeit“, bei dem ja nicht die Rücksichtnahme auf andere gemeint ist, sondern das „achtsame“ Hineinhorchen in sich selbst. Deshalb kann K. auch mit der Mystik, der Prophetenverehrung (die einige der schönsten arabischen Gedichte hervorgebracht hat) oder dem Gebet wenig anfangen. Bei all diesen Formen der Spiritualität geht es schließlich darum, aus sich herauszuhorchen, auf etwas Anderes hinzuhören, ja, im Falle der Mystik (der islamischen wie der christlichen) gar bis hin zur Auslöschung des Ich. K.s Managerspiritualität besteht dagegen im Hineinhorchen in das vermeintlich wahre Ich, in die Stärkung des Ich und die „Befreiung des autonomen Subjekts“. Die ethische Dimension, die immer wieder erwähnt wird, besteht schließlich auch nicht in solchen Konzepten, wie sie Miskawayh entwickelt hat, sondern schlicht darin, anderen zur Entfaltung ihres Subjekts zu verhelfen: Selbstfindungstraining als Nächstenliebe.

Und das soll alles gewesen sein? Keine Geschichte, keine Mystik, kein Recht, keine Politik, keine Philosophie, keine Theologie, ja eigentlich überhaupt keine Kultur, nur subjektstärkende Selbstverwirklichung? Braucht man dafür überhaupt Religion? K. gibt selbst die Antwort: „Daher halte ich nichts von der verbreiteten Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Theisten, Atheisten und Agnostikern. Das sind irreführende und überholte Kategorien.“ (224) Kein Wunder, dass K. zu der wohl eher seltenen Spezies von Theologen gehört, denen es peinlich ist, dass die von ihnen zu lehrende Religion so viele gläubige Anhänger hat. Das „sorgt für Irritationen und bringt den Islam als Religion in Verruf“ (10). Auffällig ist, dass er auch nie vom liberalen Islam spricht, jener Richtung, der man ihn oft selbst zugerechnet hat. Doch während sich die Vertreter jenes liberalen Islams konstruktiv und kontrovers mit den kanonischen Texten des Islams, seiner Geschichte und seinen Denkern auseinandersetzen, ist davon bei K. kaum mehr etwas übrig. Deshalb spricht er auch nur von einem „aufgeklärten“ Islam, der von religiösen Zumutungen weitgehend gereinigt ist.

Das wird ihm viel Zustimmung verschaffen, von welchen Seiten auch immer. Über den Islam als Religion, seine Geschichte und Gegenwart, seine Theologie und Spiritualität, erfährt man darin nichts. Kaum denkbar auch, dass hiervon Impulse für innerislamische Diskussionen oder interreligiöse Gespräche ausgehen könnten. Anders als politisch kann und wird dieses Buch, das sich gerade gegen den politischen Islam richtet, gar nicht diskutiert werden.

Erstveröffentlichung in der Theologischen Revue. 116. Jahrgang, September 2020. Prof. Dr. Thomas Bauer. Zwischentitel durch Redaktion hinzugefügt. Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Tarik (24.09.2020, 10:17) -- "Thomas Bauers Arbeiten haben Sie offenkundig überfordert." (Tarik) Das kann ich mir nicht leisten. Ich unterrichte den Kram.
25.09.20
19:34
stratmann sagt:
@Tarik vom 24.9. 20 um 9:51 Bei Ihrer punktuellen Reaktion auf meinen grundsätzlichen Kommentar vom 20.9.20 um 22:28 verharmlosen Sie sogar heutzutage rückblickend expansive Religionsausbreitung mit Waffengewalt. So fördern SIE leider Islamophobie.
25.09.20
23:26
Johannes Disch sagt:
@stratmann (25.09.2020, 23:26) Das ist ja auch die Intention seiner Ausführungen. Da wird blumig und rhetorisch durchaus versiert ein Bilderbuch-Islam entworfen, der mit der Realität wenig zu tun hat. Da wird eine "koranische Psychologie" entworfen, die den Eindruck vermittelt, diese Religion wäre schon immer hauptsächlich ein Hort der Innerlichkeit gewesen, ausschließlich der Selbsterkenntnis verpflichtet. Die historische Wirklichkeit und vor allem die aktuelle Realität der des Islam ist eine andere. Gleichzeitig wir der Westen in düstersten Farben gemalt und seine Geschichte sehr einseitig dargestellt. Da erscheint der Liberalismus als intolerant und der Nationalismus wird als "Frankreichs Frankenstein" gebrandmarkt und die Aufklärung wird umgedeutet zur "Erleuchtung." Rhetorisch durchaus geschickt soll durch die Hintertür die Religion wieder eingeführt werden. Wahre Erkenntnis ist nur durch die Religion möglich, natürlich durch die islamische Religion und ihre angeblich so virtuose "koranische Psycholgie" und islamische Mystik (Sufismus).
27.09.20
10:44
Johannes Disch sagt:
@Zu Thomas Bauer Natürlich war mein Beitrag über Bauer (22.09.2020, 13:24) äußerst polemisch und wird seinen Arbeiten nicht gerecht. "Die Kultur der Ambiguität" und "Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust von Mehrdeutigkeit und Vielfalt" sind durchaus anregend und fördern neue Erkenntnisse. Keep it simple. Halten wir es einfach, sodass auch Normalsterbliche, die hier lesen und deren Steckenpferd nicht die islamische Mystik ist, etwas von den Ausführungen haben. Die Frage ist nur: Sind sie hilfreich bei der Analyse und vor der Lösung aktueller Probleme? Ich meine: Nein. Oder jedenfalls nur sehr bedingt. Bisher war man der Meinung, die Blütezeit der rationalen islamischen Philosophie wäre mit dem 12. Jahrhundert zu Ende gewesen. Bauer und Frank Griffel ("Den Islam denken") zeigen, das war nicht der Fall. Wir kennen inzwischen Bücher, die lange nicht übersetzt waren und von de en der Westen keine Kenntnis hatte. Das Ganze erweitert und verändert nun zwar unser Wissen über eine bestimmte Epoche des Islam. Aber löst es irgend ein aktuelles Problem? Ich meine: Nein. Versteht man Bauer und Griffel so, dass der Zusammenprall mit dem Westen deskriptiv gemeint ist-- eben nur als Beschreibung einer Tatsache und nicht moralisch als Schuldzuweisung-- dann geht das völlig in Ordnung. Wie gesagt, die Arbeiten von Bauer und Griffel erweitern unsere Kenntnisse einer gewissen Periode der islamischen Geschichte. Aber für die aktuellen Probleme sind sie irrelevant. Da sind Bassam Tibi und Ruud Koopmans näher dran. Sie erläutern das Entstehen und die Ideologie des Islamismus(Tibi) und bringen Lösungsvorschläge ("Euro-Islam"). Und Koopmans hervorragende empirische Studie "Das verfallene Haus des Islam" zeigt, wo der Schuh drückt. Es zeigt die eklatanten Probleme, die muslimische Zuwanderer bei der Integration haben. Dass Koopmans Ergebnisse nicht allen gefallen-- vor allem nicht islamophilen Deutschen und natürlich vor allem nicht Muslimen und ihren Vertretern (Islamverbände)-- das muss nicht verwundern. Es ändert aber nichts an der Evidenz von Koopmans Studien. Bevor jetzt wieder der Einwand kommt, Koopmans hätte empirisch nicht sauber gearbeitet: Er hat methodisch korrekt gearbeitet. Jegliche Kritik an seiner Studie hat er souverän entkräftet. Ganz nebenbei, obwohl es vielleicht nicht hierher gehört, erlaube man mir kurz ein Wort in eigener Sache: Dass Koopmans methodisch korrekt arbeitet, kann ich ganz gut beurteilen. Ich habe dieselbe Profession wie Koopmans. Ich habe eine solide sozialwissenschaftliche Ausbildung, auch und gerade in empirischer Sozialforschung. Zudem bin ich seit nun gut anderthalb Jahrzehnten an der "Integrationsfront" tätig. Ich arbeite hauptsächlich mit muslimischen Migranten und seit 2015 überwiegend mit Flüchtlingen. Ich sehe also, was gut läuft. Das ist durchaus einiges. Ich sehe aber auch, was schlecht läuft. Und das ist leider (noch immer) eine ganze Menge. Ich beschäftige mich also nicht nur theoretisch mit der Materie, sondern auch praktisch. Und da trifft man eben nicht auf Bauers blumige "Ambiguitätstoleranz", sondern eher auf den "Moschee-Report" von Constantin Schreiber. Die Jungs und Mädels in den Koranschulen lesen nicht Bauers erbauliche arabische Lyrik und rationale Philosophen, sondern islamistische Hardliner wie Sayyid Qutb und Pierre Vogel.
27.09.20
11:14
Johannes Disch sagt:
@Betrifft: Bassam Tibi Entgegen der Behauptung eines Diskussionsteilnehmers hier, Bassam Tibi wäre heute im akademischen Diskurs nicht mehr relevant: -- "Das britische Magazin "The Spectator" widmet Bassam Tibi einen würdigen Artikel für seinen 40jährigen Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus." Der Artikel vom 12. September 2020 ist von Ed Husain, einem Ex-Islamisten, der heute in der britischen Politik publizistisch für einen liberalen Reform-Islam wirbt. Ed Husains Artikel ist eine Anerkennung der Arbeiten Tibis über den totalitären politischen Islam und Tibis Ansatz, die rationale philosophische Tradition des mittelalterlichen Hoch-Islam gegen den fundamentalistischen Islam neu zu beleben. Ed Husain empfiehlt, Tibis Bücher zu lesen unjd bescheinigt ihnen ungebrochene Aktualität (Tibis wichtigste Bücher erscheinen seit 2018 in aktualisierter Neuauflage, Das neueste ist sein Buch über den Euro-Islam). Der Artikel ist hier zu finden: - Ed Husain - Bassam Tibis 40-year fight againstIslamiq fundamentalism Im Unterschied zu Thomas Bauer,-- der uns vorwiegend mit freizügiger arabischer Lyrik erfreut, woraus er eine "Ambiguitätstoleranz" im Islam--, ableitet sind Tibis Analysen soziologisch- politisch und treffen den Kern der aktuellen Problematik.
08.10.20
9:02
Walter Bornholdt sagt:
Selbst 'gebildete Islamwissenschaftler' sind nicht vor Dummheit geschützt. Khorchide hat - tatsächlich unerwartet - in seinem kritisierten Buch kein Blatt mehr vor den Mund genommen. Recht hat er und es ist verdammt mutig, denn wie auch immer geartete Reformer hatten in der islamischen Welt kein gutes und zumeist auch ein kurzes Leben. Ich habe mich seit den 60er Jahren mit der orientalischen Geschichte befasst und erst ab 1995 musste ich erkennen, dass mir was Entscheidendes fehlte: Ein gesichertes Wissen über den Islam! Nach 10 Jahren war diese "Weiterbildung" abgeschlossen - inklusive der Hadjj - und endete mit der Erkenntnis, dass Religion generell etwas sehr grenzwertiges ist und der Islam ist zur Stunde der gefährlichste Obskurantismus auf der Welt und das liegt auch an 'Kalifen' - verlogenen und Alleswissenden Predigern in den Gemeinden rund um die Welt. Das Khorchide das thematisiert hat bleibt sein Verdienst. Eine Lösung kann er auch nicht finden, denn der Islam beansprucht für sich die Absolutheit der unveränderbaren 'heiligen' Texte - wo will man da was ändern? Da bleibt nur: Ceterum censeo islamica esse delendam!
18.10.20
17:46
Samir sagt:
Ja, Mouhanad Khorchide hat keine perfekte Lösung, aber Thomas Bauer scheint ihn nicht annähernd verstanden zu haben. Viel zu sehr will Thomas Bauer selbst an den guten Islam glauben und benötigt anscheinend sogar die Auslöschung des "Ich´s", um in einer friedvollen Welt zu leben. Wer nicht blind ist, was gerade geschieht, der wird ohne Probleme die Botschaft von Khorchide verstehen, der zurecht sagt, dass wir unmündig sind und unmündig gehalten werden. Thomas Bauer geht es nicht um die Wahrheit oder Realität, sondern nur um seine romantische Vorstellung von Gelehrten früherer Zeiten. Ich schätze, er sitzt viel zu sehr in seinem Elfenbeinturm und in seiner romantischen Scheinwelt, als dass er verstehen könnte, was es für ein Kind bedeutet, Kopftuch zu tragen. Wenn er fair gewesen wäre, hätte er verstanden, dass es Mouhanad Khorchide um die Selbstbestimmung geht, statt dessen greift er ihn an und unterstützt die Fremdbestimmung. Wäre dem nicht so, so hätte er differenziert kritisiert und auch die guten Gedanken und Absichten von Mouhanad Khorchide zur Sprache gebracht, statt dessen macht er das, was er Khorchide vorwirft, er verurteilt ihn zu Grund und Boden, missbraucht, die Versuche von Khorchide Menschen zur Selbstbestimmung zu verhelfen, indem er sie als Scham und Esoterikgehabe missinterpretiert. Sollte Mouhanad Khorchide laut Thomas Bauer tatsächlich viel zu islamfeindlich denken, so kann man leicht erkennen, dass Thomas Bauer eben selber jegliche Kritik abweist und einseitig islamfreundlich denkt, was ihn nicht gerechter macht. Khorchide kritisiert nicht den Islam, sondern das Verhalten der Muslime. Immerhin will er eine Freiheit für Muslime ohne Gehorsam, was ist falsch an so einem Gottesbild? Was will Thomas Bauer? Ein Gott der Regel aufsetzt? Die Mystik, die das "Ich" eliminiert. Was ist das für eine perverse Vorstellung, dass wir ohne "Ich" besser dran wären, als mit Selbstverwirklichung? Wenn angeblich Mouhanad Khorchide für den Islam schämt, so schämt sich Thomas Bauer für den Westen.
28.03.21
13:15
Friede sagt:
Herrscht ein "kalter Krieg" zwischen Bauer und Khorchide. Da ist ja ein Trump-Putin Verhältnis noch freundlicher, friedlicher und niveauvoller. Salam "Friede" Herr Bauer.
05.04.21
22:35
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