In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Yalçın Tekinoğlu.
Yalçın Tekinoğlu (36) ist Rechtsanwalt aus Heidelberg und Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Rechtsberatung, Steuerberatung und Strafverteidigung. Der Wahl-Hamburger übernimmt besonders Diskriminierungsfälle. Tekinoğlu studierte Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Heidelberg und Mannheim. Außerdem absolvierte er eine Offizierausbildung bei der Deutschen Marine.
IslamiQ: Sie sind Rechtsanwalt. Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?
Yalçın Tekinoğlu: Als Jugendlicher bin ich einige Male in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Ich war fremden Personen schutzlos ausgeliefert, weil ich meine Rechte nicht kannte und mich nicht gut verteidigen konnte. Ich wollte nicht, dass mir so etwas noch einmal passiert.
Mit kleinen Worten kann man Großes bewirken. Aus einfachen Sätzen wie „Ich klage an…“, „Ich beantrage…“, „Ich fordere Sie auf…“ können ernsthafte Konsequenzen entstehen. Ich kann Unrecht und Ungerechtigkeit nur schwer ertragen und das sind gute Voraussetzungen für diesen Beruf.
IslamiQ: Ihr eigentlicher Schwerpunkt liegt in den Bereichen Wirtschafts- und Steuerrecht. Doch vertreten Sie vermehrt Opfer von antimuslimischem Rassismus? Wie kam es dazu?
Tekinoğlu: Den ersten Fall, den ich auf diesem Rechtsgebiet übernommen habe, war der Fall Leyla. Sie hatte mir berichtet, dass Sie zuvor über 100 Anwälte kontaktiert hatte, die alle ihren Fall abgelehnt hatten. Wenn Sie in Deutschland einen Fachanwalt für Arbeitsrecht suchen, dann können Sie zwischen über 10.000 Anwälten wählen. Wenn Sie aber einen spezialisierten Anwalt suchen, der gegen Diskriminierung und Benachteiligung vorgeht, dann gibt es bundesweit nur wenige Kollegen, die gut in der Sache sind. Es sind vor allem die schwachen, sozial benachteiligten Menschen in unserer Gesellschaft, die auf anwaltliche Hilfe dringend angewiesen sind. Wenn man als Anwalt diese Fälle gewinnt, kann man große Erfolge erzielen.
IslamiQ: Was raten Sie vor allem jungen Menschen die Diskriminierung erfahren?
Tekinoğlu: Jeder Mensch, egal ob jung, behindert, sexuell anders orientiert, einer religiösen Minderheit angehörig, sozial benachteiligt, ungebildet, der Landessprache nicht mächtig oder schutzbedürftig, sollte sich über seine Rechte informieren. Sie sollten ihre Rechte einfordern und sich nicht unterkriegen lassen. Das Schlimmste an Diskriminierung ist, wenn man nicht dagegen vorgeht! Wir haben in Deutschland gute Gesetze gegen Diskriminierung. Man muss seine Rechte nur effektiv und konsequent durchsetzen.
IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?
Tekinoğlu: Meine Arbeit richtet sich nicht nach der Resonanz der Leute. Ich vertrete immer nur die Interessen eines Einzelnen, egal wieviel Gegenwind man erhält. Trotz einiger erfolgreicher Mandate finde ich es wichtig, nicht aufzuhören seine Arbeit mit Demut und Aufrichtigkeit zu verrichten. Ich gehe heute noch immer selbst ans Telefon, obwohl ich zwei Büros und mehrere Mitarbeiter habe. Jede Person bekommt bei mir spätestens am nächsten Tag einen Termin, nicht nur ein Chefarzt oder ein Top-Politiker.
Ich glaube, das kommt gut an. Ich erhalte zwar Morddrohungen als Resonanz auf meine Arbeit. Das Gefühl aber, wenn Dein Mandant eine Asylklage gewinnt und seine Familie aus dem Bürgerkrieg retten kann oder wenn ein 14 jähriges Kind, das zu Unrecht des Mordes beschuldigt wurde, aus der Untersuchungshaft entlassen wird, und die Reaktion der Mandanten hierauf ist unbeschreiblich. Das ist unglaublich zufriedenstellend und der eigentliche Lohn unserer Arbeit.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Tekinoğlu: Ich bin ein melancholischer Typ. Ich gehe gerne im Regen spazieren und kann stundenlang Zeitung lesen. Ansonsten kann ich ganz gut abschalten und die Welt aus einer anderen Perspektive betrachten; beim Segeln, Fliegen, Tauchen oder Motorrad fahren.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Tekinoğlu: Alle Bücher von Franz Kafka und Goethe. Ich bin beiden sehr verbunden, auch wenn wir uns nie persönlich begegnet sind. Eine Runde mit den beiden bei türkischem Tee stelle ich mir sehr anregend und interessant vor, insbesondere wenn man bedenkt, was Goethe und Kafka über den Islam gesagt haben. Mein Lieblingsfilm ist der Film „300“, wegen meiner thrakischen Herkunft.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Tekinoğlu: Familie ist etwas Magisches. Man findet Geborgenheit, Freude, Vertrautheit, Verbundenheit und gemeinsame Interessen ohne Vorbedingungen. Das ist bei richtig guten Freunden genauso. Ich hoffe, dass diese Menschen, die das jetzt lesen, sich angesprochen fühlen.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Tekinoğlu: Jeder Tag aufs Neue, wenn ich ins Büro komme und die Post durchgehe. Und natürlich jeder Auftritt bei Gericht. Aber ganz besonders ist mir in Erinnerung geblieben, als einmal ein Prozessgegner nach der Verhandlung zu mir kam, und mich fragte, ob ich ihn beim nächsten Mal vertreten könne. Oder als ich einmal einen Obdachlosen vertreten habe, der sich häufig in der Unibibliothek aufgehalten hat, wo ich ihm meine Post mit meinen Praktikanten zugestellt habe.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Tekinoğlu: Verlässlich und grundehrlich.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Tekinoğlu: Wer dumme Fragen stellt, bekommt nur dumme Antworten. Daher ist es wichtig, die richtigen Fragen im Leben zu stellen.
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Tekinoğlu: Ich bin in dieser Hinsicht nie infrage gestellt worden bzw. habe mich nicht infrage stellen lassen. Das nötige Selbstbewusstsein hierzu habe ich mir angeeignet. Außerdem ist meine Religion nicht das einzige Merkmal, das mich als Mensch auszeichnet. Religion ist etwas sehr Persönliches zwischen dem Menschen und Gott. Das muss man nicht ständig in den Vordergrund stellen, um zu beweisen, dass man einen guten Charakter hat. Das merken die Mitmenschen um einen herum von ganz alleine und sind dann vielleicht der Meinung, dass der Islam nicht unbedingt etwas Negatives ist.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Tekinoğlu: Dieselbe Frage hat mir meine Frau auch gestellt, bevor wir geheiratet haben. Damals war ich noch Student und habe geantwortet, dass ich mein Studium abschließen und anschließend auf einem Kamel durch die Sahara-Wüste nach Mekka reiten und den Hadsch vollziehen möchte. Als wir ein Jahr später in den Flitterwochen in Indonesien auf dem Vulkan Bromo gewesen sind, mussten wir unseren Flug umbuchen und hatten gezwungenermaßen einen Zwischenaufenthalt von drei Tagen in Jeddah genau am Tag von Arafat. Ohne ein Visum, ohne viel Geld in der Tasche und ohne eine Reisegruppe haben wir dann wie durch eine glückliche, schicksalhafte Fügung unseren Hadsch durchgeführt.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Tekinoğlu: Für mich selbst: Die Erfindung einer Schlaflos-Tablette, damit ich neben Heidelberg und Hamburg noch ein drittes Büro in Berlin und ein viertes in München und ein fünftes in Köln eröffnen kann. Auf meine Familie bin ich sehr stolz und daher wunschlos glücklich. Bei den muslimischen Mitbürgern würde ich mir wünschen, dass Sie manchmal weniger ideologisch auftreten und nicht über das eigentliche Ziel hinausschießen.