Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Dr. Turunç Tufan-Destanoğlu über die Erwartungen an den islamischen Religionsunterricht.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Dr. Turunç Tufan-Destanoğlu: Schon von klein auf wurde ich zu Hause für soziale, gesellschaftliche und religiöse Belange sensibilisiert. Jahrelang habe ich neben der Schule und dem Studium in einer Moscheegemeinde ehrenamtlich mit muslimischen Kindern, Jugendlichen und Frauen gearbeitet. Die Qualifikationen und Erfahrungen, die ich dabei sammeln konnte, sind in mein Fachstudium eingeflossen. Dieses Wissen hat mir geholfen, an die komplexen Herausforderungen, die in Deutschland mit schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten verbunden sind, methodisch fundiert heranzutreten.
Eine Hochschulkarriere habe ich bereits während meines Zweifach-Masterstudiums Islam- und Erziehungswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum angestrebt. Während meiner Promotion im Fach Islamische Theologie konnte ich Fachkenntnisse und methodische Kompetenzen in Forschung und Lehre gewinnen.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?
Tufan-Destanoğlu: Meine Dissertation trägt den Titel „Muslimische Bildungs- und Erziehungsvorstellungen – Die Erwartungen von muslimischen Eltern und islamischen Religionslehrkräften an den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen“. Sie wurde im April 2019 am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück vom Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften angenommen. Meine Arbeit ist quantitativ ausgerichtet. Vor dem Hintergrund religionspädagogischer und islam-theologischer Theorien untersucht sie Bildungs- und Erziehungsvorstellungen aus einer muslimischen Binnenperspektive heraus.
Der Fokus richtet sich auf die Konzeption, Inhalte und Maßnahmen der schulisch-islamischen Bildung und Erziehung im Kontext des islamischen Religionsunterrichts (IRU). Diese Thematik wird aus gesellschaftspolitischer und wissenschaftstheoretischer Perspektive reflektiert. Ich frage, welche Bedeutung die islamische Bildung und Erziehung in der Schule eines säkularen Staates für muslimische Eltern und islamische Religionslehrkräfte (IRL) hat und wie sie im Rahmen des IRU von ihnen definiert werden.
Dazu habe ich 370 Eltern und 81 Religionslehrkräfte schriftlich befragt. Dadurch konnte ich meine Hypothesen bezüglich der Erwartungen, Ziele und befürworteten Unterrichtsinhalte methodisch umfassend prüfen.
Mein wesentliches Forschungsergebnis ist ein Plädoyer für einen konfessionell-religionspädagogischen IRU. Das bedeutet, dass das Interesse der Zielgruppen an der Vermittlung islamisch-glaubensverkündender und habitualisierter Elemente dem Interesse an der Vermittlung analytisch und kritisch-reflektierter Glaubensinhalte nicht entgegenwirkt oder sie ausschließt. Ein wichtiges Ergebnis besteht auch darin, dass Eltern und Lehrkräfte einen nicht-glaubensverkündenden IRU, d. h. die Islamkunde, deutlich ablehnen.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Tufan-Destanoğlu: Meine Absicht war es, die Sichtweise der muslimischen Bevölkerung in eine empirisch-wissenschaftliche Forschung einzubeziehen. Der deutsche Staat, der sich zur Realisierung des Rechts auf religiöse Bildung unter staatlicher Aufsicht verpflichtet, bekundet beim künftigen Ausbau des IRU Interesse an den Wünschen der in Deutschland beheimateten Muslime.
Im Bereich der islamischen Religionspädagogik fehlt es in Deutschland leider immer noch an seriöser Grundlagenforschung. Vor allem quantitative Studien, die sich dem Gegenstand aus einer islamischen Binnenperspektive nähern, werden dringend benötigt. Dabei kommt es darauf an, die gewonnenen Erkenntnisse zum islamisch-religiösen Bildungs- und Erziehungsbegriff in den Konstituierungsprozess religionspädagogischer und islamisch-theologischer Theoriebildung einzubinden.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie an?
Tufan-Destanoğlu: Erfreulicherweise gab es eine sehr positive Resonanz auf diese Studie. In beiden Bundesländern war die Rücklaufquote mit Werten von 50 % bei den Eltern und 40 % bei den Lehrkräften überraschend hoch. Das verdeutlicht meines Erachtens die Bereitschaft und Motivation der Befragten, an einem Etablierungsprozess des IRU mitzuwirken.
Auch wenn ich keine direkten negativen Erfahrungen gemacht habe, sind die Formalitäten eines empirischen Dissertationsprojektes mit großem Zeitaufwand verbunden. Aufgrund der Richtlinien für Erhebungen an Schulen müssen offizielle Genehmigungen von allen am IRU beteiligten Akteuren wie den IRU-Beiräten, Schulministerien, Schulbehörden, Schulleitungen, Lehrkräften und Eltern eingeholt werden. Da alle Genehmigungen voneinander abhängig waren, konnten die Zuständigen nur schrittweise angefragt werden.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Tufan-Destanoğlu: Mit meiner Arbeit möchte ich neben dem wissenschaftstheoretischen Beitrag auch auf die aktuellen Problemstellungen im Zusammenhang mit der religiösen Anerkennung von Muslimen in Deutschland aufmerksam machen.
Diese Studie bietet in Anbetracht des Forschungsdesigns und -ansatzes eine Richtschnur für künftige quantitative Forschung in der IRP mit Blick auf schulische und außerschulische Bildungsangebote. Mit der Veröffentlichung erhoffe ich mir eine Stärkung der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen islamischen Religionsgemeinschaften, Schulministerien und Instituten für Islamische Theologie und darauf aufbauend eine Realisierung islamisch-theologisch und gesellschaftlich bedeutsamer Projekte für die in Deutschland beheimateten Muslime.
Um eine höhere und langfristige Akzeptanz des IRU unter den Muslimen zu gewährleisten, sollten angesichts ihres Bildungsauftrags und Erziehungsrechts die Vorstellungen der muslimischen Eltern und islamischen Religionslehrkräfte mitberücksichtigt werden.