Racial Profiling, Polizeigewalt und rechts gesinnte Beamte. Die deutsche Polizei steht aktuell in keinem guten Licht. IslamiQ sprach mit der Meldestelle „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ über anhaltenden Rassismus bei der Polizei.
IslamiQ: In den letzten Monaten gerieten bundesweit Polizisten wegen Einsätzen in die Kritik. Im Netz machten Videos aus Krefeld, Düsseldorf und Hamburg die Runde. Die Ereignisse wurden mit dem Fall George Floyd in Amerika verglichen. Wie bewerten Sie diesen Vergleich?
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP): Der Vergleich ist durchaus angebracht. In beiden Fällen geht es um massive Polizeigewalt, die sich gegen rassistisch diskriminierte Menschen richtet. Bei allen historischen und aktuellen Unterschieden zwischen Rassismus in den USA und der Bundesrepublik handelt es sich hier um das gleiche Problem: staatliche Gewalt durch Polizeibeamte gegen Schwarze Menschen und People of Colour.
Hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung bzw. Nicht-Verfolgung der Täter bestehen Unterschiede, die auf den grundsätzlich verschiedenen Strafrechtssystemen beruhen. Jedoch ist es auch hierzulande die absolute Ausnahme, dass Beamte sich für rassistische Polizeigewalt vor Gericht verantworten müssen, wenn nicht vorher schon die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige einstellt. Der Korpsgeist im Polizeidienst, die fehlenden unabhängigen Ermittlungen sowie die gesellschaftlich geduldete Kriminalisierung der Betroffenen erschweren es, die Polizeibeamte für ihre Gewalttaten zur Verantwortung zu ziehen.
IslamiQ: Denken Sie, der Fall Georg Floyd hat auch eine Debatte in Deutschland ausgelöst?
KOP: Debatten zum Thema Polizeigewalt und Racial Profiling haben schon vor George Floyd stattgefunden, standen aber nicht in diesem öffentlichen Fokus, wie sie es jetzt tun. Es gibt viele Gruppen wie KOP-Berlin, Beratungsstellen wie „Reachout Berlin“ und Aktivisten in ganz Deutschland, die sich mit den rassistischen Strukturen in Polizei und Justiz schon seit Jahren befassen und leider immer nur dann Aufmerksamkeit bekommen, wenn es medial und politisch ausgeschlachtet werden kann.
IslamiQ: Racial Profiling ist ein immer häufiger benutzter Begriff in Deutschland. Zurecht?
KOP: Racial Profiling, die rassistischen Kontrollen „nach Hautfarbe“ durch die Polizei, wird von Gruppen, Beratungsstellen und Aktivisten seit Jahren benannt und kritisiert. Viele Betroffene äußern sich jetzt zu den diskriminierenden Kontrollen und wollen sich diese nicht mehr gefallen lassen. Die Bundespolizei führt „verdachts – und anlassunabhängige“ Personenkontrollen durch mit dem Ziel „irreguläre Migration“ aufzufinden.
In einigen Bundesländern wie z. B. in Berlin werden aufgrund von sogenannten „kriminalitätsbelasteten Orten“, die anhand des §21 ASOG durch die Polizei als solche definiert werden, ebenfalls die verdachts- und anlassunabhängigen Personenkontrollen durchgeführt. Diese diskriminierenden Kontrollen werden durch die Beamten und deren Stereotype und Vorurteile durchgeführt, sodass es zwangsläufig zu Racial/Ethnic Profiling führen in den meisten Fällen unschuldige Menschen kriminalisiert werden. Der Begriff „Racial Profiling“ wird zurecht häufiger genutzt und sollte soweit führen, dass diese diskriminierende und menschenrechtsverletzende Praxis der Polizei abgeschafft wird.
IslamiQ: Viele fordern eine Studie zur Polizeigewalt in Deutschland. Das Innenministerium hatte die ursprünglich angedachte Studie auf Empfehlung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz jedoch abgelehnt.
KOP: Leider ist die Absage durch das Innenministerium keine Überraschung. Vielmehr zeigt sie doch einmal mehr, dass der strukturelle und institutionelle Rassismus in Deutschland geleugnet wird. Es geht nicht darum, einzelne Beamte per se zu diskreditieren, sondern darum, den Menschen, die tagtäglich durch die Polizei rassistisch diskriminiert werden und somit Gewalt erleben, Gehör zu verschaffen und dies anzuerkennen.
Deutschland hat sich den Menschenrechten verpflichtet und sollte diese auch für alle Menschen in Deutschland umsetzen. Prinzipiell ist aber auch zu bezweifeln, ob eine Studie von staatlicher Seite das strukturelle Rassismusproblem in der Polizei abbildet. Die Befürchtung ist, dass mit einem unrealistisch harmlosen Ergebnis das Problem vom Tisch gewischt wird. Für eine aussagekräftige Studie müssen Betroffene befragt werden. Dokumentationen von Aussagen Betroffener wie die Chronik von KOP existieren bereits, werden aber nicht ernst genommen. Das ist das eigentliche Problem.
IslamiQ: Einige Bundesländer wollen bei der Polizei und während der Ausbildung intensiv gegen Extremismus vorgehen. Es werden neue Ausbildungsstrukturen eingeführt und Experten zugezogen. Wie sinnvoll ist das?
KOP: Der Begriff des Extremismus ist aufgrund seiner fehlenden Trennschärfe ungeeignet, um über die Probleme zu sprechen, die zu rassistisch motivierter Polizeigewalt führen. Wir sprechen von Rassismus und rechten Strukturen. Ein aktuelles Beispiel ist der Polizeibeamte Stefan K., der sich seit Januar 2020 vor dem Amtsgericht Tiergarten für einen Angriff auf einen afghanischen Geflüchteten verantworten muss. Stefan K. ist kein Einzelfall, wie auch die Versetzung des Berliner Staatsanwaltes Fenner zeigt, der wegen rechter Einstellungen als Leiter des Staatsschutzes jahrelang politische Verfahren führte.
Das Problem fängt also nicht bei einzelnen Streifenbeamten an, sondern durchzieht die gesamten Strafverfolgungsbehörden. Einzelne Änderungen im Ausbildungsplan für Beamte sind völlig unzureichend. Es braucht eine breite Debatte über Rassismus in Polizei und Justiz und eine schonungslose Untersuchung aller Fälle, die in den letzten Jahren aufgeflogen sind.
Das Interview führte Kübra Layık.