Vor einem Jahr wurde die bundesweit erste Meldestelle für Moscheeangriffe #brandeilig ins Leben gerufen. Projektleiter Yusuf Sarı zieht eine erste Bilanz.
IslamiQ: Vor mehr als einem Jahr hat die Meldestelle #brandeilig seine Arbeit aufgenommen. Wie sieht Ihre erste Bilanz aus?
Yusuf Sarı: Wir erfassen Moscheeangriffe rückwirkend ab dem Jahr 2014 und beobachten seitdem eine kontinuierliche Steigerung bis 2019. Insgesamt haben wir bis Ende 2019 612 Angriffe auf Moscheen registriert. Neben der Dokumentation auf unserer Website haben wir detaillierte Telefoninterviews mit betroffenen Gemeinden durchgeführt. Die Ergebnisse werden wir nach und nach als Jahresberichte veröffentlichen.
IslamiQ: Seit 2017 werden islamfeindliche Straftaten, darunter auch Moscheeangriffe, von der Bundesregierung gesondert erfasst. Warum brauchte es eine neue Meldestelle?
Sarı: Das besondere an #brandeilig ist die Nähe zu den betroffenen Gemeinden, die wir proaktiv suchen, aufbauen und pflegen. Viele Gemeinden suchen nach einfachen Möglichkeiten, ihr Anliegen vorzutragen bzw. einen Angriff schnell und unkompliziert zu melden. Wir haben noch vor dem Launch unserer Website damit begonnen, uns in den Gemeinden bekannt zu machen und unser Projekt vorzustellen. Wir haben Infoveranstaltungen und Workshops organisiert, um für das Thema zu sensibilisieren. Des Weiteren sprechen wir dabei stets auf Augenhöhe mit den Gemeinden. Insofern genießen wir in der muslimischen Gemeinschaft einen hohen Zuspruch. Dies ist sehr hilfreich bei der Kontaktaufnahme und Dokumentation von Moscheeangriffen.
Wir erhoffen uns von #brandeilig für das Thema bundesweit zu sensibilisieren und einen umfassenden Beitrag zur Erfassung von Moscheeangriffen und zu ihrem Schutz zu leisten. Hierzu haben wir noch einiges geplant.
IslamiQ: Wie viele Fälle wurden im vergangenen Jahr gemeldet? Was für Angriffe sind das?
Sarı: Für 2019 haben wir 141 Moscheeangriffe registriert. Im laufenden Jahr wurden uns 45 Angriffe gemeldet. Hierbei handelt es sich aber um vorläufige Zahlen. Bei den meisten Fälle geht es um Vandalismus. Das bedeutet, es handelt sich dabei um eine Bereitschaft der Gewaltanwendung am Gebäude oder an zugehörigen Räumlichkeiten, die hohe Kosten verursachen und die Verletzung von Menschen in Kauf nehmen. Darunter sind beispielsweise zerstörte Fenster, Türen und Schmierereien an der Außenfassade oder im Innenbereich der Moschee, oder zerrissene Korane und beschädigte Regale und Teppiche. Viele dieser Fälle haben auch einen politischen Hintergrund. Dies machen wir an bestimmten Symbolen und Parolen fest, die am Tatort hinterlassen werden, wie zum Beispiel Hakenkreuze.
IslamiQ: Auf #brandeilig haben Sie rückwirkend alle Moscheeanschläge ab 2014 dokumentiert. Wie sieht die Tendenz aus?
Sarı: Wir beobachten eine kontinuierliche Steigerung. Waren es im Jahr 2014 noch 66 Angriffe, die #brandeilig registriert hat, stieg die Anzahl 2015 auf 91 Angriffe und im Jahr 2016 auf 107. Dieser Trend setzte sich jährlich fort, so dass wir aktuell bei 141 Angriffen im Jahr 2019 liegen.
Hierbei muss betont werden, dass man von einer höheren Dunkelziffer ausgehen muss, weil wir aus Gesprächen mit Moscheegemeinden wissen, dass nicht alle Angriffe gemeldet werden. Jede Gemeinde hat dabei ihre individuellen Gründe. Manche befürchten weitere Angriffe und möchten nicht im Mittelpunkt stehen.
IslamiQ: Was empfehlen Sie Moscheen, um sich zu schützen?
Sarı: Es ist zunächst wichtig, schon vor einem Angriff einige Maßnahmen zu ergreifen: Moscheegemeinden sollten über bestimmte Überwachungskameras verfügen, die den Hof und den Eingangsbereich, sowie Innenräume der Moschee rund um die Uhr filmen. Bei bestehenden Maßnahmen sollte die Meinung von Experten eingeholt werden, um etwaige Lücken auszubessern. So sollten Fenster und Türen jeden Abend überprüft werden. Prinzipiell sollten Angriffe auf Moscheen sofort zur Anzeige gebracht werden. Umfassende Empfehlungen werden wir demnächst veröffentlichen.
Aufgabe der Polizei ist es, einen Angriff richtig einzuordnen und die richtigen Motive zu erkennen. Bestimmte Symboliken oder Parolen, die am Tatort hinterlassen werden, sind hierbei besonders wichtig. Es kommt immer noch vor, dass die Täter im Umkreis der betroffenen Gemeinden gesucht werden, oder Angriffe verharmlost werden. Die Gemeinden wünschen sich insgesamt eine bessere Nachverfolgung der Täter und eine höhere Sensibilisierung der Beamten. Die beste Abschreckung bzw. der beste Schutz wäre, wenn die Täter öfter gefasst und verurteilt würden. Die Aufklärungsquote ist nämlich sehr gering und ruft Nachahmungstäter auf den Plan und motiviert zu weiteren Angriffen.
IslamiQ: Kürzlich wurde eine Expertenkommission Muslimfeindlichkeit einberufen.
Sarı: Das ist ein richtiger und längst überfälliger Schritt. Warnungen vor einer Eskalation hat es in der Vergangenheit seitens Experten schon oft gegeben. Auch hier wäre eine proaktive Haltung in der Bekämpfung des antimuslimischen Rassismus ein weiterer Schutzfaktor. Wir sehen hier die Behörden in der Pflicht besonders beim Thema Islamfeindlichkeit den Ernst der Lage zu akzeptieren und der Verantwortung gerecht zu werden. Weitere Relativierungen oder Abwarten und Beobachten können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten.
IslamiQ: Gibt es ein Zusammenhang zwischen den politischen Debatten und Moscheeanschlägen?
Sarı: Das ist von Fall zu Fall zu untersuchen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Politisierung des muslimischen Lebens in Deutschland, die andauernde negative Berichterstattung in den Medien und somit das Bedienen von antimuslimischen Narrativen durchaus einen Beitrag dazu leisten können, die Einstellungen und Vorurteile der Menschen zu beeinflussen. Das ist Konsens in der Wissenschaft.
Wichtig hierbei ist die Sprache. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich amtierende Politiker auch außerhalb der AfD im Ton vergreifen, wenn es um Migrationsthemen und Muslime geht. Hier wünschen wir uns mehr Sensibilität und ein Umdenken bei wichtigen Akteuren.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.