In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? Wir stellen querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma. Heute Prof. Dr. Ayşegül Doğangün.
Ayşegül Doğangün (37), geboren in Berlin, lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Duisburg. Sie studierte Informatik und Psychologie und ist Professorin für Menschzentrierte Technikentwicklung an der Hochschule Ruhr West. Dort leitet sie die interdisziplinäre Nachwuchsforschergruppe „Personal Analytics“ („PAnalytics“). Beschäftigt hat sich die Ingenieurin bisher vor allem mit Assistenzsystemen für Medizin und Pflege.
IslamiQ: Als Informatikerin haben Sie sich auf „menschzentrierte Technikentwicklung“ spezialisiert. Was beschäftigt Sie genau?
Prof. Dr. Ayşegül Doğangün: In allen Anwendungsszenarien in meinem aktuellen Forschungsfeld „Personal Analytics“ bildet die Sammlung, Auswertung und Bereitstellung relevanter Informationen aus großen Datenmengen eine wichtige Grundlage. Es ist der Mensch bzw. der Nutzer, der diese Daten produziert und durch ein technisches System Unterstützung erhält.
Entwickelte Algorithmen können noch so intelligent sein oder die technische Umsetzung zeitgemäß und ausgereift sein, kann oder will der Nutzer sie nicht nutzen, können sie keine Aussage zur Wirksamkeit ihrer Entwicklung machen. So muss der Mensch im Zentrum der Entwicklung stehen. Daraus ergab sich für mich die Notwendigkeit, mich mit Methoden zu beschäftigen, mit denen man dies adäquat realisieren kann. Kurzum, es ist die Anwendungsnähe, die es für meine Forschung unumgänglich macht, Technik mit und für Nutzer zu entwickeln und zu erforschen.
Meine aktuellen Projekte beschäftigen sich mit dem Thema Smart Home und das Fördern von Wohlbefinden in einem Smart Home. In einem weiteren Projekt, das demnächst starten wird, werden wir an sozialen Robotern und ihrem Einsatz in den Stadtverwaltungen der Metropole Ruhr forschen.
IslamiQ: Sie haben die Entwicklung einer Gesundheits-App speziell für 50+ geleitet. Was war das wesentliche Ziel dieser Forschung?
Doğangün: Diese „Gesundheits-App“ ist ein Teilprodukt des Forschungsgegenstandes meiner Nachwuchsforschergruppe Personal Analytics an der Universität Duisburg-Essen gewesen. Im Rahmen unserer Forschung haben wir uns mit Methoden im Kontext des Selbstmonitorings beschäftigt, die das Wohlbefinden des Nutzers steigern sollen. Dabei geht es um die Förderung von körperlicher Aktivität, der die Erfassung von Alltagsroutinen des Nutzers zugrunde liegt.
IslamiQ: Wie lässt sich so etwas technisch umsetzen?
Doğangün: Die Lösung dieser Probleme liegt darin, die Nutzer ständig einzubeziehen – angefangen bei der Entwicklung bis hin zur Nutzung, also eine menschzentrierte Entwicklung vorzunehmen.
IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?
Doğangün: Das Thema Gesundheit ist für jede Personengruppe relevant. Wir haben vorwiegend positive Rückmeldungen und konstruktive Hinweise von Interessenten oder Forschungshelfern erhalten.
Mir persönlich war es wichtig, auch unterschiedliche kulturelle Gegebenheiten zu berücksichtigen. Deshalb habe ich versucht, Forschungshelfer u. a. aus meinem persönlichen Netzwerk zu gewinnen, die diverse kulturelle oder religiöse Anforderungen haben könnten. Jedoch sind den Aufrufen immer viel zu wenige gefolgt, sodass sich hier leider keine wirklich brauchbaren Hinweise ergeben haben.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Doğangün: Bei drei kleinen Kindern und einem Vollzeitberuf bleibt leider wenig Zeit für individuelle Freizeitbeschäftigungen. So ist „Freizeit“ für uns meist „Familienzeit“. Und das ist gut so.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Doğangün: Bücher und Filme sind eher Verbrauchsgut für mich, dem ich wenige bis gar keine Emotionen beimesse. Ich habe zuletzt das Buch „Yedi Güzel Kadın“ geschenkt bekommen und lese es zurzeit.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Doğangün: Familie hat einen sehr hohen Stellenwert. Sie ist für mich das wichtigste Gut. An meinem Werdegang sehen Sie, dass diese Haltung für mich keineswegs bedeutet, dass ich nicht strebsam bin und auch berufliche Ziele habe, die ich erreicht habe und noch erreichen möchte. Daraus lässt sich schließen, dass, wertend betrachtet, Familie an erster Stelle kommt, sie aber andere Dinge, die ebenfalls zu einem erfüllten Leben gehören, nicht hindern muss – im Gegenteil, insbesondere Ehepartner können hier sogar gegenseitig Multiplikatoren sein.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Doğangün: Um ehrlich zu sein, habe ich länger darüber nachdenken müssen. So etwas wie einen „schönsten Moment“ kann ich leider nicht benennen. Es gab einige Meilensteine wie den Abschluss meines Studiums und meine Dissertation, die Auszeichnung und Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder die Benennung zur Professorin. Für all das bin ich dankbar.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Doğangün: Ich denke stur, strebsam, hilfsbereit.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Doğangün: Diese Frage möchte ich als Muslimin basierend auf meiner Lieblingssure aus dem Koran beantworten: Sure Scharh, Verse 1-8. Daraus ergibt sich für mich folgendes Lebensmotto in drei Punkten:
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Doğangün: Wir sind Deutsche mit Migrationshintergrund muslimischen Glaubens. Da gibt es für mich keine offene Frage. Wahrscheinlich zähle ich aber auch zu den Glücklichen, die kaum damit konfrontiert wurden.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Doğangün: Mein größtes Ziel ist es, meine Kinder zu gewissenhaften, zufriedenen Menschen zu erziehen. Sie sollen in der Lage sind, ihren eigenen Lebensweg zu gehen, ohne das Wesentliche aus den Augen zu verlieren oder gar zu vernachlässigen.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Doğangün: Stagnation ist wohl etwas, das ich in unterschiedlichen Lebensbereichen vermeiden möchte. Im Prinzip ist es auch das, was ich immer wieder aufs Neue lebe und meinen Kindern mitgeben möchte: Wenn ihr eine Sache beendet, die insbesondere für die Gesellschaft, die Familie oder aber für die Selbstverwirklichung nützlich war, dann schaut, was ihr als nächstes machen könnt.
Außerdem wünsche ich meinen Kindern und allen Muslimen, dass die Verwirklichung ihrer Vorhaben nicht aufgrund ihrer Identität verwehrt wird. Denn auch wenn mich glücklicherweise nichts beispielsweise von meinem Karriereweg abhalten konnte, weiß ich, dass Diskriminierungen – leider – Realität sind.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Doğangün: Ich denke, ein wichtiger Schritt wäre, dass jeder genau diese Aussage mit einer Selbstverständlichkeit trifft und aufnimmt: Wir sind alle Deutsche mit Migrationshintergrund muslimischen Glaubens, und das ist gut so.