Bestürzt und fassungslos wurde auf den Anschlag in Wien reagiert. Wie haben Muslime in Österreich den Angriff erlebt? IslamiQ sprach mit Augenzeugen.
Bei der Terrorattacke in Wien sind nach Angaben der österreichischen Polizei am Montagabend vier Passanten getötet worden. Dazu komme der von der Polizei erschossene Täter, hieß es am Dienstagmorgen. Die Polizei sprach außerdem von mindestens 22 Verletzten, darunter mehrere schwer verletzte Menschen.
Kurz nach 20 Uhr waren nahe der U-Bahnhaltestelle Schwedenplatz die ersten Schüsse gefallen. Danach kam es an weiteren Tatorten in der Nähe zu Feuerüberfällen. In der Gegend befindet sich die Wiener Hauptsynagoge. Die Ermittler prüfen einen antisemitischen Hintergrund der Tat. Zudem handelt es sich um ein beliebtes Ausgehviertel, in dem sich am Abend vor Beginn des coronabedingten Lockdowns in Österreich noch zahlreiche Passanten aufhielten.
Nach dem gestrigen Anschlag in Wien wollten österreichische Muslime wie der Rest der Bevölkerung, dass die Täter so schnell wie möglich gefasst werden und die Regierung den Fall nicht als „islamistisch“ einstuft. Das würde die jahrelange Arbeit der Muslime in Österreich wieder zurückwerfen.
Der Wiener Ferhat Özbay verfolgte den Anschlag von zu Hause aus. „Ich bin wütend, weil ich weiß, dass dieser Angriff das ohnehin schwierige Leben der Minderheiten in dieser Märchenstadt weiter verschlechtert hat“, erklärte er gegenüber IslamiQ. Außerdem sei das Vertrauen der Wiener geschädigt. Özbay fühle sich so, als würde er die Verstorbenen und die Verletzten aus dem Alltag kennen. Eine Frau, die in dem Café sitzt, an dem er gestern vorbeigegangen sei, ein Mann, mit dem er denselben Bus genommen habe, oder auch der Polizist, den er jeden Tag grüße. „Mir fehlen die Worte, ich bin einfach nur wütend.“
Elif Sivrikaya Ilıca war gestern Abend noch unterwegs als die ersten Schüsse fielen. Sie traf sich mit ihrer Freundin zum Kaffee. „Ich hätte eines der Opfer sein können, wenn ich nicht 30 Sekunden zuvor gegangen wäre“, erklärte sie gegenüber IslamiQ. Unsicherheit, Schüsse, Sireren und offene Fragen. Vor allem aber eine Frage: Warum? Warum diese Brutalität, dieses Massaker, dieser Mord, warum? Sie rannte nur noch um ihr Leben und wollte heil zu Hause ankommen. „Wien war eine sichere Stadt. In Wien konnten Kinder ohne Angst aufwachsen und Frauen bis spät in der Nacht ohne Angst alleine ausgehen. Die schöne Stadt Wien. Dieser Abend, der Wien mit Blut beschmierte, passte überhaupt nicht zur Stadt“, so Sivrikaya Ilıca.
Nach dem Anschlag in Wien werden zwei junge Muslime, Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen, für ihren Einsatz gefeiert. Sie haben einer Passantin und einem angeschossenen Polizisten das Leben gerettet. „Wir konnten einfach nicht nur zuschauen. Wir sind hingelaufen und haben ihn zum Krankenwagen befördert“, erklärt Mikail Özen.
Des Weiteren verurteilten die Männer die Tat scharf: „Wir sind türkeistämmige Muslime und verabscheuen jegliche Art von Terror, wir stehen zu Österreich, wir stehen für Wien“, erklärte Özen.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) bot ihre uneingeschränkte Kooperation mit den Sicherheitsbehörden an. Man wisse über den oder die Täter auch nicht mehr, als das Innenministerium bekanntgegeben habe, sagte eine Sprecherin. Die IGGÖ werde nun prüfen, ob der Täter in die Gemeinschaft eingebunden gewesen oder aufgefallen sei. Die Tat mache die Muslime fassungslos.
„Wir sind tief erschüttert über den Terrorangriff in Wien, der mutmaßlich durch einen ISIS-Sympathisanten durchgeführt wurde. Der Anschlag macht uns fassungslos“, erklärt Burhan Kesici, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM) in Deutschland. In Gedanken und in den Gebeten sei man bei den Opferfamilien, den Verletzten, ihren Angehörigen sowie bei allen Wiener und Österreichern. Die Täter zielen mit ihren Anschlägen darauf ab, die Gesellschaft zu spalten und den Zusammenhalt zu brechen. Daher gilt es umso mehr, unsere Reihen zu schließen und zu stärken. „Wir werden uns geschlossen und mit aller Entschlossenheit gegen das Gedankengut dieser menschenfeindlichen Extremisten stellen. Sie haben in unseren Reihen keinen Platz“, betont Kesici abschließend.