Terror in Wien

„Mir fehlen die Worte, ich bin einfach nur wütend“

Bestürzt und fassungslos wurde auf den Anschlag in Wien reagiert. Wie haben Muslime in Österreich den Angriff erlebt? IslamiQ sprach mit Augenzeugen.

03
11
2020
Stephansplatz in Wien © Shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.
Stephansplatz in Wien © Shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.

Bei der Terrorattacke in Wien sind nach Angaben der österreichischen Polizei am Montagabend vier Passanten getötet worden.  Dazu komme der von der Polizei erschossene Täter, hieß es am Dienstagmorgen. Die Polizei sprach außerdem von mindestens 22 Verletzten, darunter mehrere schwer verletzte Menschen.

Kurz nach 20 Uhr waren nahe der U-Bahnhaltestelle Schwedenplatz die ersten Schüsse gefallen. Danach kam es an weiteren Tatorten in der Nähe zu Feuerüberfällen. In der Gegend befindet sich die Wiener Hauptsynagoge. Die Ermittler prüfen einen antisemitischen Hintergrund der Tat. Zudem handelt es sich um ein beliebtes Ausgehviertel, in dem sich am Abend vor Beginn des coronabedingten Lockdowns in Österreich noch zahlreiche Passanten aufhielten.

Nach dem gestrigen Anschlag in Wien wollten österreichische Muslime wie der Rest der Bevölkerung, dass die Täter so schnell wie möglich gefasst werden und die Regierung den Fall nicht als „islamistisch“ einstuft. Das würde die jahrelange Arbeit der Muslime in Österreich wieder zurückwerfen.

Der Wiener Ferhat Özbay verfolgte den Anschlag von zu Hause aus. „Ich bin wütend, weil ich weiß, dass dieser Angriff das ohnehin schwierige Leben der Minderheiten in dieser Märchenstadt weiter verschlechtert hat“, erklärte er gegenüber IslamiQ. Außerdem sei das Vertrauen der Wiener geschädigt. Özbay fühle sich so, als würde er die Verstorbenen und die Verletzten aus dem Alltag kennen. Eine Frau, die in dem Café sitzt, an dem er gestern vorbeigegangen sei, ein Mann, mit dem er denselben Bus genommen habe, oder auch der Polizist, den er jeden Tag grüße. „Mir fehlen die Worte, ich bin einfach nur wütend.“

„Wien war eine sichere Stadt“

Elif Sivrikaya Ilıca war gestern Abend noch unterwegs als die ersten Schüsse fielen. Sie traf sich mit ihrer Freundin zum Kaffee. „Ich hätte eines der Opfer sein können, wenn ich nicht 30 Sekunden zuvor gegangen wäre“, erklärte sie gegenüber IslamiQ. Unsicherheit, Schüsse, Sireren und offene Fragen. Vor allem aber eine Frage: Warum? Warum diese Brutalität, dieses Massaker, dieser Mord, warum?  Sie rannte nur noch um ihr Leben und wollte heil zu Hause ankommen. „Wien war eine sichere Stadt. In Wien konnten Kinder ohne Angst aufwachsen und Frauen bis spät in der Nacht ohne Angst alleine ausgehen. Die schöne Stadt Wien. Dieser Abend, der Wien mit Blut beschmierte, passte überhaupt nicht zur Stadt“, so Sivrikaya Ilıca.

„Wir konnten nicht nur zuschauen“

Nach dem Anschlag in Wien werden zwei junge Muslime, Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen, für ihren Einsatz gefeiert. Sie haben einer Passantin und einem angeschossenen Polizisten das Leben gerettet. „Wir konnten einfach nicht nur zuschauen. Wir sind hingelaufen und haben ihn zum Krankenwagen befördert“, erklärt Mikail Özen.

Des Weiteren verurteilten die Männer die Tat scharf: „Wir sind türkeistämmige Muslime und verabscheuen jegliche Art von Terror, wir stehen zu Österreich, wir stehen für Wien“, erklärte Özen.

Muslimische Vertreter verurteilen Anschlag

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) bot ihre uneingeschränkte Kooperation mit den Sicherheitsbehörden an. Man wisse über den oder die Täter auch nicht mehr, als das Innenministerium bekanntgegeben habe, sagte eine Sprecherin. Die IGGÖ werde nun prüfen, ob der Täter in die Gemeinschaft eingebunden gewesen oder aufgefallen sei. Die Tat mache die Muslime fassungslos.

„Wir sind tief erschüttert über den Terrorangriff in Wien, der mutmaßlich durch einen ISIS-Sympathisanten durchgeführt wurde. Der Anschlag macht uns fassungslos“, erklärt Burhan Kesici, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM) in Deutschland. In Gedanken und in den Gebeten sei man bei den Opferfamilien, den Verletzten, ihren Angehörigen sowie bei allen Wiener und Österreichern.  Die Täter zielen mit ihren Anschlägen darauf ab, die Gesellschaft zu spalten und den Zusammenhalt zu brechen. Daher gilt es umso mehr, unsere Reihen zu schließen und zu stärken. „Wir werden uns geschlossen und mit aller Entschlossenheit gegen das Gedankengut dieser menschenfeindlichen Extremisten stellen. Sie haben in unseren Reihen keinen Platz“, betont Kesici abschließend.

 

 

 

 

Leserkommentare

grege sagt:
Wenn Personen mit diskriminierungswürdigen Aussagen gegenüber in weiten Teilen der Welt unterdrückten und drangsalierten Minderheiten nicht nur protegiert, sondern noch zum Opfer pervertiert werden, sind Umschreibungen dieser Handlung mit dem Begriff „Hofieren“ sachlogisch und angemessen. Daher sollten Sie als weiteren Tip vor Veröffentlichung Ihre früheren Verbalergüsse nochmal in Erinnerung rufen. Gerade Homosexuelle müssen und mussten aufgrund ihrer bloßen sexuellen Orientierung, die man ebenso wenig wie seine Rassenzugehörigkeit oder ethnische Abstammung ablegen kann, schlimmste Massakrierungen und Repressionen im Hier und Jetzt hinnehmen. Während sich in einigen Erdregionen aufgrund eines positiven Bewußtseinswandel in diversen Staaten die rechtliche und soziale Situation dieser Minderheit stetig bessert, sind Homosexuelle in diversen islamischen Staaten wie z.B. Saudi-Arabien mit dem Tode bedroht oder wie in Orlando Terrorziele islamischer Terroristen. Angesichts dieser Ausgangssituation hätte einem designierten EU Kommissar, ausgerechnet noch für Recht und Justiz, die Problematik und Tragweite seiner Aussagen bewusst sein müssen. Die dann folgenden Reaktionen in der Öffentlichkeit in ausschließlich verbaler Form waren im Rahmen des geltenden Gesetzesrahmen legal und vor dem Hintergrund noch andauernder Verfolgung dieser Minderheit auch moralisch legitim. Zudem hätten weitere Tumulte, Attentate und Terroranschläge in Verbindung mit den stereoptypischen Selbstbemitleidungen diverser Islamfunktionäre und -protagonisten an der Tagesordnung gestanden, wenn dieselbe Person die islamische Religion als Sünde bezeichnet hätte. Einen entsprechenden Vorgeschmack beinhalten Mazyeks Reaktionen sowie gewalttätige Proteste in muslimischen Ländern auf eine Rede Papst Benedikts, die Liquidierung der Redaktion von Charlie Hebdo wegen popeliger Karrikaturen oder die bestialische Abschlachtung von Herrn van Gogh wegen lächerlich minderwertiger Filme. Anstatt sich über Kritiker schwulenfeindlicher Aussagen zu mokieren, sollten Islamprotagonisten lieber die Homophobie und den Extremismus in ihren eigenen Reihen bekämpfen. Gott sei Dank hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass öffentlich Bedienstete ihre Dienstleistungen bestimmten Minderheiten nicht vorenthalten dürfen. Gerade in einer multikulturellen Gesellschaft, die auch tausende muslimische Flüchtlinge aufgenommen hat, sollte eine Gleichbehandlung aller unabhängig von Religion oder der persönlichen Gewissensfreiheit gewährleistet sein, da ansonsten ein öffentlicher Dienst auf Dauer kaum funktionsfähig wäre. Wer wie unsere lieben Islamprotagonisten einerseits Privilegien für die eigene Minderheit verlangt, im selben Atemzug nicht genehmen Minderheiten die Vorhaltung gleicher Rechte zustimmt, propagiert nichts anderes als apartheidsähnliche Rechts- und Gesellschaftssysteme. Solche sind gerade in Indien im Begriff zu entstehen, vornehmlich mit muslimischen Opfern. Unsere lieben, opportun gesinnten Islamprotagonisten fordern in ihrer Kurzsichtigkeit also ein System, was sie als Minderheit selber zum Opfer von Apartheid degradieren würde, oder sägen genau den Ast ab, auf dem sie selbern sitzen. Dass solche Fehlentwicklungen auf Dauer verhindert werden, ist genau dem Einsatz der von Islamprotagonisten gescholtenen „Political Correcten“ zu verdanken. Den Gipfel der Heuchelei erreicht dann genau die Tatsache, wenn Islamprotagonisten genau die Rechtsinstrumente eines säkularen Staates in Anspruch nehmen, wie diverse Kopftuchprozesse hierzulande offenbaren.
11.12.20
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