Nach der Ermordung von Samuel Paty wird muslimischen Schülern vorgeworfen, die Meinungs- und Kunstfreiheit nicht zu respektieren. Muslimische Lehrer kritisieren diesen Vorwurf.
Für den Deutschen Lehrerverband ist die Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty ein Angriff auf die demokratischen Werte. Der Verbandsvosrsitzende Heinz-Peter Meidinger hat in einer Reportage auf das „Klima der Angst“ in deutschen Schulen hingewiesen. Insbesondere in Schulen mit einem hohem Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund würden Lehrer unter Druck gesetzt, damit sie Themen wie mittelöstliche Konflikte oder die Karikaturen über den Propheten Muhammad nicht ansprechen.
Doch wie sieht die Realität in Deutschland aus? Haben muslimische Schüler wirklich Probleme mit der Meinungsfreiheit in den Schulen? IslamiQ hat drei muslimische Lehrer gefragt.
Duran Terzi ist IRU-Lehrer in Düsseldorf. Er war Mitglied der Lehrplankommission für den islamischen Religionsunterricht in NRW und moderiert zudem das Zertifikatsprogramm für IRU-Lehrer. Laut ihm sei es wichtig, die Reaktionen muslimischer Schüler richtig zu deuten. Nicht jede Reaktion sei „religiös“. „Für einen Schüler, der sich in der Gesellschaft als gedemütigt sieht, sind diese Karikaturen nur eine Ausrede. Das Gefühl der Herabsetzung eigener Überzeugungen kann Erinnerungen an diskriminierende Vorfälle wie bei einer Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt wecken“, erklärt Terzi. Religion sei hier vielleicht der letzte Faktor.
Terzi ist der Meinung, dass der Schulunterricht kein geeigneter Ort für ideologische Diskussionen ist. Das gelte z. B. für die politischen Entwicklungen in der Türkei oder das Thema Evolutionstheorie im Biologieunterricht, wenn die Evolutionstheorie nicht gemäß dem Lehrplan durchgeführt wird, sondern ideologisiert als Widerlegung der Religion aufgedrängt wird. In jedem Fall profitieren die Lehrer von solchen Spannungen, weil sie das Sagen im Unterricht haben. Ein Lehrer, der dem Schüler keine Gelegenheit gibt, sich auszudrücken, und dessen Meinung nicht respektiert, kann den Schüler im Klassenzimmer als ‚rückständig‘ darstellen.“
Mustafa Tütüneken ist seit 17 Jahren IRU-Lehrer in Essen. Ihm zufolge fehle es vielen Lehrern an Empathie, und „dieser Mangel an Empathie verursacht Probleme.” Gerade in einer fremden Gesellschaft sei die Sensibilität junger Menschen, die versuchen, ihre Werte zu definieren, wichtig. Lehrer, die in ihren eigenen Familien noch nie Religiosität erlebt haben, könnten sich möglicherweise nicht in junge Menschen einfühlen.
„Die Aufgabe des Lehrers ist es, dem Schüler zu helfen, das Richtige zu finden, ohne neue Wunden zu verursachen. Die Gedankenwelt des Schülers zu ignorieren und ihm eine Meinung aufzuzwingen, ist keine korrekte pädagogische Methode. Jede Wertewelt verdient Respekt“, erklärt Tütüneken weiter.
Laut Tütüneken ist auch die Behauptung des Deutschen Lehrerverbandes, dass Lehrer in Deutschland unterdrückt werden, nicht richtig: „Ich weiß nicht, auf welche Statistiken diese Behauptung basiert. 80 Prozent der Nachbarschaft, in der ich unterrichte, sind Muslime. Die meisten meiner Schüler sind Muslime, darunter Einwanderer aus Syrien und dem Irak. Ich habe bis jetzt noch nie von einer Familie gehört, die mit einem solchen Anliegen zur Schule gekommen ist.“
Wie der Schüler optimalerweise reagieren sollte, wenn er sieht, dass sein Prophet beleidigt wird, ist für die Berliner IRU-Lehrerin Aynur Çoşkun schwer zu sagen. „Die Beleidigung des Propheten schadet dem Schüler, da er an den Propheten glaubt, ihn liebt und ihn als Beispiel nimmt. In diesem Fall sollten Kinder auf jeden Fall die Möglichkeit haben, ihre Gefühle auszudrücken“, erklärt Çoşkun.
Schüler sollten in der Lage sein, zu sagen, was sie empfinden. Der Lehrer sollte dies auch erlauben. In einer solchen Situation zeigen viele Lehrer in Deutschland möglicherweise keine Toleranz. „Allein die Tatsache, dass der Lehrer selbst die Beleidigungen der religiösen Werte eines muslimischen Schülers in den Unterricht trägt, zeigt, dass die Meinung des Kindes sowieso nicht akzeptiert wird”, so Çoşkun.