Das Konzept „Kontaktschuld“ fördere eine Kultur des Misstrauens. Betroffene könnten sich dagegen so gut wie nicht wehren.
In einer Expertise für den „Mediendienst Integration“ erklärt Prof. Werner Schiffauer anhand von Fallbeispielen die Problematik der sogenannten „Kontaktschuld“. Hierbei gehe es darum, dass eine Person oder Organisation aufgrund „ihrer Kontakte zur Organisation X oder der Person Y“ als radikal gilt. Nach Schiffauer reiche es nicht aus zu wissen, dass es Kontakte gibt. Wichtiger sei, was kommuniziert wird.
Bei der Kontaktschuld seien nicht etwa offen gewaltbereite oder gewaltbefürwortende Organisationen oder Personen betroffen, sondern Gemeinden, die von Personen gegründet wurden, die als radikal hervorgegangen seien, oder auch „punktuelle Berührungspunkte“ zu radikalen Organisationen, Initiativen oder Personen hätten.
Als Beispiel nennet der Experte ein Projekt zur Gefängnissseelsorge, eine Initiative des Runden Tischs für ausländische Gefangene Berlin, das vom Islamforum aufgegriffen wurde. Eine „Elite von Brückenbauern“ aus verschiedenen am Runden Tisch beteiligten Gemeinden habe sich zwei Jahre lang qualifiziert, um die Initiative umzusetzen. Sie wurde 2013 gestoppt, weil in letzter Minute Bedenken seitens des Verfassungsschutzes geäußert wurden.
„Die Tatsache, dass mehrere Beteiligte den falschen Gemeinden angehörten, erwies sich als wichtiger als das über Jahre hinaus im Islamforum und bei der Zusammenarbeit aufgebaute Vertrauen“, schreibt Schiffauer. Die Betroffenen hätten keine Möglichkeit, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen.
Nach Werner Schiffauer könne man zwar vorerst aus Kontakten auf weltanschauliche Nähe schließen. „Was dabei nicht berücksichtigt wird, ist, dass auch die Umkehrung gelte: Über soziale Kontakte können auch in sich geschlossene Weltbilder aufgebrochen und Tendenzen zur Isolation durchbrochen werden“, so Schiffauer in der Expertise. Festzuhalten sei, dass Kontaktdaten offenbar nur belastend, aber nicht entlastend verwendet würden.
Das Hauptproblem bestehe darin, dass eine Verdachtskultur gefördert werde und diese „gerade durch die Vagheit Raum zu Spekulationen“ einlade. Es entstehe eine Kultur des Misstrauens. Zudem zerstöre sie Ansätze für Kooperation, entmutigt Brückenbauer und Reformer aus den Gemeinden, was zu Isolation von Gemeinden und damit zur Desintegration führen könne. Betroffene hätten hierbei so gut wie keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.