Die Corona-Pandemie hat das Sterben neu in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt. Das bekannte Schreckensbild eines einsamen Todes wurde wieder wach. Eine Abschiedskultur sieht anders aus.
Niemand möchte allein sterben. Doch das Schicksal einer völligen Isolation traf im ersten Lockdown während der Corona-Pandemie zahlreiche Menschen in Pflegeeinrichtungen und auf Intensivstationen. Dies soll sich jetzt nicht wiederholen. Experten aus unterschiedlichen Religionen und Professionen forderten am Dienstagabend in einer gestreamten Gesprächsrunde im Kasseler Sepulkralmuseum, der Kultur des Abschieds einen höheren Wert beizumessen.
„Das Sterben ist eine Lebensphase, die nicht minderwertig, sondern hochbedeutsam ist“, sagte der Heidelberger Altersforscher Andreas Kruse. Das Verlassen dieser Welt mit der Vorbereitung auf den „Übergang“ gehöre mit zum Größten, was ein Mensch erlebe.
Man dürfe dabei nicht nur auf die körperlichen Prozesse schauen, betonte Kruse. Aus seiner Befassung mit Schwerkranken wisse er, dass ein Sterbender mehr und mehr ein Bewusstsein davon entwickele, was in Abgrenzung zum Körper eigentlich die eigene Seele sei. „Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen das am Ende des Lebens verspüren“, sagte der Gerontologe. Sterbende wollten über solche spirituellen Fragen reden, betonte Kruse, der die Religionsgemeinschaften in der Pandemie in einer „großen Bewährungsprobe“ sieht.
Die muslimische Paderborner Theologin Muna Tatari wies darauf hin, dass auch im Islam im Sterbeprozess die spirituelle Begleitung sehr wichtig sei und Angehörige anwesend sein sollten. Durch die Rezitation von Texten aus dem Koran und Gebeten solle dem Betroffenen ermöglicht werden, „Gottes Anwesenheit zu spüren“. Es werde viel Wert darauf gelegt, dass Familien, die von einem Sterbefall betroffen seien, zu keiner Zeit alleingelassen würden.
Die Corona-Krise habe das Gesundsheitssystem verändert. Das Personal in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen steht vor der großen Herausforderung, in der Zeit der Pandemie Patienten und deren Angehörigen während des Heilungsprozesses, oft aber auch in den letzten Stunden beizustehen. Aus diesem Grund habe der Islamrat eine Broschüre veröffentlicht, um dem medizinischen Personal eine religions- und kultursensible Kommunikation zu erleichtern.
„Alle Menschen… befassen sich irgendwann mit Fragen zum Leben und Tod. Die Erfahrung zeigt, dass Würde dabei immer eine übergeordnete Rolle spielt. Jeder Mensch möchte würdevoll behandelt werden: zur Lebenszeit, beim Sterben und posthum“, erklärt der Islamrat in der Broschüre. So legen Muslime großen Wert auf die religiös-rituelle Begleitung gemäß den Traditionen und Regeln des Islams.