Corona-Virus

Geduld und Gottvertrauen – spiritueller Impfstoff für Muslime

Die islamische Geschichte kennt viele Epidemien. Ein Impfstoff kann vielleicht den Körper heilen, aber nicht die Seele. Welche Rolle Geduld und Gottvertrauen in Krisenzeiten spielen, erklärt Cemil Şahinöz.

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2020
spiritueller Impfstoff, Geduld
Symbolbild: Geduld und Gottvertrauen © Shutterstock, bearbeitet by iQ

In der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder Epidemien und Pandemien, bei denen Millionen Menschen starben. Die bekannteste älteste Epidemie ist die Pest gewesen, die 3500 v. Chr. in ganz Europa wütete. Wie viele Tote es damals gab, kann nicht bestimmt werden. Als die Pest 1346 bis 1353 noch einmal durch Europa, Asien und Afrika zog, starben 100-125 Millionen Menschen. Ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung verstarb an der Pest, daher wird sie auch als Schwarzer Tod bezeichnet.

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts brach die Pest ca. 30 mal in verschiedenen Regionen aus, z. B. 1708-1714 in Nord- und Osteuropa mit einer Million Toten, 1894-1912 in China und der Karibik mit 12 Millionen Toten. Aber nicht nur die Pest, sondern auch andere Epidemien, wie z. B. die 1918-1920 die Spanische Grippe mit 27-50 Millionen Toten, 1961-1990 die Cholera mit mehreren Millionen Toten, führten zu menschlichen Katastrophen. Einige der Krankheiten konnten besiegt werden, einige gibt es weiterhin, jedoch nicht mehr in so großem Ausmaß oder in anderen Formen. Die aktuelle Corona-Pandemie zählt seit November 2019 1,3 Millionen Tote.

Impfstoff für die Seele

Mehrere Unternehmen arbeiten derzeit an einem Impfstoff gegen das Corona-Virus. Einige Impfstoffe sind schon auf dem Markt und/oder werden bald eingeführt. Impfstoffe führen allgemein dazu, dass das Immunsystem des Menschen gegen bestimmte Stoffe aktiviert wird. Daher gelten sie als vorbeugende Maßnahmen gegen verschiedene Krankheiten.

Der Mensch besteht jedoch nicht nur aus Körper und Leib. Nicht nur sein körperliches, sondern auch sein seelisches Empfinden führen zu einer Krankheit oder Gesundheit. Oft beeinflusst die Psyche des Individuums seinen Körper, so dass z. B. Stress oder seelische Belastungen zu körperlichen Krankheiten führen.

Auch in Zeiten von Epidemien und Pandemien spürt der Mensch seelische Belastungen. Seine Psyche wird negativ beeinflusst. Auch wenn eine Pandemie vorüber sein sollte, können dann psychische Erkrankungen fortbestehen. Daher ist es wichtig, nicht nur ein Impfstoff für den Körper, sondern auch ein Impfstoff für Geist und Seele einzunehmen, einen sogenannten spirituellen Impfstoff. Diesen bietet der Islam auf verschiedene Art und Weisen an.

Geduld und Gottvertrauen

Vor allem ist es aber die menschengerechte und seiner naturentsprechenden Lebensweise, die zu einem Einklang zwischen Körper und Seele führt. Im Leben des Propheten Muhammad (s) gibt es hierzu zahlreiche praktische Beispiele. Als theologisches Gerüst findet man hierbei vor allem zwei Aspekte: Geduld (Sabr) und Gottvertrauen (Tawakkul).

Der Begriff der Geduld spielt in der islamischen Theologie und im islamischen Alltag eine wichtige Schlüsselrolle für die Bewältigung von Krisensituationen. Weil damit das Vertrauen auf Gott symbolisiert wird, gilt sie als eine hohe Tugend, und es gibt eine ausgiebige Literatur hierzu.

Als Beispiel für Geduld wird in der islamischen Literatur oft der Prophet Hiob (a), der auch „Held der Geduld“ genannt und für seine Geduld gelobt wird[1], herangezogen. Laut der Berichte befand sich der Prophet Hiob (a) in einem schwer erkrankten Zustand. Er zeigte solange Geduld, bis die Krankheit sein Herz und seine Zunge erreichten. Erst dann sprach er ein Gebet, nicht um seiner eigenen Gesundheit willen, sondern um weiterhin Gott anbeten zu können, da er befürchtete, dies nicht mehr bewerkstelligen zu können, wenn sein Herz und seine Zunge von der Krankheit befallen werden würden. Daraufhin gewährte ihm Gott Gesundheit und lies ihm dadurch seine Barmherzigkeit spüren. Diese Geschichte Hiobs (a) ist ein klassisches Narrativ und wird in Not- und Krisensituationen oft als Handlungsempfehlung wiedergegeben.

Hinter Leid steckt eine göttliche Weisheit

Hintergrund dieser Empfehlung ist, dass theologisch davon ausgegangen wird, dass sich alles mit göttlicher Gewalt und göttlichem Wissen vollzieht. Daher wird vor allem in Krisensituationen Gottvertrauen vorausgesetzt[2]. Damit soll signalisiert werden, dass man sich dem göttlichen Willen unterordnet und Gott vertraut. Dabei soll man mit der „Verteilung“ Gottes, also mit dem, was einem Menschen im Leben trifft, zufrieden sein. Gott soll dem Gläubigen dabei Genügen[3].

Gottvertrauen erfordert in diesem Kontext auch zu erkennen, dass etwas, was der Mensch als gut betrachtet, in Wirklichkeit schlecht für ihn sein kann und umgekehrt[4]. Hinter Leid steckt demnach eine göttliche Weisheit[5]. Glaube und Vertrauen sollen hierdurch geprüft werden. Wer geduldig ist, soll Erbarmen erlangen. Hingegen wird der Verlust der Kontrolle in Notsituationen[6] oder das Fixieren auf die Fehler der Vergangenheit[7] als Fehlverhalten betrachtet.

Geduld als Lösung der Probleme

Gleichzeitig wird es als Gottesdienst angesehen, wenn man gegen Leid und Schmerzen Gottvertrauen und Geduld zeigt und hierfür Gott nicht anklagt. In Notsituationen auf die Hilfe Gottes zu warten wird ebenfalls als ein Gottesdienst bewertet[8]. Wer in solchen Situationen geduldig ist, dem sollen die Sünden getilgt werden[9] und er wird gelobt[10]. In der islamischen Literatur wird hierbei betont, dass der Geduldige mit Gott ist[11] und er für seine Geduld belohnt wird[12]. Das Endresultat von Geduld ist dann Erfolg[13], denn mit Geduld in Notsituationen könne der Mensch sowohl seine weltlichen als auch jenseitigen Wünsche erlangen. Aus dieser Argumentation heraus, werden Geduld und Gottvertrauen zu Gottesdiensten.

Es wird also davon ausgegangen, dass Gott niemanden mit einer Not,
einer Last, einem Problem oder einer Krise belastet, die er nicht tragen kann[14] und daher die Belastungen nicht bewältigen kann[15]. Angst, Hunger, Minderung an Besitz, Menschenleben oder Gaben werden direkt als Prüfungen Gottes erachtet.[16]Prüfungen sind durch Gottes Hilfe zu bewältigen[17], der Schlüssel hierfür sei die Geduld[18]. Die schwierigsten „Prüfungen“ hatten demnach die Propheten selbst zu tragen. Nur so konnten Propheten, die sich als Menschen ebenfalls in Notsituationen befanden, Vorbilder für die gesamte Menschheit sein. Daher wird in Situationen wie z. B. Unglück, Krankheit, finanzielle Notlage oder auch Abschlussprüfungen Geduld erwartet und vorausgesetzt[19]. Mit Gottvertrauen, ohne sich auf das Ergebnis zu fixieren, solle man die notwendigen Mittel zur Beseitigung eines Problems, wie z. B. den Arzt aufsuchen, die Medizin einnehmen oder für die Prüfung lernen, anwenden.

Gottvertrauen und Geduld als spiritueller Impfstoff

Geduld und Gottvertrauen sind jedoch keine Vertröstungen, Trauer ist nicht verboten. Der Muslim geht davon aus, dass das Leben insgesamt eine Prüfung ist[20] und der Mensch entweder mit Geduld oder Danksagung geprüft wird. Sowohl Krankheiten als auch Situationen, in denen keine Krankheiten vorliegen, werden als Prüfungen bezeichnet. Dass heißt jedoch nicht, dass sich der Muslim nicht um eine Wiederherstellung der Gesundheit kümmert. Den Körper, der als Eigentum des Schöpfers betrachtet wird, zu pflegen, gehört zu einer muslimischen Lebensweise. So können zum Schutz des Lebens die in Normalfällen geltenden Regeln übertreten werden[21]. Damit ist Geduld keine Passivität oder Legitimation für das Nichthandeln, sondern auch eine aktive Handlung, Hilfe bei Gott und den von ihm erschaffenen Mitteln zu suchen.

In der islamischen Literatur wird Gottvertrauen auch als eine „Eingangsstufe“ zur Spiritualität bezeichnet. Studien zeigen die Signifikanz von Gottvertrauen als Bewältigungsstrategie bei der Reduktion von Angst oder Depression.

Auf Grund dieser Überlegungen werden Geduld und Gottvertrauen zu zwei Verhaltensformen, die wie ein spiritueller Impfstoff eingenommen werden können. Der Mensch kann dadurch einen Zustand des inneren Friedens erreichen und sich von Stress und psychischen Belastungen befreien.

[1] Sure Sâd, 38:44

[2] u.a. Sure Bakara, 2:153

[3] Sure Talak, 65:3; Sure Zumar, 39:36

[4] Sure Bakara, 2:216

[5] Tirmizî, 2396

[6] Buhârî, 1294

[7] Nawawi, 100

[8] Schaybâni, Dschâmi as-Sagîr, 3; Nawawi, 2033

[9] Schaybâni, Dschâmi as-Sagîr, 3, 1274

[10] Sure Schûrâ, 42:43

[11] Sure Anfâl, 8:46; Sure Bakara 2:153

[12] Sure Zumar, 39:10; Buhârî, Marda, 7

[13] Sure Âli Imrân, 3:200

[14] a. a. Sure Talâk, 65:7

[15] Sure Balad, 90:4

[16] Sure Bakara, 2:155

[17] Sure Bakara, 2:185, Sure Scharh, 94:5-6

[18] Al-Munâvî, Fayz al-Kadîr, 6:298; Adschlûni, Kaschf al-Hafâ, 2:21; Nawawi, 62

[19] u. a. Sure Nisâ, 4:78, Ahmed bin Hanbal, 5/367; Al-Albâni, 3859; Buhârî, 1283

[20] Sure Anbiyâ, 21:35; Sure Bakara, 2:214; Sure Mulk, 67:2

[21] Sure Nûr, 24:61; Sure Fath, 48:17

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Genau DAS ist islamische Seelsorge. Deutschland braucht mehr islamische Seelsorger.
29.11.20
16:04
Vera Praunheim sagt:
Die hier angesprochenen Anregungen und "spirituellen Impfstoffe" lassen sich in allen Religionen und Religionsvarianten finden. Für die Bewältigung von Krisensituationen kann man in ausgiebigen Literatur-Angeboten auch anderer Theologien hohe Tugend-Begriffe mit entsprechenden Handlungsempfehlungen und praktischen Beispielen finden. Der Islam hat diesbezüglich kein Alleinstellungsmerkmal, auch wenn das von seinen Anhängern und Förderern immer wieder gerne betont oder herausgestellt wird. Eine menschengerechte und naturentsprechende Lebensweise kann man mit einem Koranbuch führen und auch ohne imamische Anleitung. Der Mensch ist frei geboren und kann sich spirituell "impfen" lassen, so wie er es selber möchte und für sich selber als richtig ansieht. Also islamisch oder auch nicht islamisch. Manche sagen deshalb: "Bitte keine islamischen Impfstoffe". Wahre Göttlichkeit weht wann und wo sie will.
29.11.20
20:53
Hakan Aydin sagt:
Muslime zitieren in ihrem Gebet 40 Mal am Tag; „Dir dienen wir und zu Dir rufen wir um Hilfe.“ (Fatiha 5) Daher ihre letztendliche Erwartungen sind nur von Ihr und wissen, dass sie immer die Beste in ihrem Leben haben, wenn es auch nicht ihre Wünsche immer entspricht. Dazu sagt Allah im Koran: „Aber vielleicht verabscheut ihr etwas, das gut für euch ist. Und vielleicht liebt ihr etwas, das schlecht für euch ist. Allah weiß, ihr aber wißt (es) nicht.“ (Bakara 216)
30.11.20
12:04
Johannes Disch sagt:
--"Ein Impfstoff kann vielleicht den Körper heilen, aber nicht die Seele." (Aus dem Artikel) Sorry, aber das ist spiritueller Nonsens. Der Körper ist unsere Basis. Wenn der nicht funktioniert, dann nimmt auch alles andere Schaden. Die "Seele" ist das Resultat eines komplexen bio-chemischen Wechselspiels. Der Impfstoff ist das Wichtigste, um diese Pandenie zu stoppen. Zuallererst muss der Körper geheilt werden, Natürlich ist nichts einzuwenden gegen spirituelle Unterstützung in so einer Situation. Das bieten übrigens alle Religionen. Aber das alleine würde nicht weiterhelfen.
02.12.20
7:58
Tarik sagt:
"spirituelle Unterstützung" können vielleicht Yoga-Kurse oder Meditationsübungen geben. Aber Gott sei Dank bestimmen nicht engstirnige Soziologen, die an ausschließlich materialistischen Bewusstseinsmodellen krampfhaft festhalten, was eine Religion tatsächlich einem geben kann und was nicht. Mehr noch, solch eine Person weiß es nicht, kann es nicht wissen, denn über jene "Verweigerer der Wahrheit" (das ist die wahre Bezeichnung von "Kafir") ist ein Schleier gelegt, weil er die Fähigkeit im laufe der Jahre, glauben zu können, verloren hat. Muslime, und nicht nur sie, halten auch weiterhin daran fest, dass es im Leben darum geht, zwischen Körper, Ego, Geist und Seele einen Ausgleich zu finden. Wir sind mehr als eine bio-chemisches Wechselspiel von Ursache, Wirkung aus Genen, Hormonen und Neuronen. Dieses Wechselspiel wird nicht geleugnet, man ist jedoch aus theistischer Sicht in der Lage, den reinen Feldforscherblick zu verlassen. Ohne Eschatologie (die Lehre von der letzten Dingen) gibt es nur Skatologie! Freilich ist das die Ansicht eines Gläubigen, und, wie es so schön heißt, "euch euer Glaube, mir meiner".
03.12.20
18:41
Johannes Disch sagt:
@Tarik (03.12.2020, 18:41) Religiöser Glaube unterscheidet sich nicht wesentlich von Yoga oder sonstigen spirituellen Methoden. Die Wissenschaft kann ihre Thesen beweisen; auch die, dass "Geist" (oder "Seele") ein Produkt komplexer neurologischer und bio-chemischer Prozesse ist. Religiöse Menschen hingegen können ihren (Aber)Glauben nicht beweisen. Da hilft auch keiner der klassischen "Gottesbeweise." Jeder dieser "Beweise" setzt voraus, was er eigentlich beweisen müsste. Da kann man rhetorisch noch so geschickt formulieren und pseudo-philosophieren. Gott oder "Allah" bleibt Spekulation. Er ist kein Gegenstand empirischer Wissenschaft. Und jemand, der mit "Gott" "argumentiert", der argumentiert nicht auf Augenhöhe mit der empirischen Wissenschaft. Er spekuliert nur. Ein Schleier über der Erkenntnis liegt also bei religiösen Menschen. Vor allem bei solchen, die nicht in der Lage und nicht willens sind, die Wissenschaft und die Religion zu trennen und anzuerkennen, dass die Wissenschaft Fakten liefert, die Religion aber nur Spekulation.
04.12.20
20:38
Ethiker sagt:
Tarik hat mit all seinen Punkten recht. Herr Disch will oder kann es nicht begreifen wollen.
07.12.20
13:37
Tarik sagt:
Glaube hat nichts mit Wissenschaft zu tun - die Behauptung, "religiöse Menschen könnten das nicht trennen", ist lediglich das: eine Behauptung. Die Geschichte ist voll von gläubigen Individuen, die Beiträge zu wissenschaftlichen Erkenntnissen geliefert haben. Die Idee vom Urknall - die man gerne von radikalatheistischer Seite als "Beweis" für die Überflüssigkeit von Gott anführt - stammt bsp. vom einem christlichen Theologen, dessen Theorie jahrelang nicht ernst genommen wurde, weil sie zu sehr nach "Schöpfungsakt" aussah. Also schuf man den Begriff "spontane Symmetriebrechung" als physikalische Erklärung und das atheistische Gemüt war beruhigt :-) Yoga ist Teil einer Religion, in diesem Fall des Hinduismus. Spritituelle Methoden sind immer Bestandteile des Glaubens, so wie der Tasawwuf (Sufismus) die spirituelle Methode des Islams ist. Aber wie eins Buddha lehrte, ist Meditation ohne Glaube nichts :-). Dass gerade in dieser Hemisphäre eine große Anzahl von Leuten - angesichts voller Psychotherapiepraxen, Burnoutsyndrome oder Mid-Life-Crisis und sonstiger Begleitumstände der Moderne - versuchen, sich Teile aus östlichen Lehren in ihr ansonsten areligiöses Leben zu integrieren, zeigt lediglich, dass Glaube zum Menschsein dazugehört. Das stellen übrigens psychologische Studien der Gegenwart zunehmend fest. Ob es sich dabei um eine "nützliche Illusion" handelt, hängt lediglich vom Blickwinkel des Betrachters ab. Es handelt sich um Glauben, ansonsten hieße es nicht so. Gleichwohl - und das unterscheidet den Qur'an von früheren Offenbarungen - ruft die islamische Offenbarung, nachdem es die Einwände von Nichtgläubigen - der Forderung nach konkreten Beweisen oder Wundern - aufführt, dass der Mensch sich die Schöpfung betrachten soll. Die Göttlichkeit sei überall zu finden für diejenigen, die ihren Verstand gebrauchen. Die Wissenschaft kann ihre Thesen beweisen; auch die, dass "Geist" (oder "Seele") ein Produkt komplexer neurologischer und bio-chemischer Prozesse ist. Religiöse Menschen hingegen können ihren (Aber)Glauben nicht beweisen. Da hilft auch keiner der klassischen "Gottesbeweise." Jeder dieser "Beweise" setzt voraus, was er eigentlich beweisen müsste. Da kann man rhetorisch noch so geschickt formulieren und pseudo-philosophieren. Gott oder "Allah" bleibt Spekulation. Er ist kein Gegenstand empirischer Wissenschaft. Und jemand, der mit "Gott" "argumentiert", der argumentiert nicht auf Augenhöhe mit der empirischen Wissenschaft. Er spekuliert nur. Ein Schleier über der Erkenntnis liegt also bei religiösen Menschen. Vor allem bei solchen, die nicht in der Lage und nicht willens sind, die Wissenschaft und die Religion zu trennen und anzuerkennen, dass die Wissenschaft Fakten liefert, die Religion aber nur Spekulation. Die Wissenschaft beschreibt das wie, nicht mehr und nicht weniger. Beispiel: Ein wirklicher Rationalismus, d.h. Ehrfurcht vor den Wundern des 'Aql, beinhaltet auch den Glauben an ein angeborenes Wissen, da die Sinneserfahrungen nicht ausreichen, um zu erklären, wie wir bestimmte Dinge erlernt haben. Es gibt bestimmte Wahrheiten wie z.B. die mathematischen, die wir als intuitiv und in einem angeborenem Wissen verwurzelt empfinden. Ein Ball bsp., der durch die Luft fliegt, reagiert auf die Kraft des Werfers und in die Richtung, in die er geworfen wurde, auf die Schwerkraft, die Reibung der Luft, gegen deren Überwindung er seine Energie einsetzen muss, auf die Luftturbulenzen um seine Oberfläche und auf die Schnelligkeit und Richtung seines Dralls. Und doch würde jemand, dem es schwerfiele bewusst auszurechnen, wie viel 5 x 6 x 7 ist, keine Schwierigkeiten haben, Differentialrechnungen und eine ganze Reihe verwandter Berechnungen in einer so erstaunlichen Geschwindigkeit durchzuführen, dass er tatsächlich den Ball im Fluge fangen kann. Leute, die so etwas "Instinkt" nennen, geben dem Phänomen lediglich einen Namen, sie erklären jedoch nichts. Und so wie mathematisches Denken a priori ist, ist offenbar - das zeigen Studien an Kindern - ethisches Denken ebenso bereits in uns gegeben zu sein. Sokrates lehrte einst, dass alles Wissen letztlich nur ein Erinnern ist und jene Erinnerung - Dhikr - ist sowohl die Rolle des Qur'ans als auch Muhammads (a.S.), der deshalb als "Mudhekkir" im Qur'an bezeichnet wird: als jemand, der in Erinnerung ruft. An das, was zum Menschsein dazugehört, jedoch im Laufe des Lebens wie ein Schleier über ihn lebt. Insofern ist es natürlich klar, dass man zum Glauben auch die Fähigkeit (wieder) erlernen muss, ansonsten befindet man sich in einem letztlich verkrampften und engstirnigen Szientismus.
08.12.20
17:18
Tarik sagt:
Glaube hat nichts mit Wissenschaft zu tun - die Behauptung, "religiöse Menschen könnten das nicht trennen", ist lediglich das: eine Behauptung. Die Geschichte ist voll von gläubigen Individuen, die Beiträge zu wissenschaftlichen Erkenntnissen geliefert haben. Die Idee vom Urknall - die man gerne von radikalatheistischer Seite als "Beweis" für die Überflüssigkeit von Gott anführt - stammt bsp. vom einem christlichen Theologen, dessen Theorie jahrelang nicht ernst genommen wurde, weil sie zu sehr nach "Schöpfungsakt" aussah. Also schuf man den Begriff "spontane Symmetriebrechung" als physikalische Erklärung und das atheistische Gemüt war beruhigt :-) Yoga ist Teil einer Religion, in diesem Fall des Hinduismus. Spritituelle Methoden sind immer Bestandteile des Glaubens, so wie der Tasawwuf (Sufismus) die spirituelle Methode des Islams ist. Aber wie eins Buddha lehrte, ist Meditation ohne Glaube nichts :-). Dass gerade in dieser Hemisphäre eine große Anzahl von Leuten - angesichts voller Psychotherapiepraxen, Burnoutsyndrome oder Mid-Life-Crisis und sonstiger Begleitumstände der Moderne - versuchen, sich Teile aus östlichen Lehren in ihr ansonsten areligiöses Leben zu integrieren, zeigt lediglich, dass Glaube zum Menschsein dazugehört. Das stellen übrigens psychologische Studien der Gegenwart zunehmend fest. Ob es sich dabei um eine "nützliche Illusion" handelt, hängt lediglich vom Blickwinkel des Betrachters ab. Es handelt sich um Glauben, ansonsten hieße es nicht so. Gleichwohl - und das unterscheidet den Qur'an von früheren Offenbarungen - ruft die islamische Offenbarung, nachdem es die Einwände von Nichtgläubigen - der Forderung nach konkreten Beweisen oder Wundern - aufführt, dass der Mensch sich die Schöpfung betrachten soll. Die Göttlichkeit sei überall zu finden für diejenigen, die ihren Verstand gebrauchen. Die Wissenschaft beschreibt das wie, nicht mehr und nicht weniger. Beispiel: Ein wirklicher Rationalismus, d.h. Ehrfurcht vor den Wundern des 'Aql, beinhaltet auch den Glauben an ein angeborenes Wissen, da die Sinneserfahrungen nicht ausreichen, um zu erklären, wie wir bestimmte Dinge erlernt haben. Es gibt bestimmte Wahrheiten wie z.B. die mathematischen, die wir als intuitiv und in einem angeborenem Wissen verwurzelt empfinden. Ein Ball bsp., der durch die Luft fliegt, reagiert auf die Kraft des Werfers und in die Richtung, in die er geworfen wurde, auf die Schwerkraft, die Reibung der Luft, gegen deren Überwindung er seine Energie einsetzen muss, auf die Luftturbulenzen um seine Oberfläche und auf die Schnelligkeit und Richtung seines Dralls. Und doch würde jemand, dem es schwerfiele bewusst auszurechnen, wie viel 5 x 6 x 7 ist, keine Schwierigkeiten haben, Differentialrechnungen und eine ganze Reihe verwandter Berechnungen in einer so erstaunlichen Geschwindigkeit durchzuführen, dass er tatsächlich den Ball im Fluge fangen kann. Leute, die so etwas "Instinkt" nennen, geben dem Phänomen lediglich einen Namen, sie erklären jedoch nichts. Und so wie mathematisches Denken a priori ist, ist offenbar - das zeigen Studien an Kindern - ethisches Denken ebenso bereits in uns gegeben zu sein. Sokrates lehrte einst, dass alles Wissen letztlich nur ein Erinnern ist und jene Erinnerung - Dhikr - ist sowohl die Rolle des Qur'ans als auch Muhammads (a.S.), der deshalb als "Mudhekkir" im Qur'an bezeichnet wird: als jemand, der in Erinnerung ruft. An das, was zum Menschsein dazugehört, jedoch im Laufe des Lebens wie ein Schleier über ihn lebt. Insofern ist es natürlich klar, dass man zum Glauben auch die Fähigkeit (wieder) erlernen muss, ansonsten befindet man sich in einem letztlich verkrampften und engstirnigen Szientismus.
08.12.20
17:20
Johannes Disch sagt:
@Tarik -- Die Wissenschaft beschreibt das Wie, nicht mehr und nicht weniger (Tarik) Falsch. Die Wissenschaft beschreibt nicht nur. Sie erklärt, weshalb etwas passiert, nämlich aufgrund physikalischer und chemisch-biologischer Gesetzmäßigkeiten. Warum fällt ein Ball, der in die Luft geworfen wird, wieder zurück auf die Erde? Wegen der Schwerkraft. -- "Ein wirklicher Rationalismus...beinhaltet auch den Glauben." (Tarik) Ebenfalls falsch und der hilflose Versuch, Glauben mit Vernunft in Einklang zu bringen. Glaube und Rationalismus in einem Atemzug zu nennen ist so sinnfrei wie Formulierung "freie Diktatur." Der religiöse Glaube ist kein Gegenstand der empirischen Wissenschaft.
11.12.20
18:30
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