Moscheen sind keine Orte der Radikalisierung. Das sagen Studien. Doch müssen Muslime nach Anschlägen mit den Folgen der Taten anderer leben. Wie gehen islamische Religionsgemeinschaften mit diesen Debatten um? Ein Überblick.
Erneut stehen Muslime unter Generalverdacht. Nach den jüngsten Terroranschlägen werden von Muslimen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Maßnahmen zur Extremismusprävention gefordert. So wurden in Österreich mehrere Moscheen geschlossen. Zudem soll ein Strafbestand „politischer Islam“ eingeführt werden.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte angekündigt, den „radikalen Islamismus“ dort zu bekämpfen, wo junge Menschen in seine Fänge geraten – in Moscheen, außerhalb der Schule oder im Internet. Hierzu forderte Macron die Etablierung einer Imamausbildung in Frankreich und die Ausarbeitung einer Charta der republikanischen Werte. Die Charta soll darauf hinweisen, dass der Islam in Frankreich eine Religion und keine politische Bewegung ist.
Für den Pressereferenten des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), Erol Pürlü, sei es eine Selbstverständlichkeit, dass islamische Religionsgemeinschaften Gewalt ablehnen und dies verurteilen. Dazu brauchten sie nicht aufgefordert zu werden. Jedoch: „Distanzierungsforderungen sind vorurteilsbehaftet, da sie eine gewisse Nähe zu Gewalt implizieren und Muslime auffordern, sich von Gewalt zu distanzieren, obwohl sie diese Gewalt ablehnen“, erklärt Pürlü Anfrage auf IslamiQ.
Diverse Studien zeigen, dass die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher unterschiedliche Ursachen haben wie soziale Probleme oder Ausgrenzungs- bzw. Diskriminierungserfahrungen haben können. Zudem wird belegt, dass die Radikalisierung außerhalb der Moschee stattfindet, beispielsweise über soziale Medien und an anderen Orten. „Diese Tatsache ist in der öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion unumstritten. Dennoch gibt es Menschen, die an ihren Vorurteilen gegenüber dem Islam, Muslimen und Moscheen festhalten“, so Pürlü abschließend.
Für den Generalsekretär des Islamrats, Murat Gümüş, ist es ein Rätsel, wie man trotz zahlreicher Studien zu dem Schluss kommen kann, dass Moscheen der Grund für die Radikalisierung von Jugendlichen seien. „Fakt ist doch, dass sich problematische Jugendlichen nicht in den Moscheen der etablierten islamischen Religionsgemeinschaften radikalisieren, diese ja noch nicht einmal aufsuchen“, erklärt Gümüş. Doch sehe er es als Pflicht, diese Jugendliche zu erreichen und sich ihrer Probleme und Sorgen anzunehmen.
Verschiedene Faktoren spielen laut Gümüş bei der Radikalisierung eine wichtige Rolle. „Angefangen bei persönlichen Lebensbrüchen bzw. größere persönliche Krisen, die nicht verarbeitet werden, der Verlust einer wichtigen Person, das Fehlen einer Vaterfigur oder eine dauernde Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation“. Imame, die laut Gümüş seitens der Muslime unabhängig der Forderungen der Politik ausgebildet werden, spielen hierbei eine wichtige Rolle. „Allerdings ist eine Imamausbildung in Deutschland nicht als eine Art Allheilmittel und der Imam als absoluter Allrounder zu sehen, der jetzt alle Probleme beseitigen soll“, so Gümüş weiter. Denn ein Imam könne keine intakte Familie ersetzen.
„Die Forderungen nach Distanzierung sind nicht nachvollziehbar. Denn jede Distanzierung setzt voraus, dass es eine Nähe gibt“, sagt Gümüş. Muslime stellen sich die Frage, warum man sich von einem Attentäter oder seinem Anschlag distanzieren soll, wenn man doch überhaupt keine Nähe zu ihnen habe. „Muslime zeigen ihre Haltung zum gesellschaftlichen Leben Tag für Tag: auf der Arbeit, in der Schule, im Verein, in der Nachbarschaft usw. und das häufig auch aus einer religiösen Motivation heraus. Deutschland mit allem, was dazu gehört, ist für sie Heimat“, so Gümüş abschließend.
„Moscheen sind und waren keine Bezugspunkte von Radikalen“, erklärte DITIB-Generalsekretär Abdurrahman Atasoy gegenüber IslamiQ. Es seien gerade die Moscheen, die gemieden werden, weil sie vermeintlich irregeleitet seien. „Die Radikalen organisieren sich außerhalb muslimischer Strukturen und bilden eine eigene, verschlossene Subkultur, in der radikales Gedankengut gepredigt wird. Häufig sind dies sozusagen Dependancen der Internet-Moscheen, um dem ganzen einen Raum zu geben“, so Atasoy weiter.
Die umstrittenen Moscheeschließungen beschreibt Atasoy als Symbolpolitik. Die Politik möchte den Eindruck vermitteln, man habe alles im Griff. „Die Wahrheit ist ja, dass es erneut – wie in so vielen Fällen – eine Reihe von Fehlern der Sicherheitsbehörden war, die den Terror erst möglich machten“, betont Atasoy.
Nach Anschlägen wie in Wien oder Nizza müssen Muslime mit den Folgen der Taten Einzelner leben. Oft werden Distanzierungsforderungen erhoben. „In einer Realität, in der Terroristen ihre Verbrechen islamisch zu überschminken versuchen, ist es uns eine Pflicht, richtigzustellen, wer Muslime wirklich sind und woran sie wirklich glauben“, erklärt Atasoy abschließend. Dies sei Aufgabe der islamischen Religionsgemeinschaften.
Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime (ZMD), Abdassamad El Yazidi, sieht Defizite in den Bildungsprogrammen der islamischen Religionsgemeinschaften. „Wir müssen eingestehen, dass wir viele Jugendliche mit unserer Ansprache und unseren immunisierenden Bildungsprogrammen in unseren Moscheen nicht erreichen und sie dadurch zur leichten Beute von radikalen Predigern werden“, erklärt El Yazidi auf Anfrage von IslamiQ.
Die Behauptung, dass Moscheen Orte der Radikalisierung sind, kritisiert er. „Die Stellen, die entgegen wissenschaftlicher Studien so etwas behaupten, haben in erster Linie muslimfeindliche Beweggründe und wollen die Gesellschaft spalten. Kritik sei willkommen, jedoch müsse dies fundiert und wissenschaftlich untermauert werden, sonst führe sie zur Hetze.
„Die Moscheen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sind keine Orte der Radikalisierung. Man kann nicht ausschließen, dass bereits radikalisierte Gruppen sich eigene Räumlichkeiten anmieten um da, unter sich, ihre Ansichten zu leben“, erklärt Dr. Nadim Mazarweh, IGGÖ-Zuständiger für Extremismusprävention und Deradikalisierung. Moscheeschließungen seien für die IGGÖ nicht selten ein populistisches Mittel, um „schnell etwas liefern zu können“. „Menschen, die dort hingehen werden sich selbstverständlich anders verteilen und nicht einfach verschwinden“, so Mazarweh. Aus diesem Grund müssen Moscheeschließungen genau überprüft werden, da sie eine massive Einschränkung der Religionsfreiheit darstellen.
Nadim Mazarweh sei aufgrund des starken Anstiegs antimuslimischer Übergriffe nach dem Anschlag in Wien sehr besorgt. „Die Reaktionen in der Politik auf den schrecklichen Anschlag vom 2. November sind unter anderem auch sehr zurückweisend gewesen und haben Gräben vertieft und muslimische Bürgerinnen und Bürger nicht selten verschreckt. Es ist dringend nötig, dies zu beenden“, sagt Mazarweh abschließend.