EU-Staaten dürfen nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bei rituellen Schlachtungen eine Betäubung der Tiere vorschreiben. Wie sieht die aktuelle Rechtslage in Deutschland aus? Ein Gastbeitrag von Şeyma Güney.
In Deutschland ist das Schlachten ohne Betäubung grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme von diesem Schächtverbot ist nach Paragraph 4 a II Nr.2 Tierschutzgesetz möglich. Hiernach darf die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung erteilen, wenn der Antragsteller es geltend macht, dass sein Glaube das Schächten vorschreibt oder den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagt.
Die Geburtsstunde des bundesweiten Streits über das Schächten ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht vom 15.06.1995. Die Klägerin, die ihre muslimischen Kunden mit Fleisch- und Wurstwaren beliefern wollte, begehrte eine Ausnahmegenehmigung nach dem Tierschutzgesetz für das Schächten. Da bei einer vorherigen Betäubung nicht erschließbar sei, ob das Tier noch lebt, sei die Betäubung nicht mit den Vorschriften des Islams vereinbar.
Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich in seiner Entscheidung darauf, dass keine zwingenden Vorschriften des Islams ersichtlich seien, die den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten, da im Islam unterschiedliche Ansichten zu dieser Thematik vertreten werden. Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich in seiner Entscheidung auf Meinungen mancher islamischer Gelehrter, die in nichtmuslimischen Ländern von einem Schächten absehen. Ist solch eine Argumentation jedoch mit der verfassungsrechtlich garantierten Religionsfreiheit vereinbar?
Bei dem o. g. Anliegen des Antragstellers handelte es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr um eine individuelle Glaubensüberzeugung, die für eine Ausnahmegenehmigung nicht ausreiche und somit der Tierschutz überwiege. Diese Ansicht wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2002 zwar entschieden, dass die in § 4 a II Nr.2 TierSchG verankerte Ausnahmegenehmigung allgemein mit der Religionsfreiheit aus Art.4 II GG vereinbar sei, aber die Anwendung des Gesetzes im konkreten Fall verfassungswidrig und somit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 verfassungswidrig war.
Dies bedeutet also, dass die von § 4 a II Nr.2 TierSchG geforderte Ausnahmegenehmigung insgesamt keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Religionsfreiheit aus Art.4 GG darstellt.
Art.4 GG schützt als einheitliches Grundrecht die Freiheit des Glaubens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sowie das Recht auf ungestörte Religionsausübung.
Zu entscheiden war in der Hinsicht, ob die Religionsfreiheit als schrankenloses Grundrecht durch einen Genehmigungsvorbehalt einschränkbar ist. Um also entscheiden zu können, ob § 4 a II Nr.2 TierSchG verfassungsgemäß ist, hat sich das BVerfG mit den 2 Tatbestandsmerkmalen „Religionsgemeinschaft“ und „zwingende Vorschrift“ näher beschäftigt.
Letztendlich ist das BVerfG zu dem Schluss gekommen, dass die Begriffe nicht mehr zu eng ausgelegt werden dürfen. Hiernach müssten auch die verschiedenen Meinungsgruppen innerhalb des Islams als Religionsgemeinschaft angesehen werden.
Hiermit hat das Bundesverfassungsgericht also deutlich gemacht, dass der Staat nicht einseitig entscheiden darf, ob das Schächten zwingend vorgeschrieben ist. Der Antragsteller muss beweisen, dass innerhalb seiner Religionsgemeinschaft Ansichten vertreten werden, die das Schächten als verpflichtendes Gebot ansehen. Folglich war sowohl die Ablehnung der Ausnahmegenehmigung durch die zuständige Behörde, als auch die Bestätigung dieser Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 1995 verfassungswidrig. Auch die Einführung des Tierschutzes in Art. 20 a GG ändert nicht die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts