Einem Zwischenbericht der Untersuchungskommission zum Wiener Terroranschlag zufolge hat der Verfassungsschutz schwere Fehler einzuräumen.
Das Justizministerium und das Innenministerium haben am Mittwoch einen ersten Bericht der Untersuchungskommission zum Wiener Terroranschlag veröffentlicht. Die Kommission stellte fest, dass die Verfassungsschutzbehörde vor dem Angriff am 2. November schwerwiegende Fehler gemacht hat.
Der das Innenressort betreffende Teil sei aus nachrichtendienstlichen Gründen nicht ganz veröffentlicht worden, so der Generalsekretär des Ministeriums, Helmut Tomac. Den veröffentlichten Passagen nach sind allerdings schwerwiegende Versäumnisse des Verfassungsschutzes im Umgang mit dem späteren Attentäter offensichtlich.
Im Dezember 2019 wurde der Angreifer vorzeitig bedingt aus einer 22-monatigen Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung entlassen. Er habe sich dem „IS“ anschließen wollen. Vom Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) wurde er für eine Risikoeinschätzung vorgesehen. Diese wurde allerdings erst am 11. September 2020 vorgelegt, musste nachgebessert werden und wurde erst knapp vier Wochen vor dem Anschlag abgeschlossen. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt wurde der Attentäter von einem „moderaten Risiko“ auf ein „hohes Risiko“ hochgestuft.
„Dass eine Erstbewertung fast zehn Monate dauert, erscheint nicht akzeptabel.“, so das Fazit der Kommission. Seitens des LVT wurde die lange Dauer gegenüber der Untersuchungskommission mit Ressourcenknappheit und Zeitmangel erklärt. Den deutschen Verfassungsschützern sei bekannt gewesen, dass sich der 20-Jährige Mitte Juli mit deutschen und Schweizer Terroristen mehrfach in Wien traf. Zudem wurde eine Observation der Gruppe durch heimische Beamte veranlasst. Allerdings war dem für die operative Gefahrenabwehr zuständige Wiener LVT die Gefahr dieser Begegnung nicht bewusst.
Es habe sich tatsächlich um eine „durchaus als anschlagsbereit eingeschätzte Terrorzelle“ gehandelt“, heißt es in dem Bericht der Untersuchungskommission. Einem LVT-Mitarbeiter sei es klar gewesen, dass es sich um eine „hochgefährliche Terrorzelle“ handle. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe ihn laut Bericht jedoch „nachdrücklich zum Schweigen verpflichtet“. Das BVT bestreitet dies.
Ein weiteres fatales Versäumnis sei außerdem die Rücksicht auf eindeutige Hinweise der slowakischen Behörde. Diese hatte gemeldet, dass der 20-Jährige am 21. Juli 2020 versucht hatte, in Bratislava Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen. Diese Information wurde nur verzögert an das LVT weitergeleitet. Eindeutig identifiziert wurde der spätere Attentäter aus Sicht des BVT erst im Oktober.
Ein LVT-Mitarbeiter erkannte laut Kommission eine „bedenkliche Verdichtung von Hinweisen“. Seine Anregung, Maßnahmen nach dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz zu ergreifen, sei von seinen Vorgesetzten und dem BVT jedoch nicht aufgegriffen wurde. Von der Untersuchungskommission wird außerdem bemängelt, dass die Staatsanwaltschaft keine Kenntnis von den Vorgängen um den 20-Jährigen und dessen versuchtem Munitionskauf erlangte.
Durch den Bericht fühlt sich die SPÖ in ihrer Kritik am BVT bestätigt. „Das BVT hat schleppend gearbeitet, die Kommunikation zwischen den Behörden scheint nicht zu funktionieren, die Gefährdungslage durch den Täter wurde falsch eingestuft und aus der Evidenz nicht die richtigen Schlüsse gezogen“, so SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. Der Bericht zeige das Bild eines nicht funktionalen BVT, der seit Jahrzehnten unter ÖVP-Ministern gearbeitet hat. Trotz großer Ankündigungen von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) habe sich an dieser Situation offenbar nichts geändert, so Einwallner.
Das BVT sei „Kristallisationspunkt des Versagens im Vorfeld des grausamen Attentats“, heißt es seitens des FPÖ-Sicherheitssprechers Hannes Amesbauer. Das Amt sei offenbar nicht einmal willens und in der Lage, andere Behörden des BMI über brisante Gefahren zu informieren. „Auch wenn sich Innenminister Nehammer für die Arbeit des BVT offensichtlich wenig interessiert hat und daher nun behauptet, über den späteren Attentäter nichts gewusst zu haben, ist er für dieses tödliche Versagen politisch verantwortlich. Die einzig richtige Konsequenz ist sein Rücktritt.“