Deutschland hat ein Problem mit Rassismus. Die wenigsten Menschen sehen sich aber selbst als Rassisten, doch die Diskriminierung zeigt sich oft subtil, wie eine 3sat-Dokumentation zeigt.
Menschen mit dunklerer Hautfarbe erzählen oft, wie geschockt sie waren, als sie zum ersten Mal an Fragen und Reaktionen der anderen merkten, dass sie für manche Menschen „anders“ wirken und nicht automatisch als Teil der deutschen Gesellschaft betrachtet würden. Um subtilen Rassismus, festsitzende Vorurteile und die Frage, wie diese sich zeigen, geht es in der Dokumentation „Die Macht der Vorurteile. Rassismus bewusst verlernen!“ von Denise Dismer und John A. Kantara.
Rassistische Denkmuster werden wie andere kulturelle Verhaltensmuster sehr früh eingeübt und durch die Medien verstärkt, erzählen Dismer und Kantara. Doch weil Rassismus gelernt sei, könne er auch wieder verlernt werden, hoffen sie. Im Sport etwa seien Diskriminierungen weit verbreitet.
Der afrodeutschen Hannoveranerin und Sportsoldatin Carlotta Nwajide, Europameisterin im Doppelzweier, zum Beispiel begegnet Rassismus überall. Die 25-Jährige rudert für Deutschland an der Weltspitze. Nach ihrem Sieg bei der deutschen Meisterschaft habe ein Trainer ihren Sieg mit den Worten kommentiert, „er kann sich gar nicht vorstellen, dass das N-Wort auch rudern kann“, erzählt Nwajide empört.
Doch es ändert sich etwas, zeigen Dismer und Kantara weiter. Sie interviewen Karim Fereidooni, Soziologe an der Ruhr Universität Bochum. Immer mehr Schwarze oder „Person of Color“ – wie eine leicht eingedeutschte Fassung von „People of Color“ lautet – protestierten, so Fereidooni. Ausgelöst durch die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA gingen sie im Sommer 2020 auch in Deutschland auf die Straße und forderten eine Diskussion über strukturellen Rassismus.
Fereidooni berät auch das Bundesinnenministerium zu antimuslimischem Rassismus. Die Dokumentarfilmer begleiteten ihn zu einem Gespräch mit Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Dabei ging es um die Frage, warum bei Kontrollen vorwiegend „muslimisch aussehende“ Personen herausgegriffen würden.
Mertens stellt sich dem IAT, dem Impliziten Assoziationstest, aus den USA, um festzustellen, wie es um seine eigenen Vorurteile bestellt ist. Der Test, so demonstrieren die Sozialpsychologinnen Juliane Degner und Iniobong Essien von der Universität Hamburg anschaulich, untersucht die Frage, warum die Getesteten zwar immer weniger rassistische Einstellungen äußerten, die Diskriminierung in der Praxis aber bestehen bleibe.
Mertens Testergebnis bescheinigte ihm „starke automatische Bevorzugung von Weißen gegenüber Schwarzen“, Fereidooni eine „mittlere automatische Bevorzugung von Weißen“ und selbst der Ruderin Nwajide eine „mittlere Bevorzugung von Weißen“. Sie habe sich das Ergebnis nicht gewünscht, kommentiert sie, aber sie sei auch nicht überrascht. Sie möchte als schwarze Frau „einfach die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben wie weiße Menschen“. Es gehe nicht darum, diesen etwas wegzunehmen; um aber Gleichheit zu erreichen, müssten Weiße „auf einen Teil ihrer Privilegien verzichten“. Alle müssten „vom gleichen Punkt“ und „auf einer Ebene“ starten.
Wie sich die subtilen Vorurteile in der Gesellschaft offenbaren, zeigen Dismer und Kantara noch auf weiteren Gebieten: Die Bildersuche bei Twitter und Google zum Beispiel bevorzugt weiße Menschen. Und die Automaten der Bundesdruckerei scheitern bislang daran, biometrische Fotos von Schwarzen zu erstellen. Noch problematischer sei die Diskriminierung in der Medizin. Viele Krankheiten würden „People of Color“ später diagnostiziert; sie erhielten niedriger dosierte Schmerzmedikamente und würden ärztlich weniger gut betreut, wie auch die aktuelle Covid-19-Pandemie zeige.
Insgesamt präsentieren Dismer und Kantara eine nachdenkenswerte Dokumentation. Sie lässt erahnen, wie lang der Weg der Annäherung zwischen Menschen mit verschiedenen Hautfarben noch sein kann. Im Anschluss diskutiert Gert Scobel um 21.00 Uhr ebenfalls das Thema Vorurteile und Rassismus. (KNA/iQ)