Teilhabelücke

Studie: Menschen mit Migrationshintergrund sind seltener politisch aktiv

Laut dem SVR-Integrationsbarometer 2020 beteiligen sich Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt seltener politisch und zivilgesellschaftlich. Das fehlende Engagement beeinflusst die politische Teilhabe bei Wahlen.

11
03
2021
Studie Wahlzettel Bundestagswahl
Wahlzettel, Bundestagswahl © by Awaya Legends auf Flickr (CC BY-2.0), bearbeitet islamiQ

Eine neue Auswertung des SVR-Integrationsbarometers 2020 zeigt: An der Bundestagswahl 2017 haben sich nach eigenen Angaben deutlich weniger Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund beteiligt als Wahlberechtigte ohne Migrationshintergrund. Auch beim zivilgesellschaftlichen Engagement – z. B. der Mitgliedschaft in gemeinnützigen Organisationen oder Vereinen – zeigt sich eine Teilhabelücke. Allerdings weisen in Deutschland geborene Nachkommen von Zugewanderten vergleichsweise hohe Engagementquoten auf.

Nach eigenen Angaben haben 65 Prozent der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund bei der Bundestagswahl 2017 ihr Kreuz gemacht; das sind gut 20 Prozentpunkte weniger als bei jenen ohne Migrationshintergrund (rund 86 Prozent).

Die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Petra Bendel, hebt hervor, dass die Frage der gesellschaftlichen Integration nicht auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem verengt werden sollte. „Kulturelle, politische und zivilgesellschaftliche Dimensionen der Integration sind für die subjektiv wahrgenommene Teilhabe und das damit verbundene Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft ebenfalls von zentraler Bedeutung. Zugewanderte insbesondere der ‚zweiten Generation‘ sind in den vergangenen Jahrzehnten in wachsendem Maße in Politik und Gesellschaft aktiv und sichtbar geworden – aber ihre Teilhabe ist in vielen Bereichen noch ausbaufähig.“

Unter den Befragten mit Migrationshintergrund sind nur rund 10 Prozent außerhalb von Wahlen politisch aktiv, etwa durch die Unterstützung von Petitionen oder die Teilnahme an politischen Diskussionen oder Demonstrationen. Deutlich höher ist die Quote bei in Deutschland geborenen Nachkommen von Zugewanderten: Von ihnen sind gut ein Fünftel (20,8 Prozent) außerhalb von Wahlen politisch aktiv, das entspricht fast dem Anteil der Menschen ohne Migrationshintergrund (24,2 Prozent).

Zivilgesellschaftliches Engagement beeinflusst politische Teilhabe

Die Studie widmet sich auch den Faktoren, die politische Partizipation begünstigen oder fördern können. Hier werden insbesondere die Zusammenhänge zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und der politischen Partizipation – sei es durch Wahlteilnahme oder auf andere Art – untersucht. Dabei zeigt sich: Wer zivilgesellschaftlich engagiert ist, geht – sofern sie oder er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt – mit höherer Wahrscheinlichkeit wählen oder beteiligt sich anderweitig politisch, insbesondere wenn das Engagement formalisiert (also vereinsgebunden) ist und regelmäßig bzw. sogar in verschiedenen Kontexten stattfindet.

Für Prof. Bendel gelte grundsätzlich gilt: „Wer sich zivilgesellschaftlich engagiert, ist auch politisch aktiver. Wir raten der Politik und den Akteuren der Zivilgesellschaft, dies im Interesse der demokratischen Bürgergesellschaft und des sozialen Zusammenhalts im Rahmen der politischen Bildung, der Integrationspolitik sowie der Engagementpolitik zu berücksichtigen. Beispielsweise könnte eine weitere Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes hilfreich sein, nicht zuletzt weil die Bereitschaft zu freiwilligem Engagement unter den Menschen mit Migrationshintergrund sogar höher ist als bei der restlichen Bevölkerung.“

Muslime rufen zur Wahl auf

Am Sonntag finden die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Kommunalwahlen in Hessen statt. Muslimische Vertreter rufen die Bevölkerung dazu auf, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. „Das Wahlrecht ist für alle Bürgerinnen und Bürger eine Chance für Demokratische Partizipation und politische Mitgestaltung des öffentlichen Lebens am eigenen Wohnort“, erklärt Ibrahim Gülsever, Vorsitzender des Islamrats für das Land Hessen, anlässlich der bevorstehenden Wahlen.

Die Teilnahme an den Kommunalwahlen sei unter anderem für die Widerspiegelung der gesellschaftlichen Vielfalt in kommunalen Strukturen und Prozessen des unmittelbaren Lebensumfeldes bedeutsam. Gleichzeitig verhindere sie auch, dass rechtpopulistische Parteien in den Kommunen erstarken. „Jede Stimme in den Kommunalwahlen ist daher vor allem eine Stimme gegen Rechtspopulismus und -extremismus“, so Gülsever weiter.

Leserkommentare

Abdussamed sagt:
Muslime sollten der Wahl fernbleiben und versuchen sich in der Community zu vernetzen. Ein einfaches Beispiel zeigt, dass keine der hiesigen Parteien muslimische Interessen vertreten. Bsp. Abstimmung --> Der Bundestag hat am Donnerstag einen Antrag zur Ausweitung des Diskriminierungsschutzes im Kampf gegen den Hass auf Muslime abgelehnt. Die Regierungsfraktion von CDU/CSU und SPD sowie die Fraktionen der FDP und AfD stimmten gegen den von den Linken eingebrachten Vorschlag, der unter anderem Reformen im Antidiskriminierungsgesetz (AGG) forderte. Die Grünen enthielten sich. Da die Linke aufgrund Ihrer ideologischen Nähe zu der PKK auch nicht in Frage kommen sollte, ist denke ich selbsterklärend. Nur wenn die Muslime die Initiative selber in die Hand nehmen und fordern , kann öffentlicher Druck auf die Regierungsparteien aufgebaut werden. Eine politische Partizipation auf dem Wege der Wahlen wäre der falsche Weg. ( Unabhängig von dem islamischen Urteil, ob dies überhaupt zulässig wäre)
12.03.21
21:28
Dilaver Çelik sagt:
@Abdussamed An einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen: Nicht wählen ist keine Lösung. Bei der Wahl geht es für muslimische Wähler (m/w) darum, unter den traditionellen deutschen Parteien das "kleinere Übel" zu wählen. Welche Partei das "kleinere Übel" ist, muss der einzelne Muslim (m/w) mit sich selbst ausmachen. Die AfD, NPD und Republikaner sind es sicherlich nicht. Die Moscheen können zwar zur Wahl aufrufen, als überparteiliche sowie überpolitische Institutionen jedoch keine Wahlempfehlung abgeben. Nicht wählen zu gehen stärkt nur die antimuslimischen Rassisten auf dem rechten Flügel sowie die religionsfeindlichen Marxisten auf dem linken Flügel. Und beide sind für die Muslime (m/w) schlecht. Nicht wählen zu gehen kann mithin NICHT im Interesse der Muslime (m/w) sein.
13.03.21
14:12