DEBATTE

#HandsOffMyHijab – Frankreich streitet über ein Kopftuchverbot

Die Debatte um das Kopftuch in Frankreich reißt nicht ab. Unter dem Hashtag #HandsOffMyHijab hinterfragten zahlreiche Menschen das Vorhaben.

10
04
2021
Muslime in Frankreich Gewand für Schülerinnen
Symbolbild: Frankreich © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Eine Dekade nach dem Verbot der Vollverschleierung in Frankreichs Öffentlichkeit könnten Musliminnen in dem Land bald weitere Einschränkungen treffen. Der Senat als Oberhaus des französischen Parlaments hat unlängst für ein Kopftuchverbot bei Minderjährigen sowie Begleitpersonen auf Schulausflügen gestimmt. In Schwimmhallen soll zudem die Verschleierung in Form eines Burkinis untersagt werden. Endgültig ist diese Regelung aber noch nicht.

Frankreich begreift sich als laizistisches Land, in dem eine strikte Trennung von Staat und Religion herrscht. In dem Land mit seinen rund 67 Millionen Einwohnern leben Schätzungen zufolge zwischen 3,5 und 6 Millionen Muslime. Das Verbot zur Vollverschleierung in der Öffentlichkeit trat am 11. April 2010 in Kraft. Es war die erste derartige Anordnung in einem westlichen Land.

#HandsOffMyHijab

Die neuen Vorstöße des konservativ geprägten Senats zu Kopftuchverboten sind Änderungsanträge am sogenannten Gesetz zur „Stärkung der republikanischen Prinzipien“. Mit dem Gesetz will die Regierung des Präsidenten Emmanuel Macron vor dem Hintergrund von Terroranschlägen gegen „Islamismus“ vorgehen. Dabei geht es etwa um den Kampf von Hass im Netz. Premierminister Jean Castex betont ständig, das Vorhaben richte sich nicht gegen Religion. Amnesty International befürchtet angesichts stigmatisierender Debatten über Muslime und den Islam dennoch eine diskriminierende Anwendung.

Noch sind die Änderungen des Senats aber nicht endgültig. Damit sie am Ende im Gesetz stehen, muss auch die Nationalversammlung grünes Licht geben. Ob das geschieht oder die Vorhaben im mehrheitlich stärker liberalen Unterhaus des Parlaments scheitern, ist noch unklar. Innenminister Gérald Darmanin sprach sich gegen die Verbote aus. Dennoch lösten die vom Senat geplanten Einschränkungen bereits jetzt Empörung aus – auch international. Unter dem Hashtag #HandsOffMyHijab („Hände weg von meinem Hidschab“) hinterfragten zahlreiche Menschen das Vorhaben in den Sozialen Medien. Das Video einer 17-jährigen französischen Muslimin auf der Plattform TikTok, in dem diese vom Votum erzählend ihren Hidschab durch Baseballkappe und Kapuze ersetzt, sahen sich mehr als drei Millionen Menschen an. Auch rund um das Burkaverbot hatte es Kritik gegeben. Eine Französin im Nikab, Kenza Drider, wollte aus Protest sogar bei der Präsidentenwahl 2012 antreten. Ihre Kandidatur wurde allerdings nicht zugelassen.

Kopftuch vielmehr symbolische Bedeutung

Der Streit um das Kopftuch in Frankreich beginnt weit vor dem sogenannten Burkaverbot 2010. Bereits 1994 trat ein Gesetz in Kraft, dass in Schulen nur noch diskrete – nicht aber auffällige – religiöse Symbole erlaubte. Zehn Jahre später wurden Kopftücher in Schulen vollständig verboten – Kippa und Kreuz nicht. Vor zehn Jahren folgte das Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit. Ursprünglich als Teilverbot gedacht, schärfte die damalige konservative Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy nach einer Wahlschlappe bei Regionalwahlen und einem Stimmzuwachs der rechtsextremen Front National (heute: Rassemblement National) nach.

Verstöße gegen das Vollverschleierungsverbot werden mit Geldstrafen geahndet. Bei Mehrfachverstößen droht teils auch der Besuch eines Staatsbürgerkurses. Wie viele Frauen von der Regelung tatsächlich betroffen sind, ist unklar. Forschern zufolge trägt nur ein Bruchteil der Musliminnen in Frankreich überhaupt eine Form der Verschleierung. Das Kopftuch habe vielmehr eine größere symbolische Bedeutung angenommen. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Diese Verbote sind diskriminierend und rassistisch. Die französische Führung muss so lange unter Druck gesetzt werden, bis alle Verbote abgeschafft sind. Andernfalls muss die französische Führung sich die Unterstellung gefallen lassen, ein Terrorregime a la Robespierre 2.0 zu installieren.
11.04.21
2:16
Vera Praunheim sagt:
Nicht vergessen: Es gibt nicht nur den "World Hijab Day". Es gibt auch das Motto und den Schlachtruf "No Hijab Day" um auf die Unterdrückung von Frauen in islamischen Ländern hinzuweisen. Es gibt das Foto einer tapferen iranischen Frau, die ihren Schleier als Protest gegen den obligatorischen Hijab an einem Stock befestigte und dann wie eine Fahne schwenkte. Sicherheitskräfte verhafteten danach sie und die Gruppe junger Menschen, die sie unterstützte. Es gibt auch den Hashtag #FreeFromHijab mit solchen Stellungnahmen: "Der Hijab ist eine Fessel für die Freiheit und die Identität. Er steht für eine altertümliche, arabische Frauenfeindlichkeit und die Versklavung von Frauen und Mädchen." Ensaf Haidar, die Frau des im Namen des Islam verfolgten und ausgepeitschten Bloggers & Freiheitskämpfers Raif Badawi, prangerte mehrfach die islamischen Hijab-Propagandakampagnen an. Auch der Zentralrat der Ex-Muslime ist für "Aufklären statt verschleiern" und organisierte schon mehrere Demos: "Frauenrechte statt Scharia-Unrecht" oder "Anti-Hijab-Demo". Frankreich streitet nicht. Dort betreibt man vielmehr Streitschlichtung und grundsätzliche Problemlösung. Und das ist sehr begrüßenswert.
11.04.21
20:49
Ute Fabel sagt:
Minderjährige dürfen keinesfalls zum bloßen Objekt der Religions- und Weltanschauungsausübung verantwortungsloser Eltern degradiert werden. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor religiösem und weltanschaulichem Missbrauch ist daher etwas, dem sich verantwortungsvolle Staaten unbedingt mit großer Entschlossenheit widmen sollen. Hut ab vor dem französischem Senat! Ich finde es nicht nur abstoßend, wenn ein zehnjähriges Mädchen jeden Tagen in ein Kopftuch gezwängt wird. Dasselbe gilt für mich auch für alle anderen ideologische Kleidungsstücke und Symbole (atheistisches Gottlos-Glücklich-Shirt, kommunistischer Hammer-Und-Sichel-Botton, Burschenschafterschleife). Das ist etwas für Erwachsene und hat sich auf das Privatleben zu beschränken. Das französische Gesetz soll völlig religions- und weltanschauungsneutral ausfallen und diskriminiert niemanden. Auch öffentliche Schwimmbäder sollen vor dem verbohrten Zurschaustellen von ideologischen Dogmatismus verschont bleiben.
12.04.21
8:19
Johannes Disch sagt:
Der Hashtag von Samuel Paty hätte wohl gelautet #HandsOffMyHead", würde er noch leben. Frankreich tut nur, was es seit langem tut: Seinen Laizismus konsequent durchsetzen.
14.04.21
10:18
Wie oft soll der Hijab noch für Symbolpolitik herhalten? sagt:
[…] ein Burka-Verbot für den öffentlichen Raum erlassen. Nun möchte der französische Senat noch einen Schritt weitergehen: Minderjährigen Mädchen und Frauen soll das Tragen eines Hijabs in der Öffentlichkeit untersagt […]
11.05.21
20:01