Zwei Gastarbeiterkinder erfinden einen Corona-Impfstoff: Die Geschichte des Start-ups Biontech rückt Gründer mit Einwanderungsgeschichte in den Fokus. Was treibt diese Gründerszene an – und was steht ihr im Weg? Eine Studie gibt Antworten.
Was haben der Impfstoffhersteller Biontech, der Lebensmittellieferdienst Gorillas und die Reiseplattform Omio gemeinsam? Sie alle kommen aus der Start-up-Szene und wurden von Menschen aus Einwandererfamilien gegründet. Die neue migrantische Gründerszene ist gut ausgebildet, risikobereit und stärkt den Standort Deutschland, wie eine Studie zeigt. Doch der bürokratische Dschungel, Sprachbarrieren und mangelnde Finanzierung machen es Gründerinnen und Gründern mit ausländischen Wurzeln nach wie vor schwer. Branchenvertreter fordern deshalb Erleichterungen.
Rund jedes fünfte Start-up in Deutschland wurde zuletzt von Migranten der ersten oder zweiten Generation gegründet, wie aus einer Sonderauswertung des Deutschen Start-up-Monitors hervorgeht. Der „Migrant Founders Monitor“ des Bundesverbands Deutscher Start-ups und der Friedrich-Naumann-Stiftung analysiert die Lage von 354 Start-ups, die von Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte gegründet wurden.
Demnach bringen vor allem im Ausland geborene Gründer öfter einen Uni-Abschluss mit als der Durchschnitt. Fast jeder Dritte strebt den Verkauf des Start-ups für mindestens 100 Millionen Euro an – im Schnitt planen das nur rund 20 Prozent. Und der hohe Anteil an Gründern mit Migrationserfahrung in der Frühphase des Unternehmensaufbaus spreche für eine aktuell hohe Dynamik, heißt es.
„Menschen mit Migrationshintergrund haben eine überdurchschnittliche Bedeutung für die deutsche Start-up-Szene, nicht nur als Gründerinnen und Gründer sondern auch als Schlüsselbeschäftigte beispielsweise in IT-Start-ups“, sagt die Chefökonomin der staatlichen Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib. Der Co-Vorsitzende des Start-up-Verbands, Christian Vollmann, betont: „Gerade die Bereitschaft, Risiken einzugehen und groß zu denken, sind Dinge, die in Deutschland oft noch fehlen und die wir als Standort im internationalen Wettbewerb brauchen.“
Naren Shaam kommt aus Indien und gründete 2012 in Berlin die Reiseplattform Omio. Den Befund der Studie, dass migrantische Gründer eher risikobereit seien als jene aus Familien ohne Einwanderungsgeschichte, erklärt er mit dem sozialen Sicherheitsnetz in Deutschland. Das sei andernorts, wie etwa in Indien, nicht selbstverständlich und nur den Reichen vorbehalten. „Risiken einzugehen ist also Teil der Kultur“, sagt er. Im vergangenen Sommer sammelte das Unternehmen nach eigenen Angaben 100 Millionen Dollar (83 Millionen Euro) frisches Kapital ein.
Als er nach Deutschland kam, habe er kein Wort Deutsch gesprochen und niemanden gekannt, erzählt Shaam. Grundlegende Dinge, wie ein Bankkonto zu eröffnen, hätten sich angefühlt „wie ein Berg, den du besteigen musst“. Auch die Start-up-Studie nennt bürokratische und sprachliche Hürden als große Herausforderung für Gründer mit ausländischen Wurzeln. Bei vielen Formularen, etwa bei der Unternehmensgründung oder bei Steuerunterlagen, sei Deutsch die einzige Option, sagt Vollmann. Da müsse die Politik ran. „Es muss einfach alles auch auf Englisch zur Verfügung stehen!“
Der Start-up-Beauftragte der Grünen im Bundestag, Danyal Bayaz, sieht auch die Politik stärker in der Pflicht. Wirtschaftlicher Erfolg und Vielfalt seien zwei Seiten derselben Medaille, sagt er. „Dazu braucht es auch mehrsprachige Angebote bei der Beratung und für die Finanzierung.“ Außerdem müsse mehr Sichtbarkeit für erfolgreiche Gründer geschaffen werden.
Gerade die Finanzierung ist für viele Jungunternehmen ein Problem: Mit 1,1 Millionen Euro konnten Gründer aus dem Ausland im Mittel weniger als halb so viel Fremdkapital aufnehmen als im Bundesdurchschnitt (2,6 Millionen). Und die durchschnittliche Mitarbeiterzahl liegt mit 10,2 unter dem Durchschnitt von 14,3. Vielen fehle hierzulande das nötige Netzwerk, sagt Vollmann, der als sogenannter Business Angel selbst in Start-ups investiert. „Da müssen wir als Szene gegensteuern.“
Hinzu kommen mangelnde Kontakte über die Start-up-Szene hinaus. So haben Start-ups laut Studie durchschnittlich sieben Kooperationen mit etablierten Unternehmen – migrantische Gründer der ersten Generation jedoch nur zwei. „Gerade was die Vernetzung von „Migrant Founders“ mit potenziellen Kunden im deutschen Mittelstand angeht, gibt es noch Verbesserungspotenzial“, sagt KfW-Ökonomin Köhler-Geib. Lösungen könnten etwa Netzwerkveranstaltungen oder professionelle Gründerberatungen sein. (dpa/iQ)