In seinem diesjährigen Jahresgutachten gibt der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) Empfehlungen, wie politische Partizipation gestärkt und Teilhabe am Arbeitsmarkt in Deutschland verbessert werden kann.
Anlässlich der anstehenden Bundestagswahl stellt sich die Frage, wie in einer Gesellschaft, die unter anderem durch Migration vielfältiger geworden ist, Chancengleichheit und politische Teilhabe besser realisiert werden können. „Wir wollten wissen, wie diese Vielfalt in Kernbereichen des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland gehandhabt wird und wie die Bevölkerung zu Diversität steht.
Denn obwohl viele Menschen unabhängig von ihrer Herkunft an der Weiterentwicklung der deutschen Gesellschaft mitwirken, gibt es bei der Ausübung von Teilhaberechten und -möglichkeiten unter anderem in Politik, Kultur und auf dem Arbeitsmarkt noch Anpassungsbedarf,“ sagt Prof. Dr. Petra Bendel, Vorsitzende des SVR, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens 2021.
Die Empfehlung des Sachverständigenrats ist deshalb klar: Die Politik muss vermeiden, dass aus Herkunftsunterschieden Teilhabeungleichheiten werden. Im Wahljahr 2021 gelte dies gerade auch für den Bereich der politischen Partizipation. Denn: Der Wahlakt setzt die deutsche Staatsangehörigkeit und auf der kommunalen Ebene die EU-Bürgerschaft voraus.
Inwieweit Zugewanderte am politischen Prozess teilhaben können, hängt also entscheidend davon ab, ob sie sich einbürgern lassen können und wollen. Im Vergleich zu anderen Einwanderungsländern gehen in Deutschland allerdings nur wenige Ausländerinnen und Ausländer diesen Schritt. 2019 waren es zum Beispiel nur 2,5 Prozent derjenigen, die die Voraussetzungen dafür erfüllten. Die rechtlich gegebenen Einbürgerungsmöglichkeiten müssen in der Praxis deshalb mehr genutzt werden, so der SVR. „Viele Länder und Kommunen haben es vorgemacht – mit gezielten Informationskampagnen und der Einführung von festlichen Einbürgerungszeremonien. Damit erhöhen sie die Einbürgerungszahlen und zeigen den Neubürgerinnen und Neubürgern, dass sie zu Deutschland gehören,“ erklärt der stellvertretende Vorsitzende Prof. Dr. Daniel Thym.
Weiter fordert der SVR, dass Parteien stärker auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eingehen und sie besser in Prozesse einbinden – zum Beispiel im Rahmen einer Kandidatur bei Wahlen. Zudem solle die Frage, ob Drittstaatsangehörige ein kommunales Wahlrecht erhalten könnten, verfassungsrechtlich geprüft werden. Über Generationen hinweg zeige sich eine Angleichung in Bezug auf politische Partizipation. „Auch wenn Zugewanderte der ersten Generation sich oft noch zurückhaltend an politischen Prozessen beteiligen, gestalten ihre Kinder die deutsche Gesellschaft bereits entscheidend mit“, stellt die Vorsitzende Petra Bendel fest.
Auf dem Arbeitsmarkt ist der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in den vergangenen Jahren gestiegen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass in bestimmten Schlüsselbereichen – zum Beispiel dem Gesundheitssystem – auf die Mitarbeit von Beschäftigten mit Migrationshintergrund nicht mehr verzichtet werden kann. Mittlerweile haben ein Viertel aller Beschäftigten eine eigene oder familiäre Zuwanderungsgeschichte. „Trotzdem sind viele von ihnen nach wie vor benachteiligt, arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und erzielen im Durchschnitt ein geringeres Einkommen. Aufgrund ihrer Ausbildung oder komplizierten Anerkennungsverfahren können sie oft keine höheren formalen Qualifikationen nachweisen. Hinzu kommen Diskriminierung, fehlende berufliche und soziale Netzwerke oder unzureichende Sprachkenntnisse“, erklärt Bendel.
Während sich einige, vor allem international tätige privatwirtschaftliche Unternehmen um mehr Vielfalt innerhalb ihrer Belegschaft bemühen, hinke der öffentliche Dienst noch hinterher, stellt der SVR fest und empfiehlt mit Hospitationsangeboten, Praktika und entsprechenden Informationsangeboten gezielt Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. Zudem sollten staatlich finanzierte Kultur- und Bildungseinrichtungen weiter geöffnet und zusätzliche Angebote aus Kultur und Zivilgesellschaft finanziell mehr unterstützt werden. So könne der Zugang herkunftsunabhängig gestaltet werden.
Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, gilt inzwischen als allgemein akzeptiert, wie Langzeitdaten zeigen. „Zuwanderung wird verstärkt als Bereicherung empfunden. Ungleichbehandlung aufgrund von Herkunft lehnen die Menschen vermehrt ab“, fasst die Sachverständige Prof. Dr. Claudia Diehl die Untersuchungsergebnisse zusammen. Dennoch gibt es nach wie vor Diskriminierung bspw. auf dem Wohnungs- und Ausbildungsmarkt. Studien belegen dies.
Und auch wenn klassisch rassistische Einstellungen – also die Vorstellung, dass bestimmte Menschen von Natur aus minderwertig seien – kaum mehr auf Zustimmung stoßen, finden subtilere rassistische Aussagen, die auf kulturelle Merkmale zurückgeführt werden, noch Akzeptanz. Hier stellt der SVR einen klaren Forschungs- und Handlungsbedarf fest. Der Staat solle zudem als Vorbild agieren und etwa durch Fortbildungen innerhalb seiner Institutionen stärker für Rassismus und Diskriminierung sensibilisieren.