Warum befürchten viele Musliminnen neue Kopftuchverbote? Experten und Betroffene melden sich zu Wort.
Der Bundestag hat am 22. April ein Gesetz zum „Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten“ angenommen, welches Kopftuchverbote ermöglicht. In der Praxis wird das Gesetz insbesondere Musliminnen treffen, die ein Kopftuch tragen – unabhängig von ihren Qualifikationen und Eignungen.
Bei einem Online-Pressegespräch des Mediendienstes Integration am Donnerstag referierten Expertinnen aus den Universitäten Bremen, Bonn und der Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu diesem Thema. Dabei ging es um die Fragen: Welche juristischen Folgen hat das Gesetz für Musliminnen? Wie lässt es sich mit Blick auf gesellschaftliche Vielfalt und Diskriminierung einordnen? Wie wirkt es sich auf angehende Beamtinnen mit Kopftuch aus?
Maryam Kamil Abdulsalam, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, referierte über die zentralen Schwierigkeiten in der Praxis bezüglich eines Kopftuchverbots. Die Schwierigkeiten würden vor allem darin liegen, dass noch nicht genau absehbar sei, welche konkreten Folgen die neuen Regelungen in der Praxis haben werden. Demnach gebe es zwei zentrale Probleme: Zum einen formuliere das Gesetz eine „Kann-Regelung“. „Es gibt keine Pflicht zum Verbot von Kopftüchern. Die einzelnen Ministerien und Verwaltungen können diese Erscheinungsform verbieten“, so Kamil Abdulsalam. Zum anderen regle das Beamtenstatusgesetz die Verhältnisse für Landesbeamte. „Dabei wirkt die Gesetzesänderung hier einmal als konkrete Verhaltenspflicht. Das heißt, dass der jeweilige Dienstvorgesetzte der örtlichen Behörde sich direkt auf § 34 Beamtenstatus berufen kann, um das Kopftuch in seiner Behörde zu verbieten“, so Kamil Abdulsalam.
Insgesamt komme es auf die Entscheidungen der Ministerien, Landesgesetzgeber und die zukünftige Auslegung des Gesetzes an. „Das rechtsstaatliche Problem, dass sich hieraus ergibt, ist, dass sich für potenzielle Betroffene die Wirkung für ihre eigene Karriereplanung kaum absehbar ist, und dass sich ein extrem großes Feld für willkürliche Entscheidungen im Einzelfall ergibt“, so die Doktorandin . Maryam Kamil Abdulsalam forscht zu Themen des Sicherheits- und Verfassungsrechts sowie Gleichstellung.
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Professorin für das Fachgebiet Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen, stellte die Perspektive bezüglich des Tragens von Kopftüchern im Bereich des Lehramts dar. „Wir bewegen uns jetzt seit 20 Jahren im Thema Kopftuchverbot im Kontext des Lehramts. Alle Studien zu diesem Thema verweisen darauf, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass der Schulfrieden tatsächlich gestört wurde“, erklärt Karakaşoğlu. Weder erachteten nach den Studien Schüler und Schülerinnen das Kopftuch als problematisch, noch sei eine Art „Werbung“ vollzogen worden, die beispielsweise durch die Lehrerin induziert sein könnte. „Es gibt eigentlich überhaupt keinen Sachverhalt, keine Not in dieser Hinsicht eine Verschärfung zu formulieren“, so Karakaşoğlu.
Überraschend sei, dass das neue Gesetz in einem Monat verabschiedet wurde, der von der EU-Kommission als Monat der Vielfalt ausgerufen worden sei. Dass in Deutschland ein solches Gesetz verabschiedet werde, ohne breitere öffentliche Diskussionen, und dass zum Beispiel staatszersetzende, menschenrechtsverachtende Symbole wie bestimmte Formen von Tattoos auf eine Ebene mit dem Kopftuch gestellt werde, die als individuellen Ausdruck einer bestimmten religiösen Orientierung sei, sei besonders überraschend. „Das diskreditiert diese Menschen und das verunsichert in einem hohen Maße angehende Lehrerinnen“, so Karakaşoğlu abschließend.
Die Studentin Rabia Küçükşahin startete eine Petition gegen den neuen Gesetzesentwurf. Die Beamtenschaft müsse laut der Studentin in einer pluralistischen Demokratie die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln. Dies fordere auch der Deutsche Beamtenbund seit Jahren. Das Gesetz würde ermöglichen, Anwärterinnen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft und der Ausdruck dessen durch Bart oder Kopfbedeckung den Zugang zum Beamtenstatus zu verbieten. „Eine solche Diskriminierung ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die seit Jahren eine ausgrenzende Politik betreiben“, so Küçükşahin.
„Ich halte es für höchst problematisch, wenn nun aus Anlass eines Bundesverwaltungsgerichtsurteils in einem Gesetz eine Gleichsetzung von rechtsextremen verfassungsfeindlichen Symbolen mit religiösen Symbolen wie Turban, Kippa, Kopftuch oder dem Habit einer katholischen Ordensfrau stattfindet“, so Küçükşahin abschließend.