Die von der Dokumentationsstelle Politischer Islam präsentierte „Islamlandkarte“ sorgt für Empörung. Muslimische und andere Organisationen sind besorgt.
Eine erstmals erstellte „Islamlandkarte“ von der Universität Wien gemeinsam mit Vertretern der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ und Integrationsministerin Susanne Raab stelle pauschal alle in Österreich lebenden Muslime als potenzielle Gefahr für die Gesellschaft dar, äußert sich die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in einer Mitteilung. Nach Angaben der Dokumentationsstelle solle sie lediglich der sachlichen und kritischen Auseinandersetzung mit muslimischen Vereinen und Moscheen dienen.
„Die seit Gründung der Dokumentationsstelle bestehende Befürchtung der IGGÖ einer politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft hat sich heute bestätigt“, erklärt IGGÖ-Präsident Ümit Vural. Die aktuellen Informationen auf der Landkarte seien „teilweise stark veraltet und unrichtig“. Zudem wurden auch die eingeholten Stellungnahmen der aufgelisteten Kultusgemeinden der IGGÖ nicht berücksichtigt oder eingearbeitet. Demnach dürfe „eine tatsächliche Dialogbereitschaft angezweifelt“ werden.
„Das ist nicht mein Verständnis von Dialogbereitschaft und Austausch auf Augenhöhe. Die seit der Novellierung des Islamgesetzes im Jahr 2015 innerhalb unserer Glaubensgemeinschaft angestoßenen Reformprozesse werden von den politischen AkteurInnen konsequent negiert. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, inwiefern diese Art der Politik zu einer Versachlichung der Debatte oder auch zur Förderung der sozialen Kohäsion beitragen soll. Das vermeintliche Ziel, MuslimInnen dabei zu unterstützen, als Teil der österreichischen Gesellschaft wahrgenommen zu werden, wird durch das Projekt vollkommen konterkariert“, so Vural.
Schließlich befeuere die Kampagne nicht nur den kontinuierlich wachsenden Rassismus gegenüber Muslimen, sondern setze muslimische Bürger einem massiven Sicherheitsrisiko aus. In den vergangenen Stunden hätten sich zahlreiche besorgte Funktionäre, Vereinsvorstände, aber auch einfache Mitglieder der unterschiedlichen muslimischen Communities an die IGGÖ gewandt, deren Namen auf der „Islamlandkarte“ aufscheinen.
Mit Besorgnis nahm auch die ATIB Community die von der Dokumentationsstelle präsentierte Landkarte auf. Damit sei ATIB als größter muslimischer Dachverband in Österreich einem noch größeren Risiko islamophober und feindlicher Übergriffe ausgesetzt. Nach ihr hätten diese Ereignisse aufgrund des politischen Narratives der letzten Jahre ohnehin immens vermehrt.
„Auch die vermeintliche Dialogbereitschaft der Studienautoren ist in keiner Weise nachvollziehbar, denn dies würde bedeuten, dass eben jene, Kontakt mit den Vereinen hergestellt haben müssten, die sie zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht haben. Dass dies nicht mangels entsprechender Kontaktdaten unterlassen wurde, erklärt sich mit Blick auf die Islamlandkarte von selbst. Wir hoffen, dass diese bedenkliche Entwicklung unter dem Deckmantel der Wissenschaft von den österreichischen Kontrollorganen ebenso kritisch gesehen wird und die Sicherheit, der hier lebenden Musliminnen und Muslime nicht in die Hände von gewaltbereiten und radikalen Gruppen gespielt wird“, zeigt sich ATIB in einer Mitteilung.
„Wenn die für Integration zuständige Ministerin Susanne Raab eine „Islamlandkarte“ gemeinsam mit der für Extremismus zuständigen „Dokumentationsstelle politischer Islam“ präsentiert, dann muss ihr klar sein, dass sie damit einen Extremismusverdacht gegen die mehr als 600 aufgelisteten Einrichtungen schürt und Betroffene womöglich sogar gefährdet“, übt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, deutliche Kritik an der gestrigen Präsentation der Ministerin.
Die Wiener ÖVP habe die „Islamlandkarte“ umgehend in Zusammenhang mit „einer großen Bedrohung für Österreichs Gesellschaft“ gebracht und damit zur Stimmungsmache gegen islamische Einrichtungen beigetragen, kritisiert Pollak.
„Dort, wo es problematische religionsbezogene Einrichtungen oder Akteur*innen gibt, müssen diese konkret benannt werden. Das Schüren eines pauschalen Generalverdachts gegen religiöse Minderheiten ist jedoch kein Beitrag zum Aufzeigen oder gar Lösen konkreter Probleme, sondern fördert Spaltung und Entfremdung. Das kann und darf nicht das Ziel von Politik sein“, betont Pollak.
„Sämtliche Befürchtungen, die Musliminnen und Muslime in Österreich vor Gründung der sogenannten ‚Dokumentationsstelle Politischer Islam‘ geäußert hatten, wurden spätestens mit der Islamlandkarte bestätigt. Mehr noch: Die vorgestellte Arbeit geht weit über das hinaus, was wir heute für möglich gehalten hätten, äußert sich die Islamische Föderation in Wien (IFW) kritisch in einer Mitteilung.
Die Karte beinhalte grobe Fehler und offen tendenziöse Unterstellungen in Bezug auf die Islamischen Föderationen. Die Publikationen enthielten nicht nur zahlreiche inhaltliche Mängel, sondern auch Hinzudichtungen.
„Die Islamischen Föderationen werden durch eine massiv einseitige Interpretation und Lesart in eine Ecke gerückt, die wir mit aller Entschiedenheit zurückweisen“, so die IFW. Zahlreiche Mängel offenbarten, dass nicht ergebnisoffen geforscht, sondern auf „ein gewolltes“ Ergebnis hingearbeitet wurde. Auf die einzelnen Vorwürfe werde die IFW gesondert Stellung nehmen. „Wir begrüßen die Distanzierung der Universität Wien, was über die Wissenschaftlichkeit der Arbeit viel aussagt“, so die IFW weiter.
Anschließend äußerte sich auch der Rektor der Universität Wien, Heinz W. Engl, zum Sachverhalt: „Im Zusammenhang mit Meldungen zu einer ‚Islam-Landkarte‘ distanziere ich mich insbesondere vom ‚Impressum‘, in dem zur Meldung von ‚Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen‘ aufgefordert wird. Da dort auch darauf hingewiesen wird, dass die Berichte und Informationen nicht für inhaltliche Positionen der Universität Wien stehen, habe ich die Verwendung des Logos der Universität Wien untersagt.“
Die Dokumentationsstelle Politischer Islam wurde 2015 gegründet und hatte vor einem Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Ein Team aus fünf bis sieben Fachexpertinnen und -experten wird eigenverantwortlich durch eine Direktorin oder einen Direktor geleitet.