Im Kontakt mit Behörden fühlen sich manche Menschen diskriminiert – wegen Herkunft, Geschlecht oder auch Alter. Das seit einem Jahr geltende und bundesweit einmalige Antidiskriminierungsgesetz in Berlin hat aber keine Flut von Beschwerden ausgelöst.
Das seit einem Jahr geltende und bundesweit einmalige Antidiskriminierungsgesetz in Berlin hat keine Flut von Beschwerden ausgelöst. Bis Anfang Juni gingen bei der neuen Ombudsstelle 315 Beschwerden von Menschen ein, die sich von Behörden diskriminiert fühlten. Das berichtete die Leiterin der Ombudsstelle, Doris Liebscher, am Dienstag in einer Online-Diskussion. 50 der Beschwerden richteten sich gegen die Polizei, ein Teil davon wegen Rassismus-Vorwürfen. Klagen vor Gerichten auf Entschädigung gab es bislang nicht. Polizeisprecher Thilo Cablitz lobte das Gesetz und betonte, die Polizei müsse bei dem Thema noch besser werden.
Beschwerden richteten sich auch gegen die Verkehrsbetriebe BVG und gegen Bürgerämter. Andere Sachverhalte betrafen Gerichte, Finanzämter, das Amt für Einwanderung, das Jobcenter, Standes- oder Jugendämter. In 111 Fällen fühlten sich Menschen wegen ihrer Herkunft rassistisch diskriminiert. Andere Menschen nannten Behinderungen, Krankheiten oder ihr Geschlecht als Grund für Benachteiligungen. Auch sexuelle Identität, sozialer Status oder das Alter wurden angeführt.
Das Gesetz ist seit dem 21. Juni 2020 in Kraft und soll Menschen vor rassistischen oder anderen Diskriminierungen durch die Behörden schützen, ihre Rechte stärken und Ansprüche auf Schadenersatz ermöglichen. Wer sich diskriminiert fühlt, kann sich an die betroffene Behörde oder die Ombudsstelle wenden. Der Vorwurf wird geprüft und nach Lösungen jenseits von Klagen gesucht. Kritiker hatten eine Vielzahl von Beschwerden vorausgesagt und moniert, das Gesetz stelle Polizisten unter Pauschalverdacht.
Ombudsstellen-Leiterin Liebscher sagte zu den ausbleibenden Klagen: „Die Leute wollen ja gar nicht klagen, die Leute wollen eine Anerkennung der Erfahrung und eine Entschuldigung.“ Häufig ginge es um Konflikte, zu denen die Polizei gerufen werde. Die Polizisten würden dann oft der beteiligten deutschen oder weißen Person mehr glauben als dem Kontrahenten mit anderer Hautfarbe oder Herkunft.
Oft tauchten auch Fälle von Eskalationen nach Beschwerden über nächtliche Ruhestörungen auf, so Liebscher. Die Polizei beschreibe die kontrollierten Menschen als laut und aggressiv. Die Betroffenen stellten das oft anders dar und beschreiben das Verhalten der Polizei als diskriminierend. Gerade bei Polizeikontrollen gebe es gefühlte Diskriminierungen, sagte Liebscher. Diese Empfindung sei oft geprägt von früheren individuellen Erfahrungen. Daher gebe es große Unterschiede bei der Einordnung und Bewertung.
Polizeisprecher Cablitz räumte ein, die Polizei sei nicht unfehlbar. Auch spiele weiterhin der sogenannte Korpsgeist eine Rolle, durch den sich Polizisten nicht gegenseitig belasteten. Allerdings gebe es auch einen „Selbstreinigungseffekt“, bei dem Polizisten sich bewusst gegen Kollegen und deren Handeln stellen würden. „Wir analysieren das und schauen: Was können wir besser machen?“ Es sei wichtig, auch die Perspektive der Betroffenen und von Minderheiten wahrzunehmen.
Die Anzahl der Beschwerden über die Polizei bezeichnete Cablitz als gering im Vergleich zur Gesamtzahl. Allerdings gebe es ein Dunkelfeld, so dass „wir definitiv noch besser werden müssen und uns auch immer wieder hinterfragen müssen“. Das Vorgehen der Polizei könne in vielen Situationen korrekt sein und trotzdem bei den Betroffenen ein Gefühl von Diskriminierung hinterlassen, sagte Cablitz. Bei den eingegangenen Beschwerden habe er „an der einen oder anderen Stelle ein ungutes Gefühl beim Lesen gehabt, auch wenn die Maßnahme womöglich rechtmäßig war“.
Cablitz schilderte eine Kontrolle von Corona-Vorschriften, bei der sich ein Mensch mit asiatischen Wurzeln diskriminiert gefühlt habe, obwohl 20 Menschen verschiedener Herkunft kontrolliert wurden. Cablitz sagte, er könne die Emotionen des Menschen nachvollziehen, möglicherweise habe er schon Negatives erlebt.
Ähnliche Gesetze sind inzwischen auch in anderen Bundesländern geplant. Die Online-Diskussion wurde veranstaltet vom „Mediendienst Integration“, der sich als Informationsstelle für Journalisten zum Thema Einwanderung und Integration bezeichnet. (dpa/iQ)