REZENSION

„Die Kandidatin“ – ein reaktionäres Manifest gegen Muslime

Constantin Schreiber stellt sich mit seinem Roman „Die Kandidatin“ einen Freibrief für rechte Hetze aus. Die ARD unterstützt ihn. Ein Gastbeitrag von Stefan Weidner.

12
06
2021
„Die Kandidatin“ – ein reaktionäres Manifest gegen Muslime Constantin Schreiber

Fast wäre der beliebteste deutsche Nachrichtensprecher gefeuert worden. Im Oktober 2001 hielt die CDU-Vorsitzende Merkel Ulrich Wickert für „absolut nicht mehr tragbar als Nachrichtenmoderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.“ Wickerts Vergehen: In einer Glosse hatte er die indische Schriftstellerin Arundhati Roy zitiert, die Osama Bin Laden, den Drahtzieher der Anschläge von 9/11, als „dunklen Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten“ George W. Bush bezeichnet hatte. Mit einer devoten Entschuldigung, in der er Bush als „Führer der freien Welt“ bezeichnete, gelang es Wickert, seine Entlassung noch einmal abzuwenden.“[1]

Zwanzig Jahre später ziehen die Amerikaner aus Afghanistan ab, ohne die Taliban besiegt zu haben, Ulrich Wickert ist im verdienten Ruhestand, und Angela Merkel steht kurz vor einem würdevollen Ende ihrer sechzehnjährigen Kanzlerschaft. Mit Constantin Schreiber aber ist ein neuer Nachrichtensprecher angetreten, um die politische Korrektheit herauszufordern. Diesmal freilich ist es die Korrektheit von links, und dass er sich dafür entschuldigen muss, ist unwahrscheinlich. Obwohl Annalena Baerbock mit ebenso guten Gründen wie einst Merkel behaupten könnte, dass Schreiber „absolut nicht mehr tragbar ist als Nachrichtenmoderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“.

Im Unterschied zu Wickert ist Schreiber ein Großmeister des medialen Gaslighting. Er ist in verschiedenen Rollen auf etlichen Kanälen präsent und doch nirgendwo richtig zu greifen. Statt in einer Glosse die eigene Meinung kundzutun, publiziert er lieber einen Roman. Darin steht vielleicht alles, was der Autor immer schon loswerden wollte, doch niemand kann ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. „Alle Romanfiguren sind fiktiv“ ließ er in einem Streitgespräch mit Khola Maryam Hübsch in der ZEIT vom 6. Mai verlautbaren. Wie wahr! Ist aber jemand, der einen antisemitischen Roman schreibt, nicht vielleicht doch auch ein Antisemit?

Ein rechtspopulistisches Pamphlet

Constantin Schreibers „Die Kandidatin“ einen „Roman“ zu nennen, ist eine real existierende Möglichkeit, jedoch keine sehr überzeugende. Die großen Feuilletons der Republik haben das Anfang Mai erschienene Buch trotz der Prominenz des Autors bis jetzt ignoriert, vermutlich aus Takt. Denn hinter der Fiktion verbirgt sich wenig mehr als ein rechtspopulistisches Pamphlet mit altbekannten Feindbildern: Dem Islam und den Muslimen, den „Linken“ sowie allen, die mit ethnischer, religiöser oder sexueller Vielfalt kein Problem haben und diese verteidigen möchten.

Die nahe Zukunft, in der Handlung des „Romans“ spielt, fühlt sich an wie der kommende Herbst: Bundestagswahlen stehen an, aussichtsreichste Kanzlerkandidatin ist die 44-jährige Muslimin Sabah Hussein von der „Ökologischen Partei“. „Die Kandidatin“ beginnt mit einem abgewandelten, wiedererkennbaren Goebbels-Zitat: „‚Wollt ihr absolute Diversität?‘ (…) ‚Ja‘, skandiert die Menge, klatscht und jubelt. ‚Ja!’“

Wie ein Teppich mit schnell durchschautem Muster entrollt sich das Buch, sein Tenor und seine These, aus diesem ersten Satz, aus dieser ersten Szene: Diversität, Postkolonialismus, Identitätspolitik tendieren zu einem neuen Faschismus, wahlweise Kommunismus. Sie einzufordern und dafür einzutreten kommt der Erklärung eines totalen Kriegs gegen alle ‚Normalen‘, Alteingessenen, Weißen gleich. Sie sind es, die verlieren werden, wenn Sabah Hussein gewinnt. Privilegien werden sozialistisch abgeschafft, auf dem Wohnungsmarkt und anderswo herrscht affirmative action. Gegen die „Heimatkämpfer“ treten die „Antifakämpfer und die muslimische Schariabrigade“ an.

Nach diesem Auftakt kurz vor Verkündigung des Wahlergebnisses erzählt das Buch die Vorgeschichte, begleitet Sabah Hussein durch den Wahlkampf, schildert ihre Herkunft aus einem Flüchtlingslager, ihre Vorliebe für Luxus („teure Kleider, goldene Armreife“), die Verstrickung ihrer Familie in die libanesische Mafia, ihren Geltungsdrang, ihre Erfolgsverliebtheit.

Spott gegen Chebli?

Wer die politische Szene in Deutschland in den letzten Jahren verfolgt hat, kommt nicht umhin, in Sabah Hussein eine bösartige Karikatur der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli zu erkennen. Sie ist heute bis auf ein Jahr so alt wie Schreibers „Kandidatin“ — was natürlich nichts daran ändert, dass „keine der Romanfiguren real ist“. Für Sabah schafft ihr Mentor (im Buch heißt er Reuter, wie der Berliner Nachkriegsbürgermeister Ernst Reuter; in echt ist es der heute Regierende Bürgermeister Müller) den Posten einer „Sonderbeauftragten für öffentliche Dialoge“. Chebli, die echte, ist Staatssekretärin für „Bürgerschaftliches Engagement“.

Vielleicht meint Schreiber es wirklich nicht böse und ist nur ein schlechter, der Ironie unfähiger Autor. Gleichwohl schafft er es, in einem einzigen Satz Frauenfeindschaft, Homophobie, Rassismus und Spot gegen Behinderte zusammen zu spannen. Sabah, die James Bond liebt, „findet es prima, dass 007 jetzt eine diverse Agentin ist, eine schwarze, lesbische Frau mit Behinderung. So kommt die politische Agenda immer mehr im Mainstream an.“ Man kann sich schon vorstellen, dass es Leute gibt, die das lustig finden mit der Agentin und ihrer Agenda. Aber man will lieber nichts mit ihnen zu tun haben.

„Die Übernahme unseres Landes“

Nebenbei kriegt die indische Filmindustrie etwas ab, und natürlich auch das neuste Schreckgespenst der freien Welt, China, das in Schreibers Zukunft Taiwan erobert hat. Sabah Hussein lässt das kalt, was Schreiber zu folgender, schwerwiegender Überlegung für den Fall ihres Wahlsieges veranlasst: „Womit wird sie den Mächtigen der Welt gegenübertreten? Ihre Waffen sind auf der internationalen Bühne stumpf.“ Ein Blick auf Kamala Harris genügt, um zu ermessen, wie ewig gestrig Schreibers Zukunft ist.

Angesichts der Bedrohungen durch die „totale Diversität“ formiert sich der weiße, biodeutsche Widerstand. Eine Leibwächterin feuert auf die Kandidatin und verletzt sie schwer. In Schreibers Romanweltlogik ist ihr Motiv natürlich nachvollziehbar: „zu den Verlierern (…) würde auch sie, die ostdeutsche blonde Frau gehören.“ Die Attentäterin steht auf der richtigen Seite, auch wenn die Erinnerung an Walter Lübcke häßlich in die „Fiktion“ hineinfunkt: „Es geht nicht um Vielfalt. Nein, es geht um die Übernahme unseres Landes“. Pech für die „ostdeutsche, blonde Frau“ (übrigens ein weiteres, nun freilich ossiphobes Klischee), dass das Land längst übernommen ist. Die Richterin heißt Khadija Hatoum und trägt einen Hijab. Doch der heiß ersehnte Moment, wo sich im Epischen Theater die Figuren an die Zuschauer wenden, um ihnen den illusionären Charakter des Gezeigten und ihre eigenen Vorurteile vor Augen zu führen, fällt bei Schreiber aus.

Schreiber bedient Klischees und Vorurteile

Also müssen wir das erledigen. Ich gestehe: Es ist mir unmöglich, diesen Text als „Roman“ zu lesen. Ich kann und will ihn nur so verstehen, wie er aller Wahrscheinlichkeit von den meisten seiner Rezipienten verstanden wird: Als reaktionäres Manifest. Ich erkenne in diesem Buch auch keine Fiktion, sondern nur die Stimme, die Meinungen, die Ängste und Phobien des Autors — seine eigenen und die seiner Leser, Freunde, Unterstützerinnen und im schlimmsten Fall auch seiner Arbeitgeber.

Gleichfalls schiene es mir verlogen, diesen „Roman“ nicht in Zusammenhang mit den anderen Büchern dieses Autors zu betrachten, die ebenso unerbittlich wie dieses darauf hinauslaufen, die Angst vor dem Islam zu schüren und die Muslime zu diffamieren: „Die Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen.“[2] Und nach demselben Schema: „Inside Islam. Was in deutschen Moscheen gepredigt wird“. Kritikwürdige Züge des zeitgenössischen Islams, mancher Muslime und vieler muslimischer Gesellschaften zeigt man anders auf, als Schreiber es getan hat, der sich als Enthüllungsjournalist versteht und doch nur Klischees und Vorurteile bedient.

Parallel zur umstrittenen österreichischen „islam-landkarte.at“, auf die rechte, anti-islamische Aktivisten dankbar zurückgreifen, wie die Betreiber inzwischen selber festgestellt haben[3], hat Schreiber die Seite „moscheepedia.org“ initiiert und ruft dazu auf, Fotos, Videos und Beschreibungen von Moscheen hochzuladen. Ich kenne keinen Zweck, der gut genug wäre, um derartige Übergriffe auf fremde sakrale Räume zu rechtfertigen. „Solche Kartierungen stigmatisieren“, hält Reinhard Schulze, Berner Emeritus für Islamwissenschaften, in einem Tweet fest.

ARD unterstützt Schreiber

Alle diese Nebentätigkeiten geschehen nicht unabhängig von Schreibers eigentlichen Arbeitgebern, ARD-aktuell und NDR, sondern ebendort im besten Wechselspiel von Tweet und Retweet[4], von Talkshowauftritten[5] und Tagesschaupräsenz. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen lässt sich für ein politisches Projekt einspannen, das mit seinem Auftrag nicht mehr vereinbar ist.

Nach der Zeit, als Ulrich Wickert fast aus dem Sender geflogen wäre, weil er eine selbstbewusste, linke, dunkelhäutige indische Autorin mit „Diversitätsmerkmalen“ zitierte, wollen wir uns aber nicht zurücksehnen. Sie ähnelt allzu sehr der Zukunft von Constantin Schreiber.

[1]              www.presseportal.de/pm/6561/287988
[2]              https://www.disorient.de/magazin/verzerrungen-und-vorurteile-eine-ausfuehrliche-kritische-rezension-zu-constantin-schreibers
[3]              https://www.islam-landkarte.at: Pressemeldung vom 01.06.2021: „Ich bedaure sehr, dass es in den letzten Tagen vermehrt zu politischer Instrumentalisierung gekommen ist und dass mittlerweile auch verschiedenste Rechtsextremisten den Zweck dieses Projektes völlig konterkarieren. Die soeben bekannt gewordenen Warnschilder an verschiedenen Orten Wiens sind erschütternd und verstörend und ich verurteile derartige Aktionen auf das Schärfste.“
[4]              https://twitter.com/tagesthemen/status/1373008854393438209
[5]              https://www.ardmediathek.de/video/das/das-mit-autor-und-tagesschau-sprecher-constantin-schreiber/ndr-fernsehen/Y3JpZDovL25kci5kZS8xMjgzNjkzMi0xMWNlLTQ1ZmItODJhNy01MWVjOTcyNzhkNjg/ .
https://www.ardmediathek.de/video/ndr-talk-show/journalist-und-autor-constantin-schreiber/ndr-fernsehen/Y3JpZDovL25kci5kZS80MTMwNTNjNC04ZTg5LTQzZmYtOWI2MS0xZGRmZmZmNzAzNmQ/ .
https://www.ardaudiothek.de/eins-zu-eins-der-talk/constantin-schreiber-tagesschau-sprecher/89223578
Sowie inzwischen wieder vom Netz: Brisant am 28.5.

Leserkommentare

Ethiker sagt:
Als Islamhasser hat er sich einen bekannten Namen gemacht und wird nicht beachtet. Esist schäbig Geld aus marginalisierten Gruppen zu schöpfen.
12.06.21
14:50
Johannes Disch sagt:
Was soll diese Aufregung? Das ganze-- sowohl das Konzept von Schreibers Roman, als auch die Reaktionen-- erinnert stark an Michel Houellebecqs Erfolgsroman "Unterwerfung." (2015)
12.06.21
17:58
Vera Praunheim sagt:
Das spannend und mitreißend geschriebene Werk von Constantin Schreiber - und so verstehen es auch viele Leser - nimmt unsere mögliche Zukunft vorweg. Diese Zukunfts-Dystopie kann und sollte als Warnung an uns alle verstanden werden. Eine hervorragende Projektion in die Zukunft. Kein falsches Toleranz-Gesäusel in diesem teilweise gruseligen Zukunftsszenario in Romanform. Linke Identitätspolitiker, Islamfreunde, Minderheitenorientierte, die den Bestseller-Autor und Grimme-Preisträger gleich in die rechte Ecke verschieben möchten, nimmt Schreiber als brillanter Realitäts-Mahner wohl in Kauf. Dafür kann man ihn als sehr mutig bezeichnen, denn Gegenwind war zu erwarten. Anschaulich wird, daß gelebte Diversity genauso heuchlerisch ist wie Nazitum oder Kommunismus. Negativ-Kommentierer möchten hoffentlich nicht mündige Bürger von der fesselnden Lektüre dieses neuen Buches von Nahost-Experte Constantin Schreiber abhalten. Manches darin ist beängstigend. Es erinnert mitunter an das Buch "Unterwerfung" von Michel Houellebecq und erscheint ähnlich hellsichtig wie "1984" von Orwell. Auch Huxleys "Schöne neue Welt" klingt manchmal an. Vielleicht mutiert "Die Kandidatin" noch zur hippen Schullektüre und wird regelrecht gefeiert. Schreiber hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und damit eine anrollende Empörungswelle mutig auf sich genommen. Möge der renommierte Journalist und ARD-Tagesschau-Mann sie unbeschadet überstehen. Das ist ihm von Herzen zu wünschen. Der Gastschreiber hier hat übrigens keine Deutungshoheit für sich alleine gepachtet, auch wenn er für die SZ schreiben darf.
13.06.21
4:37
Johannes Disch sagt:
Es ist vollkommen unsinnig, Schreibers Roman als "Freibrief für rechte Hetze" (Stefan Weidner) zu bezeichnen. Schreiber greift in fiktionalem Stil aktuelle Debatten auf (Diversität, Gender, etc.) und überspitzt mit dem Mittel der Satire. Das ist ein gängiges Stilmittel der Literatur und absolut zulässig. Satire, die nicht überspitzt, nicht zuspitzt und nicht verletzt ist keine. Begriffen hat das der Autor Thomas Brussig, der Schreibers Roman ausnehmend positiv kommentierte. Vielleicht sollte der Islamwissenschaftler Stefan Weidner bei seinen Leisten-- dem Islam-- bleiben und die Beurteilung von Literatur den Literaten überlassen.
14.06.21
12:05
Tarik sagt:
"spannend", "mitreißend", "mutig", "hervorragend", "brillant", "fesselnd", "ähnlich hellsichtig wie Orwells 1984" (!), "an Huxley erinnernd". Ideologische Übereinstimmung mit dem Autor kann einen leicht blind machen in der ebenso blinden Begeisterung und der Hoffnung, es möge gehyped werden. Tatsächlich handelt es sich hier lediglich um einen billigen, stilistisch dürftig bis peinlichen Abklatsch - oder besser gesagt, den Versuch eines Abklatschs - von Houllebecqs Unterwerfung. Houllebecq habe ich verschlungen. Schreiber habe ich weggelegt: es ist einfach stilistisch und handwerklich ein absolutes Armutszeugnis. Wer sich als Autor versucht, muss halt mit Kritik leben, auch dass er es nicht geschafft hat, zumindest halbwegs subtil seine Botschaft unterbringen, sondern eher auf Bild-Niveau agiert. Zu "Unterwerfung" - ein tatsächlich äußerst mehrdeutiges Werk, bei dem die meisten Islamkritiker die Pointe offenbar nicht verstanden haben - Aber lassen wir doch Houllebecq dazu selbst sprechen: Die Hoffnungslosigkeit entsteht, wenn man sich von einer Kultur verabschiedet, egal wie alt sie ist. Aber am Ende ist der Qur'an viel besser, als ich dachte, jetzt, wo ich ihn wiedergelesen habe - oder besser gesagt, ihn gelesen habe. Die naheliegendste Schlussfolgerung ist, dass die Dschihadisten schlechte Muslime sind. Natürlich gibt es, wie bei allen religiösen Texten, Raum für Interpretationen, aber eine aufrichtige Lektüre wird zu dem Schluss kommen, dass ein heiliger Angriffskrieg nicht generell gutgeheißen wird, allein das Gebet zählt. Man könnte also sagen, dass ich meine Meinung geändert habe. Daher habe ich auch nicht das Gefühl, dass ich aus Angst heraus schreibe. Ich denke vielmehr, dass wir uns verständigen können. Die Feministinnen werden das nicht können, wenn wir ganz ehrlich sind. Aber ich und viele andere Leute werden es. (Interview vom 2.1.2015)..´ Houllebecq fährt weiter fort mit der Bemerkung, dass das globalisierte und "produktsüchtige" Europa Selbstmord begeht. Jedoch - und das ist der Unterschied zu dem billigen deutschen Abklatsch - ist das Bekenntnis zum Islam keineswegs eine Ursache oder ein Symptom für diesen Niedergang Europas, vielmehr gebe es Anlass zu Optimismus. Zitat: "Für die Menschen die konvertieren, ist es ein Zeichen der Hoffnung; es ist KEINE Bedrohung. Es bedeutet, dass sie nach einer neuen Art von Gesellschaft streben." Tatsächlich zeigt sich Houllebecq - schon seit Jahrzehnten - als äußerst hellsichtiger und scharfsinniger Analytiker seiner Zeit und seiner Region in der er lebt. Die oben von mir zitierten Adjektive/Vergleiche von "Vera Praunheim" passen vielmehr auf das französische Original. Dass der üblicherweise in trollhafter Manier agierender/m Kommentator/in Weidners pointierter und des Pudels Kern treffenden Artikel nicht gefällt, ist naheliegend - daher auch dieser eher peinlich wirkende Lobhudelei, die ein wenig an Jubelperser erinnert. Sei's drum. Schreiber auf eine Ebene mit Huxley und Orwell zu stellen wäre eine Beleidigung für diese beiden genialen Köpfe. Wäre, wenn ein Hahn - außerhalb der Blase des Feuilletons - danach krähen würde.
14.06.21
13:57
Tarik sagt:
P.S. Wer wie Stefan Weidner solch einen Poeten wie Ibn Arabi (!) derart gekonnt ins Deutsche übersetzt, ist sicherlich auch win Literat. Weidners Schwerpunkt ist zwar das Themenfeld „Islam“, aber einen seiner Schwerpunkte ist u.a. die arab. Literatur und Poesie! Sowohl inhaltlich wie auch stilistisch ein gelungener Verriss.
17.06.21
19:33
Vera Praunheim sagt:
Die von "Tarik" anfänglich zitierten Adjektive und Zuschreibungen sind allesamt Kommentaren entnommen, welche nach einem Artikel über Schreibers Islam-Roman beim Berliner "Tagesspiegel" zu lesen waren. Eine solche Lobhudelei durch Kommentatoren (m/w/d) ist mir jedoch immer noch tausend mal lieber als ständige Lobhudeleien in trollhafter Manier für islamische Indoktrination und Belehrungen aus einem diktatorischem Fantasie-Welterlösungs-Konzept. Houellebecq, der nach wie vor darauf besteht, daß die Satirezeitschrift 'Charlie Hebdo' am Kiosk ausliegt - lt. SZ - stellt die Rechtspopulisten vom "Rassemblement National" neben die Islamisten: Die Fundamentalismen erscheinen ihm als Parallele, und er will offenbar weder an der einen noch an der anderen Variante teilhaben. Sein Buch "Unterwerfung" handelt von der Wahl eines Muslims zum französischen Präsidenten und der Islamisierung des ganzen Landes. Der Schriftsteller hat seinem Roman den Titel von Theo van Goghs letztem Film gegeben. Der niederländische Regisseur projiziert Verse aus dem Koran auf den nackten Körper einer geschlagenen Frau. Nach der Ausstrahlung im Fernsehen wurde er bestialisch ermordet. Der Täter Mohammed Bouyeri argumentierte, dass "im Kampf der Gläubigen gegen die Ungläubigen" Gewalt vom Propheten Mohammed erlaubt sei. "Van-Gogh-Mörder hält Attentat für Waffe im Glaubenskampf" - so berichtete die 'Welt" am 03.02.2006. Poetische Korantexte mögen durchaus zu schwärmerischen Beflügelungen anregen. Houellebecq aber nun gar als glühenden Islamversteher & Islambefürworter herbeireden zu wollen, ist schon eher grotesk und bizarr. Es gibt übrigens auch seltsam eigenwillige Vortragsredner, die Goethe als wahren Muslim bezeichnen und das mit akademischem Brimborium belegen wollen. Houellebecq ist ein vielschichtiger Querdenker, ein ironischer Störer, ein wollüstiger Satiriker, der vieles in Europa völlig zu Recht thematisiert und kritisiert, sich aber keinesfalls als gewogener Steigbügelhalter für islamische Weltrettungslehren und ersehnte Islamokratien mißbrauchen lässt. "In der Spur von Michel Houellebecq : 'Die Kandidatin', Constantin Schreibers provokanter Roman über eine muslimische Bundeskanzlerin". So beschrieb "Der Tagesspiegel" das Buch und weiter: "Sicher wird 'Die Kandidatin' mit dem Argument 'Ist ja nun alles andere als große Literatur kleingeredet. Das mag sein. Aber dann ist es der Klassiker '1984' auch nicht. Wie das Vorbild hat Schreiber Ängste seiner Gegenwart ernst genommen, weitergedacht und zu einem Gesamtbild verdichtet." An Schreibers Polit-Thriller sind schon die Filmrechte verkauft, geplant ist gleich eine ganze Serie. Wollte man einem Tagesschau-Sprecher und Grimme-Preisträger seine Kunstfreiheit absprechen? Auch Ulrich Wickert hat übrigens sehr viele und kontroverse Bücher veröffentlicht. Und die Rolex-Chebli - "Staatssekretärin für Alles und Nichts", sagen manche - kann Schreiber eigentlich gar nicht bösartig karikieren, sie tut es doch ständig selber.
18.06.21
21:15
Johannes Disch sagt:
Houellebecq als Zeugen gegen Islamophobie ins Feld zu führen ist absurd. Houellebecq hat sich bei Erscheinen von "Unterwerfung" eindeutig positioniert, und zwar vor allem für die Meinungsfreiheit. Sein Roman sei nicht islamophob, so Houellebecq, aber die Kunstfreiheit legitimiere auch ein islamophobes Werk.
19.06.21
20:50
Johannes Disch sagt:
Weidner mag Ahnung von orientalischer haben. Trotzdem beurteilt er Schreibers Roman falsch und ungerecht. Er beurteilt ihn unter dem Aspekt der Unsitte der Political Correctness. Hier sind sprachliche Scharfrichter am Werk. In jüngster Zeit mussten das Wolfgang Thierse und Boris Palmer erfahren. Boris Palmer spricht zu recht von einem neuen Jakobinertum und Sahra Wagenknecht bezeichnet die Sprachpolizei als selbstgerechte Moralisten. Schreiber arbeitet mit Stereotypen?? Na und. Überspitzung und Zuspitzung und Polemik sind gängige und legitime Mittel der Literatur. Drehen wir die Zeit um sagen wir mal 40 Jahre zurück. Damals wäre die Kandidatin wahrscheinlich eine Kommunistin gewesen und die Staatssekretärin ein Mitglied der Friedensbewegung, von der DDR unterwandert. Die Gefahr, vor der der Autor eines solchen fiktionalen Werkes hätte warnen wollen wäre natürlich der Kommunismus gewesen. Hätte man aufgeschrien: Kein Generalverdacht gegen Kommunisten? Hätte man gesagt, der Autor hätte eine anti-kommunistische Hetzschrift verfasst? Wohl kaum. Die kommunistische Bedrohung war damals real. Und heute ist es nun mal die Bedrohung durch den Islamismus/islamistischen Terrorismus. Und die trojanischen Pferde des Islamismus sind die Islamverbände, die mit dem Hinweis auf "Islamophobie" jede Kritik am Islam und jeden Hinweis auf das Gefahrenpotential des fundamentalistischen Islam unterbinden wollen. Und leider macht sich der orientalische Schöngeist Stefan Weidner mit seiner völlig falschen Beurteilung von Schreibers Buch zum Handlanger dieser Verbände. Schreiber beschreibt in fiktionaler Form eine reale Bedrohung.
19.06.21
21:49
Tarik sagt:
Man merkt deutlich, wenn islamhassende Polemiker - hier "Vera von Praunheim" - ähnlich reagieren, wie eine Katze, der man auf den Schwanz tritt. Für die künftigen polemischen, zumindest auf den ersten Blick oberflächlich "witzig" erscheinenden Kommentare empfehle dem/der User/in, Fremdzitate, Zuschreibungen mit Quellen zu belegen, statt lediglich - wie übrigens auch in anderen Kommentaren desselben Users - Copy+Paste zu betreiben. Mag sein, dass in der Anti-Islam-Trollfabrik Dinge wie "Selbständiges Denken" nicht gefragt sind, dennoch sei es dem/der User/in ans Herz gelegt. Zweitens sind die Wortverrenkungen und Interpretationen des/der User/in - die offenkundig mit "Unterwerfung" überfordert gewesen ist - ziemlich aufschlussreich. Nun, ich habe Houllebecq nichts in den Mund gelegt, ich habe ihn ZITIERT. Und wie üblich vergisst Johannes Disch in seiner "Das ist erlaubt, das nicht"-Manier zu erwähnen: "meiner eigenen Meinung nach". Dann ist sein Beitrag auch stimmig. Weidner hat auch zum (nicht vorhandenen) Stil Stellung bezogen, aber ansosnten beurteilt er Schreiber natürlich auch im Gesamtzusammenhang, in diesem Falle dessen beiden Vorgängerwerken.
23.06.21
13:08
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