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„Wenn du groß bist, wirst du Astronautin!“

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? IslamiQ stellt querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Dilara Ülker.

19
06
2021
Dilara Ülker
Foto: Dilara Ülker

Dilara Ülker ist Astrophysikerin und angehende Mathematikerin. Aktuell arbeitet sie als Softwareentwicklerin in einem Unternehmen. Ihr Ziel ist es aber, Astronautin zu werden. Ein Gespräch. 

IslamiQ: Sie haben den Wunsch, die erste Astronautin mit einem Kopftuch zu werden. Wie kam es dazu und wo stehen Sie im Moment?

Dilara Ülker: Mein Vater wollte von klein auf, Astronaut werden. Aber aus familiären Gründen musste er schon in jungen Jahren seinen Traum aufgeben. Die damalige Situation hätte das nicht zugelassen, da er mit meinem Großvater als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war und einen neuen Lebensabschnitt starten musste. Die Bedingungen damals waren anders als heute.
Mein Vater hatte sich geschworen, seinem ersten Kind, ob Junge oder Mädchen, seinen Traum weiterzugeben. Das Glück traf mich. Früh hatte mir mein Vater viele Geschichten über den Weltraum erzählt. Er flüsterte mir jeden Abend vor dem Schlafengehen ins Ohr: „Wenn du groß bist, wirst du Astronautin!“ Dieser Satz hat mich mein Leben lang begleitet. Meine Leidenschaft zur Astronomie und generell zur Naturwissenschaft hält bis heute an.

Heute habe ich viele meiner Ziele erfüllen können. Ich bin meiner Leidenschaft treu geblieben und bin den richtigen Weg eingegangen. Ich kann sagen, dass ich eine leidenschaftliche Naturwissenschaftlerin mit Herz und Seele bin. Das verdanke ich meinem Vater. Meine Mission, Astronautin zu werden, bleibt weiterhin bestehen. Auch, wenn der Weg etwas schwieriger ist als gedacht.

IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihr Vorhaben?

Ülker: Ich muss sagen, dass die Resonanz nicht gerade sehr groß ist. Meinen Berufswunsch kennen viele, aber was die Umsetzung angeht, gab es Fragezeichen. Das liegt daran, dass europaweit selten neue Astronauten gesucht werden. Heute, nach knapp 12 Jahren, kam ein Aufruf, dass neue und insbesondere Astronautinnen gesucht werden.

IslamiQ: Was fasziniert Sie an der Astrophysik?

Ülker: Vom Ursprung bis heute ist alles, was außerhalb der Erde passiert, höchst spannend. Ein Universum mit vielen Geheimnissen, die darauf warten, von uns Menschen gelüftet zu werden. Über die Entstehung bis hin zur Frage, ob es die Möglichkeit gibt, ein Leben auf einen anderen Planeten aufzubauen. Meine Neugier, das Universum zu erkunden, kennt keine Grenzen!

IslamiQ: Mit welchen Hürden und Schwierigkeiten wurden Sie konfrontiert? Welche Hürden stehen noch bevor?

Ülker: Ich habe Stärken und Schwächen, wie jeder andere Mensch auch. Ich hatte es von klein an nicht einfach, weil ich nicht gerade die beste in der Schule war. Ich hatte auch nicht die besten Noten, außer in den Fächern Mathematik und Physik, und das erst ab der neunten Klasse. Ich war früher sehr zurückhaltend, hatte auch eine etwas schwierige Schulzeit gehabt. Je älter ich wurde, desto selbstbewusster wurde ich. Heute muss ich ausschließlich mit meiner Kopfrechenschwäche kämpfen bzw. auch damit, dass es so wenige bzw. kaum Frauen in naturwissenschaftlichen Gebieten aktiv sind. Insbesondere mit dem Kopftuch wird es noch schwieriger.

IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?

Ülker: Ich habe keine festen Hobbies. Ich bin offen für neue Herausforderungen und Aktivitäten. Zu meinen Lieblingsaktivitäten gehört unter anderem Lesen, Spazierengehen und die Welt da draußen erkunden. Wenn es etwas gibt, was mich besonders anspricht, dann bin ich wahrscheinlich die erste, die mitmachen würde.

IslamiQ: Haben Sie ein Lieblingsbuch oder einen Lieblingsfilm?

Ülker: Mein Lieblingsbuch ist der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Eine große Inspiration mein inneres Kind niemals zu verlieren und mir selbst treu zu bleiben. Mein aktueller Lieblingsfilm ist der Marsianer. Nicht nur die Produktion auch die Geschichte, wie Mark Wattney ums Überleben kämpfen musste, zeigt mir, dass nichts ein Hindernis sein kann und wir aus dem Unmöglichen das Mögliche schaffen können. Das ist eine große Inspiration für mich.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Ülker: Familie bedeutet für mich, dass man in guten als auch in schlechten Zeiten füreinander da ist. Dass man sich gegenseitig unterstützt und einander das Gefühl von Sicherheit gibt. Ich wüsste nicht, was ich ohne meine Familie hätte machen können. Ich wäre niemals so weit gekommen, ohne die Unterstützung meiner Eltern, insbesondere meinem Vater.

IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?

Ülker: Es gab so viele schöne Momente in meinem Berufsleben. Vom Gefühl, erfolgreich zu sein, Menschen zu helfen, insbesondere eine Bezugsperson für jüngere Menschen zu sein. Wenn man als Vorbild gesehen wird, weiß man, dass man auf dem richtigen Weg ist.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Ülker: Respekt- und humorvoll, offen für Neues, emphatisch, liebevoll. In ihrer eigenen kleinen Dimension mutig, aber auch sensibel. Sie würden auch sagen, dass ich eine besondere Sichtweise habe, vor allem in Bezug auf die Natur.

IslamiQ: Ihr Lebensmotto?

Ülker: Mein Lieblingsspruch ist von Franz Assisi: „Tue erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche!“ Außerdem: „Sei dir selbst, deinen Zielen und Träumen treu – wage niemals den Schritt aufzugeben!“

IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?

Ülker: Mein größtes Ziel ist es, Astronautin zu werden. Zu Beginn wollte ich die erste muslimische Astronautin mit Kopftuch werden, bis wir die erfreuliche Nachricht erhielten, dass eine junge Frau aus den arabischen Emiraten diesen Schritt ebenfalls gewagt hat – die angehende Astronautin Nura al-Matruschi. Ich kann also nicht mehr die erste Astronautin mit Kopftuch weltweit sein, aber ich kann die erste deutsch-muslimische Astronautin werden und damit vielleicht das Mindsetting der Gesellschaft ändern.
Es ist mir wichtig, dass ich viele junge Frauen dazu inspirieren kann, den Schritt in die Naturwissenschaften zu wagen. Angefangen in meiner Familie, in der Schule, im Berufsleben, in den sozialen Medien oder privat. Ich möchte meine Leidenschaft durch meine Art und Weise zum Ausdruck bringen.

IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.

Ülker: Ich wünsche mir mehr Akzeptanz, Diversität und Toleranz. Eine Welt, in der junge Menschen ohne Bedenken ihren Träumen und Zielen folgen können. Jedes Individuum ist etwas Besonderes, jeder Einzelne hat es verdient, seinen Zielen folgen zu können, ohne, dass ihm oder ihr Hindernisse auf den Weg gelegt werden.

IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?

Ülker: Muslime sind Menschen, wie alle anderen auch. In der Gesellschaft sollte es keine Rolle spielen, welcher Religion man angehört, wie man aussieht oder woher man kommt. Muslime sollten sie selbst sein und ihren Wegen treu bleiben.

Leserkommentare

Vera Praunheim sagt:
Müsste das Lieblingsbuch des sympathischen Umma-Mitglieds Dilara nicht der Koran sein? Es ist sehr erfreulich, wenn "Der kleine Prinz" als Lieblingsbuch genannt wird, obwohl darin der Islam gar keine Erwähnung findet. Auch die Nennung des Ordensgründers Franz von Assisi mit einer seiner Aussagen als Lieblingsspruch ist sehr angenehm. Aber das Mindsetting der Gesellschaft sollte schon mehr islamische Denkweisen, koran-affine Überzeugungen und traditionelle Verhaltensmuster als innere Haltung annehmen? Ist nun der Islam selber im Wesenskern wirklich divers und tolerant? Oder hat Frau Ülker schon zeitgemäßere und liberalere Vorstellungen vom Wesen eines 'neuen' Islam, da sie sich ja selber mehr Akzeptanz, Diversity und Toleranz für sich wünscht? Sie möchte selber gerne als Vorbild für andere gesehen werden. Auch wenn sie als muslimische Astronautin mit Kopftuch - oder mit Kopftuch-Helm - auf einem anderen Planeten landet und dort womöglich eine islamische Flagge als Hoheitszeichen in den Boden rammt? Oder könnte das auch eine neutrale Flagge oder Fahne sein - vielleicht sogar eine in schönen, bunten Regenbogen-Farben?
20.06.21
21:41
Tarik sagt:
"Müsste das Lieblingsbuch des sympathischen Umma-Mitglieds Dilara nicht der Koran sein?" - Der Qur'an ist kein Buch, sondern eine Offenbarung, wörtl. "Rezitation, Lesung", der primär der Lithurgie dient. Er läuft somit "außer Konkurrenz". "Es ist sehr erfreulich, wenn "Der kleine Prinz" als Lieblingsbuch genannt wird, obwohl darin der Islam gar keine Erwähnung findet." - "Der kleine Prinz" zeichnet sich ähnlich wie die Figur "Santiago" in Coelhos "Alchimist" vor allem durch eines aus: Er kann mit dem Herzen sehen. Und genau darum geht es im Islam. Es muss also nicht explizit irgendwo im Cover oder im Text stehen. Implizit enthalten reicht schon. Zumindest für die halbwegs intelligenten und vourteilsfreien. "Auch die Nennung des Ordensgründers Franz von Assisi mit einer seiner Aussagen als Lieblingsspruch ist sehr angenehm. Aber das Mindsetting der Gesellschaft sollte schon mehr islamische Denkweisen, koran-affine Überzeugungen und traditionelle Verhaltensmuster als innere Haltung annehmen?" Es ist klassisches, traditionelles islamisches Verständnis, Weisheit als das zu erkennen, was es ist. Wie es in einem ziemlich bekannten Hadith heißt: „Weisheit ist das verlorene Reittier eines Gläubigen. Er soll es sich aneignen, wo immer er es findet“. Der Philosoph Al-Kindi formulierte das so: Wir dürfen uns nicht schämen, die Wahrheit anzuerkennen und zu übernehmen, woher sie auch kommen mag, und sei es von fernen Geschlechtern und anderen Völkern." Das ist klassisches Denken aus der traditionellen "Kultur der Ambiguität", die erfreulicherweise in den letzten Jahren wiederentdeckt wird. Erfreulich auch, dass Frau Dilari dies verinnerlich zu haben scheint. Restauration ist hier das Zauberwort und sicherlich nicht blinde Imitation.
23.06.21
12:56