Meinung

Das neue Schreckgespenst im Islamdiskurs: „politischer Islam“

Das neue Lieblingsthema des Islamdiskurses ist der „politische Islam“. Während die Politik mit diesem Begriff Nägel mit Köpfen macht, ist dessen Definition und Verwendung unter Experten stark umstritten. Ein Beitrag von Mohammed Saif.

20
06
2021
Symbolbild: Islam, Studie © shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.
Symbolbild: Islam, Studie © shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.

Das Verhältnis europäischer Gesellschaften zum Islam wurde und wird oft aus einer politischen Perspektive betrachtet. Diese Seite des Islams scheint „interessanter“ zu sein als die Theologie oder das religiöse Leben. Auch die mediale Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Islam-bezogenen Themen findet oft große Resonanz. Diese Debatte um das „Wesen des Islams“ wirkt sich natürlich auch auf die Wahrnehmung des Islams in der Öffentlichkeit aus. Der Islam wird, nach den Worten des Schriftstellers und Journalisten Ralph Giordano, als „eine genuin politische Religion“[1] gesehen. Der religiöse Charakter des Islams bleibt unbeachtet, die Religion wird ausschließlich im politischen Bereich definiert, im Sinne von: „Der Islam ist und macht Politik“.[2]

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die Bezeichnung „politischer Islam“ mehr und mehr zu einem Kampfbegriff und einem Bestandteil der Debatte um den Islam selbst. Der Begriff „politischer Islam“ wird seit einigen Jahrzehnten vor allem in gesellschaftspolitischen Kontexten verwendet. Jedoch taucht er in den letzten Jahren viel öfter auf. Bezeichnungen wie „Salafisten“ oder „Dschihadisten“, „Islamisten“ u. ä., die jahrelang den Islamdiskurs dominiert haben, sind heutzutage uninteressant geworden. Nicht etwa, weil es sie nicht mehr geben würde, sondern, weil „die lautesten Warnrufe seit einiger Zeit einem anderen Feld gelten, nämlich dem politischen Islam“.[3]

Auch die Bedeutungskomponenten des Begriffs und sein Referenzbereich haben sich verschoben. Der „politische Islam“ ist zum Synonym für „Islamismus“ geworden, der fast ausschließlich auslandsbezogene Phänomene oder Strukturen bezeichnet. Aktuell bezieht sich der Begriff „politischer Islam“ meist deutlich fokussierter auf ein Phänomen, „das maßgeblich Deutschland und Europa betrifft. Und das oft mit den Aktivitäten institutionell organisierter Muslime in diesen Ländern zusammenhängt – der sogenannten Islamverbände“.[4] Der politische Islam bezieht in seinem neuen Referenzbereich Gruppen und Intuitionen mit ein, die man mit Begriffen wie „Salafisten“, „Islamisten“, „Dschihadisten“ nicht einzuschließen vermag. Den Begriff unscharf zu halten, begünstigt dabei, dass mehrere Gruppen bzw. Intuitionen mit dem Begriff miteinbezogen werden können.[5]

„Alles, was irgendwie anstößig erscheint“

Der Begriffskarriere des „politischen Islam“ begann, wollte man ein Datum nennen, mit dem CSU-Parteitag im November 2016. Dort wurde er als „die größte Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet. In einem Interview in „DIE ZEIT“ im November 2016 bemängelt die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer den Einsatz des Begriffs, weil ihm „jede Trennschärfe fehlt.“ Die Verwendung, so Krämer, „subsumiert unter diesem Begriff, wie es scheint, alles, was ihr am Islam und bestimmten Muslimen irgendwie anstößig erscheint – von der Forderung nach getrennten Badezeiten für Frauen in öffentlichen Schwimmbädern über die Höhe von Minaretten auf deutschem Boden bis zur terroristischen Gewalt von Boko Haram in Nigeria und den nationalistischen Umtrieben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. In dieser Vagheit wird der Begriff völlig unbrauchbar. Hier wird ein Monster kreiert, das überall und nirgends ist.“[6]

Die neuen Definitionsversuche des Begriffs „politischer Islam“ werfen unterschiedliche Fragen auf. Der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker kritisiert das Heranziehen des Begriffs in der Öffentlichkeit ohne klare Grenzen: „Ich hab versucht, es zu definieren, aber ich kann nur sagen, es gibt keine taugliche Definition, denn was soll politischer Islam sein?“.[7] Prof. Lohlker hebt die inhaltlichen Aspekte des Begriffs vor und schlägt vor, den Begriff nach den klaren inhaltlichen Bedeutungsaspekten zu definieren: „Ist das demokratischer Islam? Das wäre mir sehr lieb. Aber darüber wird nicht gesprochen. Wenn wir nur sagen, politischer Islam ist etwas Extremistisches, dann sollten wir vielleicht von extremistischem Islam sprechen und nicht von politischem Islam.“[8]

Konkrete Politik mit schwammigen Begriffen

Nach dem Terroranschlag in Wien im November 2020 kündigte der österreichische Kanzler Sebastian Kurz an, dass seine Regierung einen Straftatbestand „politischer Islam“ einzuführen plant, „um gegen diejenigen vorgehen zu können, die selbst keine Terroristen sind, aber den Nährboden für solche schaffen“. Hier wird eine direkte Verbindung zwischen Terror und „politischem Islam“ hergestellt. Wichtig zu erwähnen ist, dass die österreichische Regierung im Sommer 2020, also einige Monate vor dem Angriff, die „Dokumentationsstelle ‚Politischer Islam‘“ gegründet hatte. Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der „Dokumentationsstelle“ ist der bekannte liberale Theologe Mouhanad Khorchide.

Der von der österreichischen Regierung geplante Straftatbestand „politischer Islam“ wurde zu Recht heftig kritisiert. Prof. Lohlker fragt dazu: „Ich weiß nicht, wie man das vor Gericht halten soll. Wenn ich einen Terroristen habe und einen Propagandisten, der bestimmte Ideen vertritt, wie kann ich das vor Gericht mit demselben Straftatbestand angehen?“[9] Mit dem geplanten Tatbestand könnten demzufolge nicht Taten betraft werden, sondern auch Gedanken. Für diese Vagheit passt der Begriff politischer Islam gut, „der keine Erfindung von Sebastian Kurz ist, der aber seit einigen Jahren trotz aller Kritik eine beeindruckende Karriere hingelegt hat.“[10]

Neues Wort, altes Muster

In Deutschland wird der „politische Islam“ „ausschließlich auf der Grundlage der problematischsten Aspekte islamischer politischer Betätigung“[11] bestimmt. In ihrem Buch „Politischer Islam. Stresstest für Deutschland“ schreibt die Ethnologin Susanne Schröter, der Begriff ziele auf „die totalitäre Umgestaltung des Politischen“ und „die Unterwerfung von Gesellschaft, Kultur, Politik und Recht islamistischen Normen“.[12] Unter dem Titel „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland“ erschien 2019 ein Sammelband der Unionspolitiker Winfried Bausback und Carsten Linnemann. Laut den beiden Politikern umfasse der „politische Islam“ „die radikalen Ausprägungen, die den westlichen Lebensstil zum Feindbild erheben und unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu unterlaufen suchen“.[13] In beiden Fällen wird eine voranstehende Gefahr suggeriert, die gestoppt werden müsse.

In Verbindung mit dem „politischen Islam“ wird oft der Gedanke eines Systemumsturzes verkündet, der angeblich angestrebt, aber gleichzeitig das geheime Ziel der politischen Teilhabe sei. In vielen Textstellen finden wir Wörter wie „unterwandern“, „umgestalten“, „unterlaufen“, „Deckmantel“, „Parallelgesellschaften“, die dieses Deutungsmuster deutlich machen. Diesem Vorwurf nach errichteten manche islamische Gemeinschaften „eine Fassade“, die man „enttarnen“ müsse.[14] Die Stoßrichtung dabei ist, so der Islamwissenschaftler Christian Meier, „stark kritisch bis alarmistisch“. Der „politische Islam“ werde radikal etwa mit Blick auf islamische Organisationen „häufig unsauber verwendet“[15], so die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer.

Dass der Begriff inhaltlich für alles Mögliche offen ist, also von der AKP in der Türkei bis al-Qaida, kritisiert Prof. Lohlker. Überhaupt betrachtet Lohlker den Umgang mit dem Begriff „politischer Islam“ in der Öffentlichkeit sehr kritisch, denn „der politische Islam wird uns in den Ring geworfen und wir schauen, was es für eine Definition nachher dafür geben mag“[16] Auf der anderen Seite definiert der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide den „politischen Islam“ als „Herrschaftssystem“[17], also als „eine menschenfeindliche Ideologie, die die Herrschaft im Namen des Islam anstrebt.“[18] Dabei diene die Religion als „ein Mittel, um Gläubige zu manipulieren.“[19] Khourchide schafft aus dem Gespenst des „politischen Islam“ eine reale Bedrohung, „der sich gegen uns alle“ richte und „viel gefährlicher als der Jihadismus und Salafismus“ sei, „weil er viel subtiler, nämlich in Krawatte und Anzug, auftritt.“[20]

Importierter Begriff

Hier sieht man, dass der Referenzbereich des Begriffs vage ist. Denn, dass man sich politisch engagiert, um in die Macht zu kommen, ist niemals eine menschenfeindliche Ideologie. Außerdem scheinen mir Khorchides Definitionsversuche und Deutungsmuster eher auf auslandsbezogene Phänomene zurückzugehen, die sich auf anderen muslimischen Ländern und Strukturen beziehen als auf die Situation in Europa, natürlich auch mit den dort verwendeten negativen Konnotationen.

Der Arabische Frühling 2011 war ein Hochpunkt islamisch orientierter Parteien und Gruppierungen, von denen manche auch politische Erfolge verbuchen konnten. Ausgehend davon die Behauptung aufzustellen, dass sich die muslimische Minderheit in Europa genauso verhält, um die Gesellschaften zu „unterwandern“ ist meines Erachtens völlig fehl am Platz. Eine solche Sichtweise kriminalisiert jedwedes politische Engagement muslimischer Bürger und stellt alle Muslime unter Generalverdacht.

Dass die Ereignisse in der arabischen Welt und die Tatsache, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate seit dem Arabischen Frühling sich klar gegen den „politischen Islam“ positioniert haben, die Situation in einzelnen europäischen Ländern beeinflusst hat, kann hier nicht bestätigt werden. Was aber auffällt, ist die Ähnlichkeit in der Wortwahl, den Definitionsversuchen, der Vorgehensweise und letztendlich auch den Organisationen, die bei diesen Diskussionen im Visier stehen. Die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse und der Beginn der neuen Karriere des Begriffs „politischer Islam“ im Jahr 2016 könnte ein Hinweis darauf sein.

Interessant ist auch, dass die Vereinigten Arabischen Emirate am 16. Mai 2014 eine Liste mit aus ihrer Sicht terroristischen Organisationen veröffentlicht hat. Auf der Liste stehen auch einige islamische Organisationen aus Europa. 2017 plädiert der Toleranzminister der Emirate, Scheich Nahjan bin Mubarak Al Nahjan, für „schärfere Moscheekontrollen in Deutschland“,[21] denn der Grund für „islamistische“ Angriffe in Deutschland sei „die nachlässige Kontrolle von Moscheen in Europa“. Der Minister appelliert an die europäischen Regierungen, „dass auch in Europa etwas passieren muss“. Die Länder auf dem Kontinent hätten es gut gemeint, als sie „diesen Leuten“ erlaubten, ihre eigenen Moscheen und ihre eigenen Gemeindezentren zu betreiben. Doch religiöse Führer müssten ausgebildet sein, sich mit dem Islam auskennen und eine Lizenz haben“.[22]

Wer „diese Leute“ genau sind, wieso die Emirate solche negativen Narrative gegen muslimische Bürger und Organisationen in Europa schürt und ob dieses „etwas“ schon passiert ist, bleibt unklar. Genauso wie der Begriff „politischer Islam“. Denn es scheint, es ist nicht so wichtig, was der Begriff bedeutet, wichtiger ist, was man damit macht bzw. machen kann.

[1] Kölner Stadtanzeiger, 21.06.2007

[2] Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 06.06.2007

[3] Vgl. Christian Meier, „Was ist eigentlich ‚politischer Islam‘?“, FAZ, 16.01.20211

[4] Christian Meier, „Was ist eigentlich ‚politischer Islam‘?“, FAZ, 16.01.2021

[5] Vgl. Ali Mete, „Der ‚politische Islam‘ – ein Kampfbegriff“, https://www.islamiq.de/2019/06/23/politische-islam-ein-kampfbegriff/

[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/politischer-islam-csu-parteitag-leitantrag

[7] Interview mit Prof. Lohlker in der ZIB Nacht vom 11.11.2020, https://www.youtube.com/watch?v=eo0ZZfbsIh8

[8] Ebenda

[9] Ebenda

[10] Hannes Leitlein, FAZ, 16.11.2020

[11] Vgl. Christian Meier, „Was ist eigentlich ‚politischer Islam‘?“, FAZ, 16.01.2021

[12] Ebenda

[13] Ebenda

[14] Hannes Leitlein, FAZ, 16.11.2020

[15] Vgl. Christian Meier, „Was ist eigentlich ‚politischer Islam‘?“, FAZ, 16.01.2021

[16] Interview mit Prof. Lohlker in der ZIB Nacht vom 11.11.2020, https://www.youtube.com/watch?v=eo0ZZfbsIh8

[17]https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2020-09-18/neue-wiener-dokumentationsstelle-legt-finger-die-wunde-theologe-khorchide-ueber-die-gefahr-des

[18] https://www.derstandard.at/story/2000118871137/islamtheologe-khorchide-politischer-islam-viel-gefaehrlicher-als-jihadismus

[19] Ebenda

[20] Ebenda

[21] https://www.tagesspiegel.de/politik/islam-in-europa-emiratischer-minister-fuer-schaerfere-moschee-kontrollen-in-deutschland/20579176.html

[22]https://www.tagesspiegel.de/politik/islam-in-europa-emiratischer-minister-fuer-schaerfere-moschee-kontrollen-in-deutschland/20579176.html

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Tarik (28.06.21, 12:53 Sicher, der Westen hat unterschiedliche philosophische Schulen hervorgebracht, darunter auch solche mit totalitärer Zielrichtung (Faschismus, Kommunismus, Sozialismus). Aber der Westen ist nun mal der Teil der Welt-- der einzige Teil der Welt--, wo sich politisch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Menschenrechte durchgesetzt haben. Wie es Theodor W. Adorno in den fünfziger Jahren formulierte: "Europa ist eine Insel der Freiheit inmitten eines Ozeans der Tyrannei." Man kann das Zitat erweitern: "Der Westen ist eine Insel der Freiheit inmitten eines Ozeans der Tyrannei."
05.07.21
13:04
Johannes Disch sagt:
@Tarik (28.06.21, 12:53) Eine (nicht sehr lustige) Anekdote aus meinem beruflichen Alltag: Wie Sie wohl wissen, bin ich mit dem Thema "Islam/Migration/Integration" nicht nur theoretisch befasst, sondern auch praktisch. Und das seit nunmehr gut 2 Jahrzehnten. Der Flüchtlingsstrom ist keineswegs geringer geworden. Er ist in den Medien nur nicht mehr so präsent. Allein meine Gemeinde nimmt dieses Jahr über über 300 neue Flüchtlinge auf, die meisten aus Syrien. Neulich hatten wir einen aus Tunesien. Das ist eigentlich ein sicherer Herkunftsstaat. Aber ein Gesetz besagt, dass jeder Landkreis im Quartal auch einen Flüchtling aus diesen Staaten aufnehmen muss. Das läuft unter "subsidiärem Schutz." Die Person ist zwar kein politischer Flüchtling, aber ihm droht sonstiges Ungemach in seiner Heimat, sei es wegen seiner sexuellen Orientierung oder wegen was auch immer. Der Knabe-- 19 Jahre alt-- war noch keine halbe Stunde da, schon machte er einen Aufstand. und schrie vor meinem Büro rum. Er wollte ein eigenes Zimmer. Das ist aber nicht vorgesehen. Laut Asylgesetz stehen ihm 7 qm zu. Er musste sich das Zimmer also mit jemandem teilen. 2 Stunden später steht sein Zimmernachbar heftig gestikulierend am Fenster. Wir gingen hoch in die Wohnung. Der Neuzugang stand im Bad und schlug sich die Stirn an die Wand. Alles blutig. Dann kniete er auf dem Boden und schlug sich den Kopf auf den Boden. Noch mehr Blut. Die Wohnung war vorher grundgereinigt, was recht teuer ist. Der Junge wollte sich auf diese Art ganz offensichtlich ein eigenes Zimmer erstreiken. Wir riefen den Notarzt und natürlich Polizei, die bei solchen Vorgängen obligatorisch kommt nd auch kommen muss. Abtransport auf der Bahre, Infusionsschlauch im Arm. Der Junge kam erst mal ins Krankenhaus und dann geht es wohl ab in die Psychiatrie. Danach kommt er wohl wieder zu uns. Ach, in seinem zurückgelassenen Koffer fand sich Lektüre von Sayyid und und Al Quaradawi. Zwei Top-Ideologen des islamistischen Terror und der islamistischen Ideologie. Schöngeistiges wie Al Ghazali oder islamische Mystik (Sufismus) war nicht darunter. Und das, verehrter Tarik, ist kein Ausreißer und kein Einzelfall. Das ist die Regel. Das ist die Realität islamischer Migration nach Europa und Deutschland im Jahre 2021. Und nicht schöngeistiges a la Al Ghazali oder Ibn Sina. Deshalb sind die Diskussionen über den Begriff "Politischer Islam" auch nur ein Ablenkungsmanöver. Mit dem Politischen Islam ist ein totalitär-religiös-politisches Konzept gemeint, das an die Stelle der Demokratie einen islamischen Gottesstaat errichten will. Und ein solches Islamverständnis pflegen auch die institutionellen Islamverbände, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Wenn sich ein Aiman Mazyek--Vorsitzender des ZMD-- zu dem Satz versteigt, die Scharia wäre mit der Demokratie vereinbar, dann spricht das Bände und ist entlarvend. Und statt sich vorbehaltlos und unmissverständlich gegen islamischen Extremismus zu positionireren haben die Verbände nur eine Sorge: Bitte keinen Generalverdacht. Und-- der Klassiker-- "Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun." (Aiman Mazyek nach dem Mord an einer deutschen Studentin in Freiburg vor 2 Jahren durch einen muslimischen Flüchtling). Doch. Hat es. Es hat sogar eine Menge damit zu tun. Es hat zu tun mit einem fundamentalistischen Islamverständnis, das westliche Werte ablehnt. Und so ein Islamverständnis wird durch Flüchtlinge nach Europa und nach Deutschland gebracht. Die Geschichte des Flüchtlings aus den Maghreb-Staaten war eine Anekdote von vielen. Bei Gelegenheit gebe ich vielleicht noch die eine oder andere zum besten. Wie gesagt, das ist die Realität des Jahres 2021. Und nicht schöngeistige islamische Mystik.
05.07.21
19:14
Johannes Disch sagt:
@Tarik Weil in meinem letzten Post (05.07.21, 19:14) einiges unterging (zum Beispiel der vollständige Name von Sayyid Qutb, es wurde nur "Sayyid" publiziert) fasse ich das noch einmal zusammen: Was der tunesische Flüchtling veranstaltet hat, das habe ich geschildert. Unter seiner Lektüre fand sich weder arabische Dichtkunst a la A Ghazali, noch islamische Mystik, sondern ausschließlich fundamentalistisches: Bücher von Sayyid Qutb, Al Quaradawi und Al Maududi. Alle 3 ausgewiesene Chefideologen des djihadistischen Islamismus. Und solche Dinge sind keine Einzelfälle, sondern ich erlebe sie in meinem beruflichen Alltag häufig und regelmäßig. Auch ihr Hinweis, es gebe in Oxford doch inzwischen filigrane islamische philosophische Schriften -- beispielsweise Tim Winter alias Abdal-Hakim Murad und andere-- greift zu kurz. Der Grund ist einfach: Während im Westen kritische Schriften wie beispielsweise Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert" Mainstream sind und zu Bestsellern werden, sind die islamischen Arbeiten, die in Oxford verfasst werden, weder in der islamischen Welt Mainstream noch in der europäischen und deutschen Muslim-Community. Es geht nicht um den akademischen Elfenbeinturm, sondern um reale Probleme. Und welcher Art diese sind, das habe ich ausführlich geschildert. Das Problem setzt sich fort in deutschen Koranschulen. Wenn auch nicht unbedingt explizit anti-westliches gelehrt wird, so trifft man doch immer wieder auf die Vermittlung eines sehr simplen Koran-und Islamverständnisses. Koranexegese? Historisch-kritische Betrachtung und Herangehensweise?? Fehlanzeige! Der Koran ist das ewige und zeitlos gültige Wort Gottes und ein wahrer Muslim hat sich unkritisch danach zu richten. Und fertig ist der Koranunterricht.
07.07.21
11:22
Serhat sagt:
Ich möchte hervorheben, dass der Islam an sich eine politische Religion ist. Wenn man gegen den politischen Islam ist, ist man somit gegen einen Teil des Islam. Das beste Beispiel dazu ist das Leben des Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm), der in Madinah einen Stadtstaat gegründet hat. Wenn der Islam nicht politisch wäre, wie soll sich dann Islam so sehr in die Ferne verbreiten? Im Koran stehen auch viele Dinge politischer Natur. Die Politiker sollen ehrlich sein und zugeben, dass sie eigentlich einen Teil des Islam beziehungsweise des Koran verbieten wollen, und mit dem Begriff "Politischer Islam" aufhören. Jedoch gibt es Gruppen al-Qaida und Daesch, die dies nicht nach prophetischem Vorbild umsetzen, sondern den Koran missinterpretierend Angst schüren und Terror verbreiten, was abzulehnen ist. Leider sind solche Gruppen, die den Menschen den Islam als eine "schlechte" und "gefährliche Religion" präsentieren, obgleich der Islam genau das Gegenteil ist.
20.07.21
1:49
Charley sagt:
@Serhat Zustimmung, dass der Islam also sehr wohl eingreifen will in diejenigen Lebensbereiche, die gemeinhin Europa der menschlichen Selbstbestimmung und der gegenseitigen Toleranz unterliegen. Da soll also in diesen sensiblen Werdeprozess mit der dogmatischen Keule einer Religion dreingeschlagen werden. Und - diese Konsequenz ihrer Worte begreifen Sie leider nicht - schlägt diese Keule dann genau diejenige Kultur kaputt, die Europa heutzutage ausmacht. Ja, es stimmt, der Islam ist politisch und hat leider diese Sache mit der Freiheit, der Selbstbestimmung des Menschen, mit dem Individualitätsbegriff nicht kapiert. Und darum ist vor diesem Islam, der von seinem politischen Aspekt - wie sie selbst schreiben - nicht zu trennen ist, zu warnen.
25.07.21
13:27
Johannes Disch sagt:
@Serhat (20.07.2021, 1:49) -- "Ich möchte hervorheben, dass der Islam an sich eine politische Religion ist." (Serhat) Schön, dass sie das einräumen. Viele Muslime streiten das ab. -- "Wenn man gegen den politischen Islam ist, ist man somit gegen einen Teil des Islam." (Serhat) So ist es. Und das ist auch richtig so. Religionsfreiheit bedeutet keinen Persilschein, dass man alles, was eine Religion verlangt, auch umsetzen darf. Die Religionspraxis muss mit der FDGO vereinbar sein. Und ein Islam, der sich als politisches Gegenkonzept zur Demokratie versteht-- wie eine islamistische Theokratie, wo nicht von positives von Menschen gemachtes Recht gilt, sondern Gottesrecht (Scharia)-- ist mit der Demokratie nicht vereinbar. Und Gruppierungen, die ein solches Konzept verfolgen, werden bei uns bereits verboten. Es geht um die entscheinde Errungenschaft der westlichen Welt, um die Trennung von Religion und Staat. Eine Trennung, die der Islam nicht kennt. Ein Islöam, der sich politisch versteht, ist mit der Demokratie nicht vereinbar. Und auch das Leben des Propheten und sein in Medina gegründeter Stadtstaat kann für das hier und heute nicht Vorbild sein. Der Islam hat sich nicht nur mit Verkündigung des Koran ausgebreitet, sondern mit dem Schwert. Das ist kein Vorwurf, sondern schlicht eine historische Tatsache. Ach, was terroristische Gruppierungen wie Al Kaida etc. betrifft:Man kann es als Mißbrauch der Religion (des Islam) betrachten. Aber es ist ein Mißbrauch mit System. Djihadisten lesen den Koran und die Hadithe selektiv und völlig ahistorisch. So lässt sich alles mögliche rechtfertigen.
27.07.21
9:39
Johannes Disch sagt:
@Serhat Wie das Verhältnis von Politik und Religion heute sein sollte, das hat der ägyptische Präsident Sadat-- für mich einer der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und Muslim-- in einer prägnanten Formel gut auf den Punkt gebracht: "Keine Politik in der Religion. Keine Religion in der Politik." Sadat war eines der ersten Opfer fanatischer Islamisten. Er wurde 1981 von ihnen ermordet.
27.07.21
13:04
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