Nachgefragt

„Versöhnung ist, den Völkermord nicht zu leugnen“

Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Hasan Hasanović und sein Buch „Srebrenica. Kein Vergessen. Kein Vergeben“.

14
07
2021
Völkermord in Srebrenica
Buch: Srebrenica. Kein Vergessen. Kein Vergeben.

IslamiQ: Wem würden Sie Ihr Buch „Srebrenica. Kein Vergessen. Kein Vergeben“ gerne schenken und warum?

Hasan Hasanović: Ich würde mein Buch jemandem schenken, der das Verbot der Leugnung des Völkermords in Bosnien und Herzegowina durchsetzen kann. Und das wäre Angela Merkel.

IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig? 

Hasanović: Das Thema des Buches ist die Wahrheit über den Völkermord, über die Ermordung meiner Familienmitglieder durch Tschetniks. Ich denke, es würde sich positiv auf eine andere Einstellung gegenüber Bosnien und Herzegowina auswirken. Aber auch vorbeugend wirken, damit das Böse, welches in Bosnien passierte, sich nirgendwo auf der Welt wiederholt.

Am 11. Juli 1995 wurde Srebrenica zum Schauplatz der grausamsten Tat in Europa nach dem zweiten Weltkrieg. Eine Chronologie.

IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?

Hasanović: Mein Buch liest man in einem Zug. Es kann die Meinung derjenigen ändern, die über das Wesen des Krieges und der Aggression gegen Bosnien und Herzegowina nicht ausreichend informiert sind.

IslamiQ: Ihr Buch in drei Worten zusammengefasst?

Hasanov: Wahrheit, Schmerz, Ausdauer.

IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Am Ende Ihres Buches schreiben Sie: „Wir wurden wegen unserer Andersartigkeit getötet. Wegen unseres Vor- und Familiennamen. Wegen der Art, wie wir Gott anbeten und wegen unserer anders aussehenden Gotteshäuser. Wegen der anderen Religion, der wir angehören.“ Wie können diese Unterschiede überwunden werden, um in Frieden zusammenleben zu können – halten Sie das überhaupt für möglich?

Hasanov: Es stimmt, dass wir nur getötet wurden, weil wir muslimische Namen haben. Aber ich denke, wir können zusammenleben, denn Vielfalt ist Reichtum. Wir Bosniaken, Muslime, leben seit Jahrhunderten in Vielfalt mit anderen, ungeachtet der Religion und ohne uns gegenseitig Schaden zuzufügen. Der einzige und beste Weg der Versöhnung besteht darin, den verurteilten Völkermord nicht mehr zu leugnen, darin, aufrichtig zu bereuen und den Opfern des Völkermords in Srebrenica Respekt zu zollen. 8372 ist nicht nur eine Zahl. Dies sind die Vor- und Nachnamen derer, die auf monströse Weise getötet wurden.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Man muss dazu anmerken, dass vor dem Zerfall Jugoslawiens bosnische Muslime nicht sonderlich fromm waren und viele sich in ihrer Lebensweise kaum von ihren serbischen und kroatischen Nachbarn unterschieden. Sie waren durch den Druck und Einfluss des Kommunismus quasi in die jugoslawische Gesellschaft assimiliert. Also genauso was deutsche Nationalisten und ihre Islamverfälscher a la Ourghi sowie sonstige Handlanger sich von Muslimen in Deutschland wünschen, aber scheitern werden. Die bosnischen Muslime sprachen wie die bosnischen Serben und Kroaten dieselbe Sprache, hatten teilweise Serben und Kroaten geheiratet, unterschieden sich lediglich durch ihre Namen und dass sie in die Moschee gingen. Doch als der Krieg ausbrach, hat die Assimilation in die jugoslawische Gesellschaft die bosnischen Muslime, welche in einem unabhängigen Bosnien-Herzegowina mit ihren serbischen und kroatischen Nachbarn weiterhin in Frieden leben wollten, nicht vor der Verfolgung und Ermordung durch serbische Tschetniks bewahrt. Der bosnische Präsident Alija Izzetbegoviç wurde wegen seiner Frömmigkeit im kommunistischen Jugoslawien kriminalisiert, als "Islamist" beschimpft und wegen "fundamentalistischer Umtriebe" zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Also ähnlich wie deutsche Politiker a la AfD und Volker Beck fromme Muslime und ihre Verbände kriminalisieren und diskreditieren. Alija Izzetbegoviç hat trotz aussichtloser Lage die Tschetniks in die Knie gezwungen und die bosnischen Muslime vor der Auslöschung gerettet. Er hat sich auch nach dem Krieg für ein friedliches Zusammenleben von Bosniaken, Serben und Kroaten eingesetzt. Wir Muslime in Deutschland können und müssen uns daran ein Beispiel nehmen. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass Aufgabe einer frommen Lebensweise uns mehr Anerkennung geben wird. Im Gegenteil, wenn die AfD an die Macht kommt, dann drohen uns Repressalien ungeachtet welche Lebensweise wir führen. Jedoch: Wir Muslime werden vor unseren Feinden niemals in die Knie gehen, sondern sie zu Fall bringen. Genauso wie die bosnischen Muslime ihre Feinde zu Fall gebracht haben.
14.07.21
22:42
Dilaver Çelik sagt:
Und wir werden uns für ein friedliches Zusammenleben nach dem Vorbild von Alija Izzetbegoviç einsetzen.
14.07.21
22:49
Johannes Disch sagt:
Versöhnung heißt, den Völkermord nicht zu leugnen? Korrekt. Da hat dann aber die Türkei noch viel zu tun. Sie leugnet noch immer den Völkermord an den Armeniern.
30.07.21
11:51
grege sagt:
@ Herr Disch, richtig, man sollte auch zu den Schattenseiten der eigenen Geschichte, selbst, wenn sie dem eigenen Wunschdenken widersprechen.
31.07.21
19:04