Europäischer Gerichtshof

Urteil: Arbeitgeber können Kopftuch im Job verbieten

Darf einer Muslimin untersagt werden, mit Kopftuch an einer Drogeriemarktkasse zu stehen oder in einer Kita zu arbeiten? Der Europäische Gerichtshof hat zu zwei Fällen aus dem Raum Nürnberg und Hamburg ein Urteil gesprochen.

15
07
2021
Kopftuch am Arbeitsplatz
Symbolbild: Kopftuch am Arbeitsplatz © shutterstock, bearbeitet by iQ

Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verbieten, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen. Unternehmen können das Tragen jeglicher politischer, weltanschaulicher oder religiöser Zeichen untersagen, um Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden, heißt es in einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Urteil des EuGH.

In dem Fall dürften aber keine sichtbaren Zeichen erlaubt sein, kleine wie ein Kreuz oder größere wie Kippa oder Kopftuch. Ein Verbot ist zudem nur möglich, wenn dem Unternehmen ansonsten Nachteile entstehen. Zudem dürften im Fall eines Verbots keine sichtbaren Zeichen anderer Religionen erlaubt sein, weder kleine wie ein Kreuz, noch größere wie die jüdische Kippa.

Bereits 2017 hatte der EuGH entschieden, dass Unternehmen ein muslimisches Kopftuch verbieten können, wenn sie auch alle anderen sichtbaren weltanschaulichen Zeichen untersagen. Der Generalanwalt des EuGH schlug in seinen Schlussanträgen im Februar zuletzt vor, kleine Zeichen am Arbeitsplatz zu erlauben, die „nicht auf den ersten Blick bemerkt werden“. Zugleich betonte er, dass das Kopftuch kein kleines Zeichen darstelle.

Kopftuchverbot – deutsche Gerichte haben das letzte Wort

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt und das Arbeitsgericht Hamburg hatten sich an das EU-Gericht gewandt und um eine Gewichtung verschiedener Rechtsgüter wie Religionsfreiheit, Neutralität und Gleichbehandlung gebeten. Anlass sind die Fälle zweier muslimischer Frauen, die mit Kopftuch in einer weltanschaulich neutralen Kita bzw. in einem Drogeriemarkt arbeiten wollten. Die Arbeitgeber untersagten das. Die Kita verbietet mit einer Dienstanweisung, sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugung wie das christliche Kreuz, das muslimische Kopftuch oder die jüdische Kippa zu tragen. Der Drogeriemarkt beruft sich auf ein solches Verbot in der Kleiderordnung.

Das abschließende Urteil im konkreten Fall der Kita-Mitarbeiterin und der Angestellten des Drogeriemarktes müssen nun die zuständigen deutschen Gerichte treffen. Der EuGH betonte am Donnerstag, dass diese durchaus Entscheidungsspielraum haben. Demnach könnten die nationalen Gerichte im Rahmen des Ausgleichs der in Rede stehenden Rechte und Interessen dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats Rechnung tragen. Insbesondere sei dies der Fall, wenn es in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigere nationale Vorschriften gebe. (dpa, KNA, iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Ein gutes und richtiges und wichtiges Urteile, das sich auf 2 Fälle in Deutschland bezieht. Glücklicherweise eiert der EUGH hier nicht so rum wie das deutsche Bundesverfassungsgericht. Man kann nur hoffen, dass durch diese Entscheidung endlich etwas Ruhe bei diesem leidigen Thema einkehrt.
15.07.21
12:38
Ute Fabel sagt:
Eine weise Entscheidung des EuGH! Religion und Weltanschauung sind Privatsache und gehören nicht am Arbeitsplatz aufdringlich zur Schau gestellt. In Wahrheit ging es in diesen Verfahren um ein gewünschtes religiöses Sondervorrecht, das unter dem bloßen Denkmantel der Gleichbehandlung Firmen aufgezwungen werden sollte. Diesen bezweckten Rechtsmissbrauch hat der EuGH durchschaut. Möglichst viele Unternehmen sollten nun eine ebensolche diskriminierungsfreie Kleiderordnung erlassen wie die vor dem EuGH erfolgreiche Drogeriekette, der für ihren Mut zu danken ist, eine Vorbildrolle einzunehmen und sich nicht mundtot machen zu lassen. Betriebe leisten durch ein klares Bekenntnis zum optischen Neutralitätsprinzip in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht unter ihren Mitarbeitern einen wertvollen Beitrag zum Kampf gegen engstirnige, kleinkarierte ideologische Verbohrtheit, welche der wahre Feind erfolgreiche Karrieren ist.
15.07.21
12:40
Dilaver Çelik sagt:
Ein religionsfeindliches Gerichtsurteil, welches Diskriminierung religiöser Menschen, Intoleranz, Antisemitismus sowie antimuslimischem Rassismus Tür und Tor öffnet. Da wird unter dem Deckmantel der Neutralität Religionsfeindlichkeit gefördert. Das ist inakzeptabel und darf nicht toleriert werden. Das Urteil wird nur die AfD und Konsorten sowie religionsfeindliches Gesocks erfreuen. Diese Freude muss im Keim erstickt werden. Religionsfeindlichkeit muss sanktioniert werden und Kopftuchverbote müssen ein für allemal der Vergangenheit angehören. Erst recht in Deutschland. Inakzeptabel ist auch die Gleichsetzung von religiöser Kleidung mit politischen Symbolen. Religiosität ist einem politischen Bekenntnis übergeordnet und nicht umgekehrt, da in einem Gotteshaus Gläubige (m/w) unterschiedlicher politischer Anschauungen gemeinsam Gottesdienst ausüben. Andernfalls hätte jede politische Anschauung sein eigenes Gotteshaus, weil die einen mit den anderen nicht gemeinsam Gottesdienst abhalten wollen. Das wäre fatal, denn Religion ist überpolitisch sowie überparteilich. Die Überordnung von Politik ist eine Krankheit der Moderne, welche nur durch Stärkung von Religion geheilt werden kann.
15.07.21
13:12
Vera sagt:
Eine begrüßenswerte und kluge Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH): Kopftuchverbot kann rechtens sein - zur Vermeidung sozialer Konflikte. Da sollten sich doch alle freuen, denn friedliche Umgangsformen sind wichtig und unumgänglich. EU-Recht ist definitiv auch nicht Scharia-Recht und hat auch nichts mit islamischen Gesetzgebungsbestrebungen zu tun. Dies sollte auch in muslimischen Kreisen immer mehr gewürdigt werden.
15.07.21
16:17
Ute Fabel sagt:
@ Dilaver Çelik „Ein religionsfeindliches Gerichtsurteil“ Stimmt überhaupt nicht! Einer Unternehmensphilosophie, die gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle vorsieht, wurde vom EuGH ein Gütesiegel erteilt. Auch Rechtspopulisten, die bei der besagten Drogeriekette arbeiten, dürfen demnach im Dienst keine AfD- Buttons anstecken, Atheisten keine „Gottlos Glücklich“-Shirts. Ideologisch motivierten Bekleidungsdogmen muss sich hingegen keine Firma unterwerfen. Solche Leute betreiben Selbstausgrenzung.
15.07.21
18:06
Johannes Disch sagt:
Den Vorrang der Politik vor der Religion nennt man Aufklärung. Eine der größten Errungenschaften des Westens, welcher gleichzeitig für die Moderne steht. Die Trennung von Politik und Religion war essentiell für die Entstehung des freien Individuums mit unveräußerlichen Rechten. Das Letzte wir brauchen, wäre eine Stärkung der Religion, schon gar nicht der islamischen. Diese kennt das freie und autonom entscheidende Individuum überhaupt nicht. Der Islam kennt keine individuellen Rechte, sondern nur "faraid" (= Pflichten (gegenüber Gott)).
16.07.21
14:30
grege sagt:
Mir erscheint das Urteil folgerichtig. Gerade in einer multikulturrell bzw. multireligiös geprägten Gesellschaft müssen Religion übergreifend für alle Personen gelten, unabhängig von der ethnischen Herkunft oder der Religionszugehörigkeit. Ansonsten würde der Diskriminierung bestimmter Gruppen Vorschub geleistet werden, was hiermit für alle unterbunden werdne. Wenn das Tragen von religiösen Symbolen für den Arbeitgeber ein Tabu darstellt, müssen sich alle an das Gebot halten. So sind alle gleich behandelt, ganz einfach. Die Klagen unserer Islamprotagonisten beziehen sich wieder einmal wieder auf die Verwehrung von Sonderrechten, unter den Nichtmuslime zu leiden hätten. Der EU muss man hier ein dickes Lob aussprechen.
16.07.21
18:13
Dilaver Çelik sagt:
"Stimmt überhaupt nicht!" Die Leugnung von Religionsfeindlichkeit ist typisch für religionsfeindliche Menschen. Das Gerichtsurteil will uns implizit einreden, dass wir zur Konfliktvermeidung Rücksicht auf antimuslimischen Rassismus nehmen müssen. Anstatt den antimuslimischen Rassismus aktiv zu bekämpfen. Mir machen rassistische Richter mit kolonialer Mentalität am EuGH weit mehr Sorgen als die nette Dame mit Kopftuch hinter der Supermarktkasse. Das Gerichtsurteil ist rassistischer Schrott. Sonst nichts. Wir werden mitnichten Rücksicht auf die rassistischen Gefühle von Religionsfeinden nehmen. Und sollten antimuslimische Rassisten es wagen, uns deswegen Schwierigkeiten zu bereiten, dann können sie sich warm anziehen. Denn wir werden jeden Vorfall melden.
17.07.21
16:46
Ute Fabel sagt:
@ Dilaver Çelik keine Leugnung von Religionsfeindlichkeit durch den EuGH: Die politischen Freiheitsrechte und die Religionsfreiheit sind den Bürgern vonseiten des Staats eingeräumten Garantien, sich in ihrer Freizeit politisch und religiös zu betätigen zu dürfen, umfassen aber keinen Anspruch darauf, auch während der Arbeitszeit durch Parteiabzeichen oder Kleidungsstücke im Betrieb die eigene politische oder religiöse Gesinnung ständig vor sich herzutragen. keine kolonialer Mentalität am EuGH. Gerade viele Österreicher und Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund betrachten laizistische Ideale geradezu als ihr nationales Kulturgut und identitätsstiftend, da in der Türkei dank dem Staatgründer Mustafa Kemal Atatürk der Säkularismus eine jahrzehntelange Tradition hatte, die erst durch das autoritäre Erdogan-Regime wieder untergraben wurde. Ich kenne dutzende Menschen syrischer, iranischer, ägyptischer und türkischer Abstammung, die über diese weise und faire EuGH-Entscheidung gejubelt haben.
19.07.21
14:26
Johannes Disch sagt:
@Dilaver (17.07.21, 16:46) -- "Denn wir werden jeden Vorfall melden." (Dilaver) Ja, wem denn? Dem Erdowahn?
19.07.21
19:48
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