Berlin

Experte: Nächster Bundestag könnte gut 1000 Abgeordnete zählen

Eigentlich soll der auf 709 Abgeordnete angewachsene Bundestag wieder kleiner werden. Bei der Wahl im September könnte nach Einschätzung eines Fachmanns aber genau das Gegenteil eintreten.

09
08
2021
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Der Bundestag Berlin © by malditofriki auf flickr, bearbeitet by IslamiQ.
Der Bundestag Berlin © by malditofriki auf flickr, bearbeitet by IslamiQ.

Der nächste Bundestag könnte nach Berechnungen des Wahlrechtsexperten Robert Vehrkamp gut 1000 Abgeordnete stark werden. „Die Bandbreite der plausibel möglichen Bundestagsgrößen läuft von etwa 650 bis mehr als 1000. Das kann man nicht ausschließen“, sagte der Fachmann der Bertelsmann Stiftung der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er gehört auch der vom Bundestag eingesetzten Kommission zur Reform des Wahlrechts und Modernisierung der Parlamentsarbeit an.

Die Normgröße des Bundestags beträgt 598 Mandate. Seit der Wahl 2017 zählt er 709 Abgeordnete – so viele wie nie zuvor. CDU/CSU und SPD haben zwar im vergangenen Oktober eine Änderung des Wahlrechts durchgesetzt, diese wird nach Auffassung von Fachleuten aber wohl kaum zur erhofften Verkleinerung des Parlaments führen.

Genaue Vorhersage ist nicht möglich

Das Thema wird daher auch den nächsten Bundestag beschäftigen. Vor allem CDU und CSU müssten sich endlich bewegen, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, der dpa. „Sie haben eine wirksame Reform jahrelang blockiert und erst auf dem letzten Drücker agiert“, kritisierte Haßelmann. „Aber auch die SPD hat keine besondere Energie in eine notwendige Veränderung gesteckt.“

Eine genaue Vorhersage über die Größe des nächsten Bundestag ist nach Vehrkamps Darstellung nicht möglich. „Was in der Diskussion häufig übersehen wird: Es kommt nicht nur auf das Zweitstimmenergebnis an. Mindestens genauso stark hängt es vom Stimmensplitting ab, wie viele Überhangmandate es geben wird. Und das Splittingverhalten ist noch unkalkulierbarer als die Zweitstimmenvergabe.“

So könnten beispielsweise die Grünen etwa doppelt so viele Zweitstimmen bekommen wie bei der Wahl 2017. „Wir wissen aber nicht, wie dann das Splittingverhalten der Grünen-Wähler aussieht.“ Würden etwa 20 Prozent von ihnen – etwa aus alter Verbundenheit – ihre Erststimme der Union geben, habe das „einen enormen Hebeleffekt“, sagte Vehrkamp. „Dann ist man je nach Szenario schnell bei 880, 950 oder im Extremfall sogar bei über 1000 Mandaten. Das muss nicht so kommen, ist aber möglich. Das geltende Wahlrecht ist mit Blick auf die Größe des Bundestages ein echtes Vabanquespiel.“

Die Grünen-Politikerin Haßelmann sagte zum möglichen weiteren Wachsen des Parlaments: „Das würde dann den Druck zusätzlich erhöhen, diese grottenschlechte Reform, für die CDU/CSU und SPD Verantwortung tragen, noch mal anzupacken.“ Ihre Partei halte am bewährten System des personalisierten Verhältniswahlrechts fest. „Der einzige verlässlich wirksame Hebel ist hier die Reduzierung der Wahlkreise.“

Wie vielfältig ist der Bundestag?

Verglichen mit den Anteilen in der Bevölkerung gebe es im Bundestag demnach zu wenig Frauen, zu wenig Menschen mit Migrationsgeschichte, zu wenig Menschen mit Behinderung, zu wenig Junge, zu wenig ganz Alte.

Das gelte auch für Menschen muslimischen Glaubens wie Amira Mohamed Ali. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei hat Jura studiert. Der Akademikeranteil im Bundestag sei insgesamt „sehr sehr hoch“, sagt sie. „Aber wir haben relativ wenig Menschen aus nicht akademischen Berufen. Sie halte es für wichtig, „dass da eine größere Repräsentanz da wäre“.

Dass Mohamed Ali nun mal anders heißt als Meier, Müller oder Schulze und dass sie Muslima ist – das spiele in ihrer Partei keine Rolle: Es müsse dort „auch gar nicht großartig thematisiert werden“, sondern sei eine Selbstverständlichkeit. „Was ich mir wünsche und ich glaube, das wünschen sich auch viele, dass es überhaupt nicht auffällt. Dass es etwas Normales ist.“ (dpa/iQ)