Politiker und Vertreter von Religionen fordern zu schnelleren Hilfen für Menschen in Gefahr in Afghanistan auf. Mitverursachtes Leid könnte zumindest so ein Stück abgemildert werden.
Die Ereignisse in Afghanistan erfordern nach Meinung von Politikern und von Vertretern der Religionsgemeinschaften eine kritische Bilanz der jüngsten Entwicklungen am Hindukusch. Sie riefen am Dienstag zugleich zu schneller Hilfe für die Menschen im Land auf. Ihnen gelte uneingeschränkte Solidarität. Man sei in Gedanken, in den Herzen und den Gebeten bei ihnen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Bilder aus Kabul „beschämend für den politischen Westen“. Das Scheitern der jahrelangen Anstrengungen, ein stabiles und tragfähiges Gemeinwesen aufzubauen, werfe grundlegende Fragen zum außenpolitischen und militärischen Engagement Deutschlands auf.
Nach Ansicht der Deutschen Bischofskonferenz stellt die Machtübernahme der Taliban „eine desaströse Niederlage“ der USA und anderer westlicher Staaten dar. „Die jetzt eingetretene Lage zehrt das politische Vertrauenskapital der westlichen Länder auf und wird von vielen in aller Welt als moralischer Bankrott verstanden“, sagte der Konferenzvorsitzende, Bischof Georg Bätzing.
Für den Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) Bekir Altaş stehe die Bundesregierung in der Pflicht, das maßgeblich mitverursachte Leid in Afghanistan durch schnelle und unbürokratische Hilfe zumindest ein Stück weit abzumildern. „Es ist beschämend und unverantwortlich, wie die Bundesregierung den Abzug aus Afghanistan durchgeführt hat. Sie hat Menschen durch aktives Unterlassen in Lebensgefahr gebracht. Warnungen aus den Ministerien selbst sowie von unabhängigen Expertinnen und Experten wurden nicht beachtet, offensichtliche Entwicklungen in Afghanistan lange ignoriert“, äußert sich Altaş in einer Mitteilung.
Nun müsse es aber zunächst darum gehen, allen Menschen in Gefahr unverzügliche und unbürokratische Hilfe zukommen zu lassen – „allen Menschen in Gefahr!“ Es sei „nicht die Zeit, Arbeitsverträge von Ortskräften auszuwerten oder Namenslisten zu führen“, es sei die Zeit des schnellen Handelns, um das maßgeblich mitverursachte Leid zumindest ein Stück weit abzumildern. „Wir stehen an der Seite aller Menschen, die jetzt um ihr Leben fürchten müssen. Ihnen gilt unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir sind in Gedanken, in unseren Herzen und unseren Gebeten bei ihnen“, so Altaş abschließend.
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) forderte eine Debatte über Deutschlands Rolle. ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann unterstrich, dass das Konzept des „nation building“ gescheitert sei. Der Westen habe die zivilen, friedensfördernden Kräfte nicht ausreichend gestützt. Der Deutsche Caritasverband sprach von einem massiven politischen Versagen auch der Bundesregierung.
Auch Diakonie, Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe forderten eine unbürokratische Aufnahme besonders gefährdeter Personen. Anrainerstaaten wie die Türkei, Pakistan und der Iran brauchten Unterstützung, um diese Menschen aufzunehmen.
Unterdessen rief die Welthungerhilfe dazu auf, die Zivilbevölkerung in Afghanistan trotz der Taliban nicht im Stich zu lassen. Rund 18,4 Millionen Afghanen hätten nicht genügend zu essen. Schon jetzt seien die Hilfsprogramme unterfinanziert, sagte Generalsekretär Mathias Mogge der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl fordert eine Luftbrücke zur Rettung gefährdeter Menschen aus Afghanistan. Die bisherigen Evakuierungspläne der Bundesregierung griffen zu kurz. „Taliban halten sich nicht an die deutsche Kernfamilie“, erklärte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt in Frankfurt. Auch erwachsene Angehörige von Ortskräften, Angehörige von politisch Verfolgten sowie bei Subunternehmen Beschäftigte seien in Gefahr. Das gelte auch für Angehörige von in Deutschland lebenden Schutzberechtigten. (KNA, iQ)