Bald sind Bundestagswahlen. Werden die Bedürfnisse der Muslime von den etablierten Parteien ausreichend beachtet? IslamiQ sprach mit Vertretern von islamischen Religionsgemeinschaften.
Am 26. September finden die Bundestagswahlen statt. Vor den Wahlen hat jede Partei ein Wahlprogramm herausgebracht. Die meisten sind hunderte Seiten lang. Themen rund um den Islam wurden jedoch unterschiedlich lang bzw. nur am Rande behandelt.
Inzwischen leben rund 5,5 Millionen Muslime in Deutschland. Sie sind Teil der Gesellschaft und möchten, dass ihre Bedürfnisse und Probleme genauso ernstgenommen werden wie alle anderen Themen. IslamiQ hat mit Vertretern der großen islamischen Religionsgemeinschaften, die im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertreten sind, gesprochen. Was erhoffen sich die muslimischen Repräsentanten von der Bundestagswahl bezüglich der Islampolitik der neuen Bundesregierung?
Nach Meinung des Vorsitzenden des Islamrats, Burhan Kesici, werden die Parteien, die die Regierung bilden werden, keine großen Wagnisse in Bezug auf den Islam eingehen. Die Partei-Programme seien relativ lang, jedoch beschränkten sich die Punkte in Bezug auf Islam und Muslime lediglich auf einige Absätze. Das zeige, dass „die Herausforderung und Probleme von Muslimen seitens der Parteien nicht genügend Beachtung finden.
Besonders beim Thema Islamfeindlichkeit ist die Wahrnehmung sehr begrenzt. Muslime beklagten regelmäßig den alltäglichen antimuslimischen Rassismus und fordern von der Politik Handlung. „Die FDP und CDU widmet sich jedoch dem Thema Islamismus und deren Bekämpfung. Das führt wiederum dazu, dass die Islamfeindlichkeit ansteigt, und zeigt, dass Anliegen der Muslime weniger wahrgenommen werden“, stellt Kesici fest.
Einige Parteien thematisierten die Imamausbildung in ihren Programmen. Jedoch möchten die Parteien keine islamischen Religionsgemeinschaften in ihr Ausbildungsprogramm mit einbeziehen. „Ich halte das für ein sehr gefährlichen Weg. Insbesondere weil man damit einen Islam etabliert, der nicht von den organisierten Muslimen getragen wird“, gibt Kesici zu bedenken. Das würde dazu führen, dass Absolventen vor der Gefahr der Nichteinstellung stünden. „Auch deswegen ist das Vorhaben kontraproduktiv“, sagt Kesici.
Der Vorsitzende des Islamrats appelliert an die Muslime von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Jeder solle seiner staatsbürgerschaftlichen Pflicht nachgehen und wählen gehen, um damit die Demokratie zu stärken.
Der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), Abdurrahman Atasoy, hofft auf eine Bundesregierung, die an positive Entwicklungen der letzten Jahre anknüpfe und aus Fehlern der Vergangenheit lerne. „Wir erwarten die Anerkennung der Muslime sowie die Anerkennung der Probleme, mit denen Muslime konfrontiert sind“, betont Atasoy. Hierfür stehe die DITIB als Partner bereit.
Atasoy kritisiert, dass die Themen rund um den Islam und Muslimen im Wahlkampf kein Thema waren. „Es ist bedauernswert, wenn in einer Gesellschaft mit 6,7 Prozent muslimischem Bevölkerungsanteil in Wahlprogrammen Islam nur im Rahmen sicherheitspolitischer Gefahren erwähnt wird und gleichzeitig die Gefahren für eine religiöse Minderheit keine Rolle spielen.“ Das liege Laut Atasoy auch daran, dass „zu wenig mit Muslimen gesprochen wird“.
Im Kontext der Imamausbildung macht Atasoy auf vorhandene Missverständnisse aufmerksam, „die auf fehlender Sachkenntnis beruhen“. Die Ausbildung von Imamen ohne Beteiligung der islamischen Religionsgemeinschaften „ist nicht zielführend“. Es sei Zeit für die Parteien, sich auch offen zur Zusammenarbeit mit den muslimischen Vertretungen zu bekennen.
Im Hinblick auf die politische Partizipation von Muslimen erklärt Atasoy, dass er ein großes Interesse aus der muslimischen Gemeinschaft an den Wahlen wahrnimmt. Vor allem auf kommunaler Ebene sei die demokratische Partizipation von Muslimen „herausragend“. Leider spiegle der Bundestag das bislang noch nicht wieder. Er fordert von der Politik diese Potenziale auszuschöpfen.
Im Jahr 2020 wurde mehr knapp 1.000 islamfeindliche Straftaten auf Muslime und Moscheen erfasst. Der Kampf gegen Islamfeindlichkeit taucht in den Wahlprogrammen jedoch kaum auf. „Nach 60 Jahren Arbeitsmigration und muslimisches Leben in Deutschland darf die Islampolitik nicht auf Sicherheit und Bekämpfung vom religiösen Extremismus reduziert werden“, erklärt der Pressesprecher des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), Erol Pürlü. Die Sicherheit der Muslime und ihrer religiösen Einrichtungen müsse auch gewährleistet werden.
Pürlü fordert die neue Bundesregierung dazu auf, Prozesse, die die strukturelle Gleichbehandlung von islamischen Religionsgemeinschaften angehen „positiv zu begleiten und zu fördern“. Festzuhalten sei aber, „dass die Ausbildung von religiösem Personal ein verbrieftes und grundgesetzlich geschütztes Recht der Religionsgemeinschaften ist, so auch die Imamausbildung“, betont Pürlü. Diese Ausbildung bestehe bereits seit den Achtzigerjahren.
Durch gesellschaftliche und politische Partizipation von Muslimen und ihrer Sichtbarwerdung könne eine verbesserte Wahrnehmung des Islams und der Muslime in diesem Lande geschaffen werden. Denn sie tragen laut Pürlü zum Wohlstand des Landes durch ihre Arbeitskraft, Steuern und Investitionen bei. „Daher zählt jede Stimme. Alle sind aufgefordert, wählen zu gehen, um Parteien, die sich gegen den Zusammenhalt und dem Pluralismus unserer Gesellschaft stellen, eine Absage zu erteilen“, so Pürlü abschließend.
Auch Abdassamad El Yazidi, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, (ZMD) findet, dass die Bedürfnisse der Muslime nicht ausreichend beachtet werden und nur „aus der sicherheitspolitischen Perspektive“ thematisiert werden. Er erhoffe sich von der Politik die Würdigung des gesellschaftlichen Engagements. Für El Yazidi bedrohen sowohl der religiös begründete Extremismus als auch der antimuslimische Rassismus die Gesellschaft „gleichermaßen massiv“. „Wer das eine gegen das andere ausspielt, aufbauscht oder kleinredet, ist nicht an ernsthafter Problemlösung interessiert“, betont der ZMD-Generalsekretär. Außerdem müsse der religiös begründete Extremismus bekämpft werde, ohne die Muslime dabei unter Generalverdacht zu stellen. Auch El Yazidi fodert eine stärkere politische Partizipation von Muslimen. Denn „wer wählt, verändert“.
Für El Yazidi gebe es beim Thema Imamausbildung einen positiven Ansatz, der „positiv oder zumindest unvoreingenommen betrachtet werden sollte“. „Hier haben sich manche islamische Religionsgemeinschaften selbst ausgeschlossen“, so El Yazidi. Darüber hinaus gebe es inzwischen unterschiedliche vielversprechende Ausbildungsmodelle von unterschiedlichen islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland die „ebenfalls Würdigung und positiver Begleitung bedürfen“.